Ich verdächtige Jürgen Trittin schon lange, dass er in seinem Wesen ein harter Realo ist. Keiner derer, die so genannt werden und häufig auch selbst so nennen, und bei denen sich in Wirklichkeit ein Bedürfnis nach Anpassung dahinter verbirgt. Sondern einer, der der Wirklichkeit intellektuell nicht ausweicht. Wer sie wirkungsvoll beeinflussen und verändern will, muss sie zunächst richtig analysieren.
Davor hat sich Jürgen, den ich auch persönlich als einen Freund ausgesucht guter Umgangsformen kenne, nie gedrückt. Ich erinnere mich an ein aussenpolitisches Grundsatzpapier von ihm, in dem er schon vor vielen Jahren zum Ausdruck brachte, dass es in der Aussenpolitik kein Gut und Böse gibt, sondern Interessen. Wer von der Entspannungspolitik von Brandt und Scheel in den 70er Jahren nicht nur sozialisiert, sondern auch zu politischem Engagement motiviert wurde wie ich und viele meiner Altersgenoss*inn*en, weiss, was damit gemeint ist.
In diesem Sinne bewegt sich Jürgen Trittins heutiges Deutschlandfunk-Interview in bester politischer Tradition.
Ich weiss, dass in der Berliner Blase viele Jüngere die Augen verdrehen, wenn mit Trittin wieder einer der alten Promis durch die Medien gereicht wird. Sie hätten am liebsten, wenn sie es selbst wären. Doch wer hindert sie? Es ist ein Versäumnis und Defizit von uns älteren Babyboomern, vieles Erlernte nicht ausreichend weitervermittelt zu haben. Und zweifellos finden viele von uns nicht den richtigen Zeitpunkt, Platz zu machen. Als Bürger und Wähler fühle ich mich allerdings sicherer, wenn Jürgen Trittin damit noch einige Zeit wartet.
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