Die Wahllokale hatten gerade geschlossen, die erste Hochrechnung lag vor, da postete Sven Christian Kindler (MdB) „das zweitbeste Ergebnis“ für die Grünen. Und blendete mal eben aus, dass die Grünen 5,5 Prozentpunkte verloren hatten. Übrigens an die SPD, die an diesem Niedersachsenwahlabend ihr bestes Ergebnis in diesem Wahljahr 2017 einfuhr.
Für mich ein klarer Fall. Es gibt eine relevante Schnittmenge von Grünen- und SPD-Wählern. Nur 23.000 Wähler verloren die Grünen an die CDU, aber 190.000 an die SPD.
Die FDP vergrößert das Dilemma der Grünen, indem sie in Niedersachsen die mögliche „Ampel-Koalition“ ablehnt.
Wenn Sie bei dieser Haltung bleibt, dann gibt es nur zwei Varianten: GroKO oder Jamaica auch in Niedersachsen. Eine ähnliche Situation wie im Bund, auch hier gibt es im Grunde nur die Alternative Jamaika-Koalition oder GroKO, die jedoch von der SPD abgelehnt wird.
Spätestens jetzt müssen sich die Grünen fragen, wo sie sich im „Lagerdenken“ einordnen wollen und/oder ob der alte Spruch „Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorn“ zum Leben erweckt werden kann.
Demokratie macht Mühe – und das gilt heute erst Recht. Es muss mehr gestritten werden und es müssen die Interessen benannt werden. Denn Politik ist Interessenausgleich, die Suche nach einem Kompromiss.
Und hier kommt man zu den ungelösten Grundfragen der politischen Ökologie und Ökonomie. Wann ist ein Kompromiss, für wen tragbar? Wieviel Kompromiss können unsere Umwelt (und damit der Mensch) noch vertragen? Wer muss Kompromisse machen? Die Armen, die Reichen? Die Arbeiter der Automobilindustrie? Die Arbeiter in den Rohstoffminen, die die seltenen Erden für unseren Hunger nach Rohstoffe für die Elektromobilität stillen? Wieviel Erde steht den Europäern zu? Und was ist mit den Entwicklungsbedürfnissen anderer Völker und Kontinente? Und ganz konkret in der Kommunalpolitik: Wie schaffen wir es in wachsenden Städten notwendigen preiswerten Wohnungsneubau mit dem Freiflächenschutz in Übereinstimmung zu bringen?
Diese Fragen zu thematisieren und Lösungen zu offerieren, darin sehe ich nach wie vor die Hauptaufgabe der Grünen. Und sie werden daran gemessen. In Niedersachsen ist die sehr gute Landwirtschaftspolitik der Grünen knapp abgewählt worden. Würde es sich nicht lohnen, hier in einer anderen Konstellation diese notwendige Änderung fortzusetzen?
Es sind die Grünen, die ihren zwischen Grün und SPD schwankenden Wählern klar machen müssen, dass die ökologische und die soziale Frage kommunal, national, europäisch und global zusammenzudenken ist. Gelingt Ihnen das? Sicherlich dann nicht, wenn sie nicht deutlich machen, warum sie eine Ampel-Koalition für machbar halten und/oder wenn sie nur deshalb in die Koalition der Wahlverlierer CDU, FDP und Grünen gehen, wenn sie damit die GroKo verhindern können.
Die Autorin ist Mitglied der Grünen seit 1986 und hat seitdem diverse Funktionen übernommen. Zurzeit Aufsichtsratsvorsitzende der Städtischen Wohnungsgesellschaft VEBOWAG und Kuratoriumsvorsitz Stiftung Bonner Altenhilfe. Zum gleichen Thema hier ein DLF-Interview von Jürgen Trittin.
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