Die nach gefühlter Selbsteinschätzung “Nr. 2” des deutschen Fußballs, der BV 09 Borussia Dortmund, wächst zum grössten Krisensymptom der deutschen Bundesliga heran. Eine historische Marke war gesetzt, als seine Mannschaft kürzlich zum ersten Mal seit Jahrzehnten von der Südtribüne des Westfalenstadions persönlich, die Süd hier als eine Person, für eine schlechte Leistung ausgepfiffen worden war. Ein Glücksfall, dass das gestern ein Auswärtsspiel war.

Zum ersten Mal seit vier Jahren soll das operettenhafte Ministadion in Salzburg gestern ausverkauft gewesen sein. Obwohl die Heimmannschaft dort laut Spiegel-online seit 34 Spielen ungeschlagen sein soll, hat sie es nie vollgekriegt. Von Dortmund aus gesehen zum Auslachen. Und ausgerechnet die Lohnarbeiter eines egozentrischen rechtsradikalen österreichischen Brausemilliardärs zeigten dann gestern Abend einen leidenschaftlicheren Fußball, als der “Echte Liebe”-BVB.

Die Lokalpresse im Ruhrgebiet macht es sich einfach, und will statt dem Östrerreicher Stöger den Salzburger Trainer Rose kaufen. Doch der Fisch stinkt vom Kopf her. Unter der Regie von Sven Mislintat hat der BVB in den letzten Jahren datenbasiert europaweit Talente gescoutet und nach Dortmund geholt. Mislintat ist zu Arsenal abgewandert – ich bin mir unsicher, für wen das gut und für wen das schlecht ist. Der BVB hat einen konzerngrossen Apparat aufgebaut und ist ein bedeutender Umsatzträger und Arbeitgeber seiner Stadt. Für die fussballarbeitenden Menschen ging dabei der Blick verloren. Eine Mannschaft ist nicht die mathematische Summe der Leistungsdaten ihrer Spieler. Sondern ein komplexes soziales Gebilde. Die Charaktere der Talente müssen zusammenpassen und harmonieren. Das zu erreichen erfordert Menschenkenntnis und sozialpsychologisch erstklassige Fähigkeiten und Talente – nicht nur vom Trainer, sondern von der gesamten sich in den Medien regelmäßig einen schlanken Fuß machenden Vereinsspitze, ihrer Menschenführung, ihrem Management.

Einer guten Fußballmannschaft muss es gelingen, das Geschäft, die ökonomische, gesellschaftliche Realität im Kopf der Spieler auszublenden. Sie dürfen sich nicht als Konkurrenten betrachten, sondern sollen sich aufeinander freuen. Da kann ein Neymar weniger ein Vorteil sein.

Das fehlt. Nicht nur in Dortmund.
Wenn das unrealistische Träumerei ist, dann ist es so. Wie gestern in Salzburg.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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