Claus Leggewie will in der taz den Grünen Europabegeisterung ins Aufgabenheft schreiben und argumentiert dabei mit dem Wahlsieg Macrons in Frankreich. Er sitzt damit einem Missverständnis auf, wie es fast alle tun, die sich für den Zusammenhang von Wahlrecht und Demokratie kaum interessieren.
Ein Treppenwitz jüngster europäischer Wahlen ist, dass Macron als Sieger gefeiert wird, obwohl er gerade mal 15% der französischen Wähler*innen für sich mobilisieren konnte. In Frankreich nahm gerade mal die Hälfte an der Wahl teil, gestern im 2. Wahlgang zur Nationalversammlung sogar weit weniger. Theresa Mays Tories, zu denen mir politische Sympathien absolut fremd sind, erhielten im Vereinigten Königreich als angebliche Wahlverlierer 42% der abgegebenen Stimmen, welche aber erheblich mehr waren als in Frankreich, bei nämlich 68% Wahlbeteiligung, die also knapp unter dem Niveau war, das aktuell in Deutschland erreicht wird. Mrs. May, gegen die bereits die Messer ihrer Partei”freunde” gewetzt sind, hat also knapp doppelt so viel Zuspruch in ihrer Bevölkerung wie der gefeierte Monsieur Macron.
Es ist das vertrackte Wahlrecht, beide unterbieten in Sachen demokratischer Gerechtigkeit weit unser deutsches Verhältniswahlrecht, das allerdings bei der nächsten Bundestagswahl auch schon nicht mehr verfassungsgemäss sein wird. Die Bundestagsparteien haben sich schlichtweg geweigert, in Kombination mit ihrer verhandlungspolitischen Unfähigkeit, die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Pflicht zur Korrektur inkl. Fristsetzung zu erfüllen. Blamabel und gefährlich für die Legitimation unseres demokratischen Systems zugleich.
Übel stösst auf, wenn Wahlverlierer im nachhinein jammern, das Wahlsystem, das sie ja zuvor mit Verhandlungsgeschick hätten beeinflussen können, sei schuld an ihrem Elend. Die französische Linke hätte Melenchon in die Stichwahl um die Präsidentschaft bringen, und bei der Parlamentswahl mindestens stärkste Oppositionsfraktion werden können, wenn sie gemeinsam angetreten wäre. Für Eigentore sind nicht die Gegner verantwortlich.
Womit wir bei den Grünen sind. Weitsichtiger als Leggewie setzt sich ihr Europaabgeordneter Sven Giegold in den Blättern mit ihren Problemen auseinander. Unter mit diplomatischem Geschick vermiedener Nennung von Namen und Adressen übt er Kritik an seiner eigenen Partei, indem er – etwas idealisierend – die niederländische Schwesterpartei als leuchtendes Vorbild präsentiert. Nunja, diese Wahlsieger haben weniger als 1 % mehr erzielt, als die deutschen Grünen bei der letzten Bundestagswahl. Aber Giegold hat Recht, wenn er auf die Bedeutung der Gesamtperformance, von Sprache, Ästhetik und positiver Radikalität hinweist. Da haben die deutschen Grünen noch viel Luft nach oben.
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