Heute war der Termin, von dem ich jüngst beschrieben habe, wie ich ihn mir verschafft habe. Das Erlebnis Bürger*innen*amt Beuel könnte im Vergleich zum “Dienstleistungszentrum Stadthaus” nicht kontraststärker sein. Die Warteatmosphäre drüben auf der anderen Rheinseite stellt das Freitagschaos im DB-Reisezentrum oder beim Arbeitsamt (dort ist keins mehr, aber vielleicht im Jobcenter) weit in den Schatten. Wartezeiten von über einer Stunde sind keine seltene Ausnahme.

Wie anders in Beuel. Termine sind dort nur 14 Tage im voraus online buchbar und auch nur an zwei Tagen in der Woche vorgesehen. Bei der Grösse der Bürofläche frage ich mich: was passiert an den anderen Tagen? Wird auf mehreren hundert Kubikmetern die Luft beheizt? Heute erwarteten mich und eine wartende junge Mutter mit Säugling zwei Mitarbeiter*innen. Ich wurde 5 Minuten vor meinem Termin aufgerufen; die junge Frau war 20 Minuten zu früh, wurde aber ebenfalls vorzeitig eingeschoben.
Meine Beantragung eines Reisepasses, die das Onlinesystem jüngst bei einer verbleibenden Öffnungszeit von 30 Minuten im Stadthaus abgelehnt hatte, weil für “dieses Anliegen zuwenig Zeit” bestünde, dauerte exakt 6 Minuten (inkl. freundlicher Begrüssung und Verabschiedung). Ich war also 1 Minute nach meinem Termin schon wieder draussen.

Stadtdirektor Fuchs (CDU) hat mit der Umorganisation des “Bürgerservice” vermutlich das grösste Desaster seiner Karriere produziert. Die nichtöffentliche Organisationsuntersuchung, die diesem Desaster vorausging, habe ich gelesen. Ihre Bestandsaufnahme war realistisch. Die alten Niederlassungen der Bürger*innen*ämter waren definitiv nicht überlastet. Rationalisierung und Arbeitsverdichtung waren möglich. Der Widerstand der Bezirksvertretungen und Bezirksbürgermeister*innen war egomanisch auf eigene Macht- und Ressourcen-Reviere orientiert.
Was am Ende aber dabei rausgekommen ist, ist typisch für die undemokratischen und autistischen Kommandostrukturen deutscher Bürokratie. Ein Erfahrungsaustausch und gemeinsame Entwicklung mit Beschäftigten und Bürger*innen wird als unnötig belastender Kommunikationsstress aufgefasst. Unter dem Ergebnis leiden dann nicht die, die das Kommando verfügen, sondern all die, die nicht gefragt wurden. Fragen Sie mal unsere zahlreich in Bonn mit uns lebenden Einwanderer*innen – die hätten uns das Desaster voraussagen können.

Für mein heutiges Erlebnis in Beuel hätte ich auch 15 Minuten mehr Fahrradfahrt zu einem anderen Standort inkauf genommen. Der Ort ist nicht entscheidend – die Entfernung zwischen Stadthaus und Rathaus Beuel beträgt zwei ÖPNV-Haltestellen. Das Erlebnis wie ich behandelt werde, die Atmosphäre in der ich mich aufhalte – “Dichtestress” sagen sie in der Schweiz – ist entscheidend. Da ist in Beuel noch viel beheizte Luft nach oben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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