Das Kapital ist so überbevölkert, es weiss nicht mehr wohin, und versucht verzweifelt neue Planeten zu besiedeln. Einer ist der Gesundheits-“Markt”. Sie wissen ja: wenn Sie denken, Sie seien gesund, sind Sie nur noch nicht genug untersucht worden.
Andererseits haben wir uns oft genug geschämt, das eine oder andere Leid zuzugeben, eine unter Männern mehr als unter Frauen verbreitete Macke. Psychoerkrankungen sind insofern bis heute ein umstrittenes Thema geblieben, im privaten wie im öffentlichen Raum. Niemand will in einer Klappse/Irrenanstalt landen, das gilt als noch schlimmer als ein Altersheim. So bleibt solches Leid ins uns drin. Niemand spricht öffentlich darüber. Das vegetative Nervensystem schafft es oft, Psycholeid in körperliche Gebrechen zu übersetzen (z.B. “ich hab Rücken”); dann sind sie gesellschaftlich akzeptiert.
Ein Knoten war geplatzt, als Fußballnationaltorwart Robert Enke Selbstmord begangen hatte. Erstmals wurde offen über Depressionen gesprochen – ich erlebte das selbst an einem Bonner Marktstand, dass eine Erkrankte sich dazu bekannte, ähnlich im privaten Freundeskreis.
Mit der Intensität kapitalistischer Produktionsweise und Arbeitswelt haben diese Erkrankungen (“Burnout” und “Boreout”) nun so zugenommen, dass sie ökonomisch relevant sind und öffentlich diskutiert werden müssen. Die Gefahr für uns ist nun, dass die Verantwortung dafür wieder auf uns individualisiert wird – bei Psychoerkrankungen ein politisch extrem wirksamer Hebel, der gesundheitlich allerdings mittel- und langfistig genau das Gegenteil bewirkt. Es wird schlimmer. Der Selbstoptimierungswahn grassiert – und macht uns weder gesund noch optimal, sondern noch kränker. Ganz wie Diäten zu mehr Übergewicht verhelfen.
Zwei Veröffentlichungen der letzten Woche waren dazu auffällig lesenswert: ein taz-Bericht über einen Psychotherapie-Kongress; und ein telepolis-Interview mit Psychotherapie-Hochschullehrerin Charlotte Jurk. Zum Weiterdenken, ein Wachstums-Thema.
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