Im NRW-Innenministerium von Herbert Reuel kursiert ein Papier, das “Entwurf für eine neue Polizei-Leitlinie” genannt wird. Dieses Papier haben angeblich nicht weiter bezeichnete “Spitzenbeamte” in geheimen Sitzungen erarbeitet. Wohl weil keine wissenschaftlicher Sachverstand dabei vertreten war, scheut Reuel aus guten Gründen, es sich als offizielles Papier zueigen zu machen. Es sei, so heißt es, “eine Ausarbeitung auf Arbeitsebene”. Inhaltlich soll das Papier “robusteres Auftreten der Polizei” inklusive “schärferer Trainingseinheiten” für “Kampfeinsätze” enthalten. Angesichts solch martialischer, aus dem militärischen Sprachgebrauch entliehenen Kategorien schwant dem Leser Schlimmes.
Das neue Konzept, dessen Bestandteil auch sogenannte “Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten” gehören, die an die alten “Überfallkommandos” der 50er Jahre erinnern, dreht eindeutig an der Gewaltspirale: Die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete und jahrzehntelang erfolgreiche Deeskalationsstrategie der NRW-Polizei soll abgelöst werden.
Begründet wird das Ganze mit angeblich wachsender Gewalt gegen Beamte und gar einer “Gefahr für das Gewaltmonopol des Staates”. Martialische Begriffe und Einzelbeispiele werden zur Begründung eines zweifelhafte Konzeptes bemüht, das angeblich so geheim ist, dass sogar aus “Sicherheitsgründen” die Identität der Autoren nicht genannt werden darf. Lächerlicher geht es wohl nicht – wer sich an modernen Erkenntnissen der Polizeiforschung orientiert, braucht weder die Öffentlichkeit, noch öffentliche Diskussion zu fürchten. Die Gründe für Reuels Geheimnistuerei mögen wohl eher darin liegen, dass man fürchtet, sich mit der einen oder anderen Forderung zu blamieren.
Denn die von der Schwarz-Gelben Koalition ausgegebene “Null Toleranz Strategie” die einstmals in den 80er Jahren New Yorks Bürgermeister Giuliani propagierte, gilt heute als gescheitert. Verdrängung von Straftaten statt ihrer Verhütung, Verschärfung sozialer Gegensätze und Übergriffe gegen Minderheiten, Eskalationen von Gewalt seitens der Polizei und Mißtrauen gegenüber den Ordnungshütern, häufige Eskalation von ursprünglichen Bagatellkonflikten haben diese Strategie längst in Mißkredit gebracht. Städte wie Boston in USA oder Glasgow in Schottland gehen stattdessen Wege der intelligenten Prävention gegenüber Jugendgangs, setzen auf Sonderkommissionen gegen kriminelle Zusammenhänge.
Das hält die gegenwärtige Landesregierung nicht davon ab, offensichtlich voll auf eine ideenlose, sicherheitspolitische Sackgasse zu setzen. Mitverursacher ist nicht zuletzt die Spitze der Gewerkschaft der Polizei, deren Vorsitzender Arnold Plickert nicht müde wird, über die angeblich seit 2011 verdoppelte Zahl der Übergriffe gegen Polizeibeamte zu lamentieren. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wie Swienty, Steffenhagen oder Richter ist die aktuelle Führung der DGB-Gewerkschaft GdP weitgehend blind für die gesellschaftlichen Zusammenhänge, mit denen ihre Mitglieder fertig werden müssen, sondern betätigt sich als Interessenlobby für die Aufrüstung der Polizei.
Die Zeiten der intelligenten Konfliktverhütung, die einst durch die Deeskalationsstrategie vom damaligen Innenminnister Dr. Herbert Schnoor begründet worden sind, sollen jetzt wohl durch die Hau-Ruck-Polizei beendet werden. Wohin das führt, zeigt sich seit Jahren in französischen Banlieus: Erst zuschlagen, dann fragen ist keine geeignete Strategie, um mit einer wachsenden sozialen Segregation und einer wachsenden Gewaltbereitschaft in Teilen der marginalisierten Bevölkerung umzugehen. Am Ende traut sich die Polizei nur noch in Gestalt von Drohnen vor Ort.
Es wäre fatal, wenn Nordrhein-Westfalen nun dierartige Strategien wider alle Vernunft nachahmen sollte. Nachdenken und Ursachenbekämpfung ist statt Tonfa-Stock und Maschinenpistole gefragt. Unterstützung der Kommunen bei Maßnahmen gegen soziale Ausgrenzung und mehr Polizei auf der Straße. Kriminalpräventive Räte in den Kommunen, gemeinsam mit der örtlichen Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen, mit Organisationen, Verbänden und Gemeinden. Und eine Verschärfung des Waffenrechts insbesondere gegen den Besitz von Messern bei Jugendlichen. Die Grüne Verena Schäffer hat recht wenn sie rät: “Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass durch ein martialischeres Aufttreten weniger Angriffe auf Polizisten verübt werden.”
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