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Kirchenprivilegien endlich eingeschränkt

Das heutige Urteil des Europäischen Grichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht ist ein erster Schritt, um zwei der größten Arbeitgeber in Deutschland zu zwingen, sich endlich im Arbeitsrecht  Demokratie und Grundrechte zu akzeptieren und nicht mehr Arbeitnehmer vor allem in sozialen Bereichen aufgrund ihrer Nicht- oder Andersgläubigkeit zu diskriminieren. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union hat die heutige Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur gerichtlichen Überprüfbarkeit von Sonderregeln des deutschen Kirchenarbeitsrechts (C-924/16) deshalb begrüßt. Der Entscheidung lag eine Beschwerde Vera Egenbergers zugrunde, die sich 2012 auf eine Projektstelle des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung beworben hatte. Vorrangige Aufgabe der ausgeschriebenen Position war die Koordination und Erstellung eines Antirassismusberichtes; in der Ausschreibung wurde von den Bewerber/innen die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche bzw. einer der Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen angehörenden Organisation gefordert. Dagegen hatte die Beschwerdeführerin geklagt; das damit befasste Bundesarbeitsgericht hatte dem Europäischen Gerichtshof zentrale Fragen zur Reichweite des Religionsvorbehalts im deutschen Antidiskriminierungsrecht vorgelegt.

Zu der heutigen Entscheidung des Gerichtshofs der EU erklärt Kirsten Wiese vom Bundesvorstand der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union: “Der Gerichtshof hat erstaunlich deutlich formuliert, dass besondere Ausnahmen vom Allgemeinen Diskriminierungsverbot (und anderen innerhalb der Union geltenden Grundrechten) für kirchliche Arbeitgeber im vollem Umfang von den Gerichten überprüfbar sein müssen. Es reicht künftig nicht mehr aus, dass sich Kirchen auf ihr sogenanntes Selbstbestimmungsrecht und das Sonderprivileg aus § 9 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) berufen, um die Religionsfreiheit oder andere Grundrechte von Bewerber/innen oder Mitarbeiter/innen einschränken zu können. Sie müssen vor Gericht begründen können, warum diese Einschränkungen erforderlich, durch die vorgegebenen Aufgaben objektiv geboten und auch angemessen sind.” Zugleich stellte das Gericht klar, dass nationales Recht wie die zitierte Pauschalfreistellung der Kirchen vom Diskriminierungsverbot im AGG den europäischen Vorgaben der individuellen Religionsfreiheit und des religiösen Diskriminierungsverbots widersprechen und deshalb nicht zulässig sind.

Die Humanistische Union setzt sich seit Jahrzehnten für die Abschaffung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts in Deutschland ein. Die zweifellos gebotene religiöse Bindung von Leitungspositionen und Stellen im verkündungsnahen Bereich kann – wie bei allen anderen Tendenzbetrieben (etwa Parteien und NGOs) – durch die allgemeinen Vorschriften des Arbeitsrechts gewährleistet werden. “Die vom Europäischen Gerichtshof heute verkündeten Leitlinien beschränken das deutsche Sonderarbeitsrecht der Kirchen wieder auf jenes Maß, das von der deutschen Verfassungslage ohnehin vorgegeben ist“, so Wiese. “Die von den Kirchen vertretene Position, sie allein könnten darüber entscheiden, ob und von welchen Mitarbeiter/innen sie eine konfessionelle Bindung einfordern, findet in der Verfassung nämlich keine Grundlage.” Artikel 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung, auf den sich die Kirchen für ihr Selbstbestimmungsrecht berufen, enthält eine klare Grenze, die häufig unterschlagen wird. Er besagt: “Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Die Humanistische Union hat die Beschwerde von Vera Egenberger durch einen Rechtsbeistand nach § 23 AGG unterstützt.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Harald Möller

    Wenn man die Entscheidung weiter denken würde könnte sich zum Beispiel ein Mitglied der NPD bei der “Linkspartei” bewerben und müsste dann, falls er keine Vorstrafen hat, eingestellt werden, denn Religionsgemeinschaften sind eigentlich nichts anderes als Weltanschauungsgemeinschaften. Diese sind, im rechtlichen Sinne, vergleichbar mit Parteien, die auch bestimmte Weltanschauungen vertreten. Ob alle, die jetzt jubeln im Zweifelsfall bei einer Entscheidung, die Parteien betreffen, auch noch jubeln ist eher fraglich.

  2. Roland Appel

    Dieser Vergleich ist abwegig, weil er quasi unterstellt, die Katholische Kirche müsse einen Rabbi als Priester einstellen, wenn er sich bewirbt. Bei Kirchen als Arbeitgeber geht es darum, dass hunderttausende Mitarbeiter*innen in der Pflege, in Kindergärten, Krankenhäusern und Altenheimen, speziell in NRW auch in Konfessionsschulen, vorwiegend soziale und öffentliche Aufgaben erfüllen, die auch an Nicht- oder Andersgläubigen verrichtet werden und – das ist entscheidend – aus öffentlichen Mitteln, also Steuergeldern bezahlt werden.
    Die katholischen Gemeinschaftskrankenhäuser in Bonn sind da übrigens viel aufgeklärter: Bei meinem kürzlichen Krankenhausaufenthalt betreute mich ein freundliche und kompetente muslimische Nachtschwester. Ich fand es bemerkenswert, dass sich heute in den Medien vor allem die evangelische Kirche über das Urteil aufregte.

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