von Rainer Bohnet
Polen weiß hoffentlich was es tut. Trotz EU-Mitgliedschaft verbarrikadiert sich Polen gegen Flüchtlinge und Migranten, schränkt die Pressefreiheit ein und nimmt die Justiz in den Schwitzkasten. Letzeres hat jetzt die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Sie hat erstmals ein Strafverfahren wegen Gefährdung von EU-Grundwerten eingeleitet. Dieses hat allerdings wegen des zu erwartenden Widerstands Ungarns keine Aussicht auf Erfolg.
Davon unabhängig ist der drastische Schritt der EU-Kommission durchaus berechtigt. Es kann einfach nicht sein, dass ein EU-Mitglied trotz vielfältiger Proteste, zum Teil auch von der eigenen Bevölkerung, die Grund- und Menschenrechte wie die Unabhängigkeit der Justiz und die Einschränkung der Pressefreiheit einschränkt.
Neben der juristischen Einschätzung müssen wir auch die politischen und moralischen Aspekte bewerten. Polen hat wirtschaftspolitisch in hohem Maße von der EU-Mitgliedschaft profitiert, ist aber offensichtlich nicht bereit, den Verpflichtungen eines EU-Mitglieds nachzukommen. Die junge Demokratie Polens, die erst seit rund 25 Jahren existiert, ist noch nicht erwachsen. Das klingt zugegebenermaßen arrogant. Trotzdem ist dieser Vorwurf berechtigt, obwohl anderen Ländern, auch Deutschland, eine bedeutend längere “Ausbildungsphase” in der Demokratielehre zur Verfügung stand.
Aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips wird Polen höchstwahrscheinlich keine Sanktionen wie den Entzug des Stimmrechts erleiden müssen. Trotzdem darf der Schuss vor den Bug einer nationalistischen Regierung, die ohne jeden Zweifel das Ziel einer illiberalen Demokratie verfolgt, nicht folgenlos verpuffen. Deshalb sollte zeitgleich geprüft werden, ob eine empfindliche Strafzahlung oder der Entzug von finanziellen Unterstützungsleistungen möglich ist.
An die polnische Zivilgesellschaft geht meinerseits der Appell, die freie Demokratie zu verteidigen und zu begreifen, dass die Menschenrechte unteilbar sind. Dafür steht die EU und hoffentlich auch Polen.
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