von Gaby Küppers
Vor den Wahlen ist Mexiko in jeder Hinsicht durcheinandergeschüttelt
Am 16. Februar 2018 bebte in Mexiko die Erde. Sieben Komma Zwei, meldete die Richterskala. Damit war der Ausschlag vergleichbar mit dem im September 2017. Auch damals lag das Epizentrum in Oaxaca, einem der ärmsten Bundesstaaten im Süden Mexikos. Nach den Verwüstungen, die selbst die ferne Hauptstadt betrafen, sprach man seinerzeit von einer nationalen Katastrophe. Das neuerliche Beben schien geradezu eine Versinnbildlichung des politischen Erdbebens, das derzeit das Land erschüttert. Sogenannte Megawahlen am 1. Juli und das Zauberwort AMLO lassen bei den einen je nach Interessenslage Befürchtungen oder Hoffnungen aufkommen und andere vorab desillusioniert abwinken. Eine denkbar schwierige Gemengelage für Europaabgeordnete auf ihrer zehnten Delegation in den letzten acht Jahren. Zwei waren gekommen, um ein Ende der Verschleppungen und Verschleierungen bei der Aufklärung des Mordes an zwei Menschenrechtsaktivist*innen aus Mexiko und Finnland im April 2010 anzumahnen und exemplarisch ein Ende der Straflsigkeit einzufordern. Ein Dritter nahm vorab am vorausgehenden Gemeinsamen Parlamentarischen Ausschuss EU-Mexiko teil. Gaby Küppers schildert deren Erfahrungen in Mexikos Vorwahlkampfzeit.
“Ihr trefft auf ein Land in Auflösung. Das Jahr hat alles andere als vielversprechend angefangen“, schrieb ein Freund vor der Abreise. Das war noch vor dem Erdbeben. „Seit Neujahr gab es beim Staudammwiderstand in Acapulco/Guerrero elf Tote, drei davon durch direkte Polizeigewalt. In Cocula/Guerrero wurde der dritte Streikanführer im selben Konflikt ermordet, trotz Solidarität durch US-Gewerkschaften. In Michoacán müssen wir von gezielten Morden an der Umweltaktivistin Guadalupe Campanur ausgehen, wie auch beim Journalisten Carlos Domínguez in Tamaulipas. In Oxchuc/Chiapas wurden gerade drei Oppositionelle getötet, 17 verletzt, und 20 Personen sind verschwunden. In Oaxaca wird versucht, das Verschwinden des jungen Journalisten Agustín Silva als Familienangelegenheit zu verharmlosen.“
Und die allgemeine Gewalt? In Oaxaca werden im statistischen Mittel zwei bis drei Menschen täglich umgebracht. Im Februar 2018 sind es 15 in 24 Stunden. Eine Bankrotterklärung für jeden sozialen Zusammenhalt. Schöne Aussichten.
Steigende diffuse Gewalt ist eine Alltagserfahrung. Dass daneben die politisch motivierte Gewalt in die Höhe geht, ist für einen Staat mehr als bedenklich. In den ersten drei Monaten von 2018 wurden bereits wieder drei Journalisten ermordet. 2017 waren es insgesamt zwölf. Schon das war trauriger Rekord. Im selben Jahr wurden 48 Menschenrechtsverteidiger*innen außergerichtlich hingerichtet. Das heißt, der Staat war zumindest mitschuldig.
Bemühung um unabhängige indigene Kandidatur
Derzeit ist Wahlkampf und zwar in drei Teilen (Vor-, Interim- und eigentlicher Wahlkampf bis zum Wahltag am 1. Juli – wo gibt es das sonst?). Das Thema der massiv unter Druck stehenden Verteidiger*innen von Rechten, gerade auch Umweltrechten, indigenen und kommunalen Rechten, ist den meisten keine Rede wert. Wohl aber María de Jesús Patricio Martínez, genannt Marichuy. Ein Grund, den Aufenthalt in Mexiko mit einem Besuch einer ihrer öffentlichen Veranstaltungen zu beginnen. Am frühen Sonntagnachmittag, zehn Tage vor dem Stichtag für die Einschreibung der Kandidat*innen zur Wahl, steht Marichuy, Angehörige des Nahua-Volkes, auf einem Podium vor dem beeindruckenden Bellas-ARTEs-Gebäude im dank Diego Riveras famosen Freskos weltweit noch bekannteren Alameda-Park. Es geht um ihre Themen, aber auch um die Werbung um Unterschriften zur Zulassung ihrer Kandidatur. Rechts und links von ihr sitzen ausschließlich weibliche consejalas, Gemeinderätinnen, um die Stoßrichtung der Kampagne der einzigen indigenen und parteiunabhängigen Kandidatin zu betonen. Getragen und unterstützt wird diese Kampagne von den Zapatistas und dem Nationalen Indigenenrat CNI. Die consejalas sprechen von Landvertreibung, vom nicht umgesetzten Recht auf Wasser, von Frauenrechten. Zwei, drei Professoren, bekannte Historiker und Anthropologen, halten flmmende Reden. Der Autor Juan Villoro betont in einer klugen Rede die Notwendigkeit einer unabhängigen indigenen Kandidatur gegen die von Korruption zerfressenen Parteien.
Aber die Stimmung bleibt verhalten, vor dem Bellas-ARTEs-Gebäude haben sich kaum mehr Leute versammelt, als wenn Marichuy vor der mexikanischen Community und Solidaritätsbewegten in Berlin aufgetreten wäre. Als glaube man selbst nicht, dass sie es schafft, die für eine unabhängige Kandidatur notwendigen Unterschriften von mindestens einem Prozent der Wahlberechtigten in 17 Bundesstaaten zusammenzubekommen, was mindestens 866000 Signaturen erfordern würde. Tatsächlich sieht die Registraturprozedur vor, mittels einer App seinen Ausweis zu scannen und zu unterschreiben. Doch wer hat in Indígenaregionen ein Handy neuester Generation? Da gibt es oft nicht einmal Strom, geschweige denn ein Internetsignal. Das ist allgemein bekannt und wird erstaunlicherweise allgemein hingenommen. Tja, Indigene sind eben abgehängt. Ist so.
Aber es kommt noch schlimmer. Am Folgetag hat die Karawane Marichuys im Bundesstaat Baja California einen Unfall – warum auch immer. Eine consejala stirbt. Marichuy kommt mit einem gebrochenen Arm davon.
Monsanto-Mann im Schattenkabinett
Die Kandidatin der Indigenen hat am Stichtag erwartungsgemäß nicht die nötige Zahl an Unterschriften bekommen, um sich für die Präsidentschaft Mexikos zu bewerben. Am Ende werden vier Kandidat*innen antreten: für die PRI José Antonio Meade, bis vor kurzem dreimal Minister (für Finanzen, für Soziale Entwicklung, für Äußeres). Mit ihm bewirbt sich erstmals ein Nicht-PRI-Mitglied für diese Partei. Für eine kuriose Allianz aus der konservativen PAN sowie der ehedem sozialdemokratischen PRD kandidiert Ricardo Anaya. Der Versuch, mit einem jungen Gesicht zu punkten, scheint aber nicht sehr erfolgversprechend. Eine zweite konservative Kandidatin ist Margarita Zavala. Die Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Felipe Calderón verließ die PAN im Streit, nachdem sie nicht aufgestellt wurde.
Sowohl aus der PRI wie aus der PAN und der PRD wechseln jetzt bereits teils prominente Mitglieder zur aus der PRD hervorgegangenen MORENA-Partei von Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO. Ihm wird in seiner dritten Präsidentschaftskandidatur in den meisten Umfragen ein Sieg vorhergesagt. Für die einen der Chávez Mexikos, ist er für viele Linke mehr und mehr das kleinere notwendige Übel, um einen weiteren Rechtsruck in Lateinamerika zu stoppen, und für manche von ihnen trotzdem schon nicht mehr wählbar. Tatsächlich ist AMLOs Wahlprogramm schwammig, ökonomisch eher links, ethisch-moralisch sehr konservativ. Zu seinem Schattenkabinett gehört als künftiger Agrarminister Victor Villalobos, ehemaliger Mitarbeiter von Monsanto und Gen-Verfechter.
Der Montag des Unfalls der Karawane von Marichuy ist nicht nur ein Unglückstag für die verhinderte Kandidatin. In einem Gespräch mit Aktivist*innen geht es um die aktuelle Politik im Umfeld steigender Gewalt. Im Zentrum der Diskussionen steht das umstrittene, im Dezember 2017 verabschiedete Gesetz zur Inneren Sicherheit. Kurz gesagt soll das Militär dem neuen Gesetz zufolge künftig legal polizeiliche Aufgaben übernehmen. Warum wird stattdessen die Polizei nicht besser ausgebildet und ausgestattet, werfen unsere Gegenüber ein. Warum soll ausgerechnet diejenige Instanz mehr Kompetenzen bekommen, die verantwortlich ist für die steigende Zahl an Menschenrechtsverletzungen? Nicht nur Aktivist*innen fragen das. Die eher behäbige, als staatstragend angesehene Nationale Menschenrechtskommission CNDH sowie Städte wie Cholula, staatliche Ombudsmänner und –frauen und Jurist*innenverbände haben sogar Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingelegt.
Am späten Abend nimmt Josep-Maria Terricabras, Europaabgeordneter von der katalanischen Esquerra Republicana in der Fraktion der Grünen/EFA, zu diesem Komplex Stellung. Er wird in ihrer täglichen TV-Sendung in CNN befragt von Carmen Aristegui, wegen ihrer kritischen Analysen vom offiiellen Fernsehen gemobbt und geschasst, von Verfahren überzogen, aber landesweit heißgeliebter Star des kritischen Enthüllungsjournalismus. Sie will wissen, was er von der Modernisierung des Freihandelsabkommens EU-Mexiko, der bisherigen Menschenrechtsklausel im Abkommen und der herrschenden Straflosigkeit hält. Terricabras befürwortet umstandslos Sanktionen gegen Mexiko, da sich unter der bisherigen, folgenlosen Klausel seit 2000 die Menschenrechtssituation stetig verschlimmert habe.
Schüsse auf Mitglieder des Indigenarats in Oaxaca
Fast gleichzeitig mit Carmen Aristeguis Anmoderation fallen im Süden Mexikos Schüsse. Mitglieder des Indígenarats von Oaxaca CODEDI befiden sich im Auto auf dem Rückweg in ihre Gemeinde. Auf Einladung der Regierung waren sie zu einer Besprechung in der Hauptstadt des Bundesstaats gewesen. Ein Auto nähert sich dem CODEDI-Wagen und überholt. Jemand zielt auf die CODEDI-Mitglieder. Drei von ihnen werden erschossen, ein vierter, der CODEDI-Führer Abraham Ramírez Vázquez, döst auf der Rückbank. Vermutlich sollte er getroffen werden. Er wird später bestätigen, dass die Angreifer Uniform trugen. Seither ist sein Leben in Gefahr. Die Regierung Oaxacas, die zu der Sitzung mit tödlichem Ausgang geladen hatte, hat sich nie zu dem Vorfall geäußert.
Zurück nach Mexiko-Stadt und Cuernavaca. Die offiielle Delegation des Europäischen Parlaments interessieren auf ihren Sitzungen gemeinsam mit ihren mexikanischen Kolleg*innen diese Art „Niederungen“ nicht, sie bewegen sich in anderen Sphären. Die Abgeordneten diskutieren nämlich mit dem mexikanischen Chefunterhändler Ildefonso Guajardo die Modernisierung des EU-Mexiko-Abkommens und wie man dessen Abschluss beschleunigen könne. Da geht es um wichtige Fragen wie wer das Recht hat, einen bestimmten Käse Manchego zu nennen. Manchego gibt es hüben wie drüben. Die EU-Unterhändler*innen beanspruchen den Namen für sich, die Mexikos ebenfalls. Eine Abgeordnete aus Spanien ereifert sich: Warum auch hätten sich die Mexikaner Anfang des 19. Jahrhundert vom Mutterland losgesagt, ohne auch gleich dem Käse einen anderen Namen zu geben? Dann gäbe es den Streit um die Namensalleinvertretung jetzt nicht. So manche eineR schämt sich. Man ist versucht, für die Mexikaner*innen Partei zu ergreifen. Doch die vordergründigen Ränke um Partikularinteressen verstellen nur die Sicht darauf, dass mit dem Abkommen das unter Präsident Peña Nieto ultraliberal umgekrempelte Wirtschaftsmodell ein für alle Mal festgeschrieben werden soll.
Vater eines Gouverneurs finanziert Paramilitärs
Die Machtgruppen halten dazu ihre Reihen fest geschlossen. Das zeigt sich auch im Fall der verhinderten Aufklärung der Morde an Jyri Jaakkola und Bety Cariño. Die grüne Fraktionsvorsitzende im EP Ska Keller und die ehemalige Europa- und jetzige finnische Abgeordnete Satu Hassi reisen zur zweiten Wochenhälfte an und müssen feststellen, dass auch nach fast acht Jahren die jetzige Regierung Mexikos weiterhin darauf setzt, in der ihr verbleibenden Zeit bis zur neuen, vermutlich nicht mehr von der PRI gebildeten Regierung Straflosigkeit zu gewährleisten. In vielen Staaten wird am 1. Juli ein neuer Gouverneur gewählt. In Oaxaca bleibt noch bis 2022 die PRI an der Regierung. José Murat, der Vater des aktuellen Gouverneurs von Oaxaca, Alejandro Murat, hatte die paramilitärische Truppe namens UBISORT gegründet und finanziert, die für die Morde an Jyri Jaakkola und Bety Cariño verantwortlich ist – das hat selbst die zumeist inaktive Nationale Staatsanwaltschaft PGR zugegeben.
Die Lage ist für die nationale Regierung somit nicht einfach. Soll sie der PRI-Landesregierung in Oaxaca den Rücken decken, oder soll sie auf Rechtstaatlichkeit und endlich ein zügiges Verfahren pochen?
Ein Treffen zwischen den Abgeordneten und den verantwortlichen Stellen der mexikanischen Regierung macht zumindest stutzig. Der mexikanische Gesprächsleiter des Treffens macht erstaunliche Vorschläge, was man alles in die Wege leiten könnte. Jedoch: Gab es bislang noch nie eine Koordination zwischen den staatlichen Stellen der Regierung Mexikos und dem Bundesstaat Oaxaca? Ist es eine total neue Idee, nach knapp acht Jahren, sich mit beiden Seiten, also auf bundesstaatlicher und föderaler Ebene, mal zusammenzusetzen? Werden wir den netten Menschen mit den tollen Ideen aus dem Außenministerium je wiedersehen?
Staatsanwaltschaft führt Haftbefehle nicht aus
Was für eine Komödie wird hier auf wessen Kosten gespielt? Etwas perplex erfahren wir, dass die Generalstaatsanwaltschaft (PGR) leider die 2012 ausgestellten Haftbefehle nicht ausführen konnte. Und zwar, weil sie diese nie auf den Schreibtisch bekommen habe und die von den Anwälten (!) aufgearbeiteten und zur Verfügung gestellten Aufenthaltsorte der Gesuchten nicht kenne („Könnt Ihr vielleicht überhaupt oder nochmals diese Angaben schicken?“, wird da gefragt)! Aber hallo – sollte man nicht einfach sagen: „Wieso macht die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit nicht?“ Oder direkt konstatieren: „Mexiko hat kein Rechtssystem“?
Das hieße wiederum für die europäische Seite: Stopp der Verhandlungen zur Modernisierung eines Freihandelsabkommens. Aber das ist an diesem Ort gerade nicht das Thema. Die Abgeordneten schieben den Handelsaspekt fürs Erste beiseite und konzentrieren sich auf den Stand des Verfahrens in der Mordsache Jyri und Bety.
Schnell wird deutlich: im Vergleich zu den Vorjahren hat die Regierung ihre Taktik geändert – da der Generalstaatsanwalt vom Präsidenten ernannt wird, ist eine Unabhängigkeit der Justiz nicht zu erwarten. So wurde überraschenderweise im Februar das erste Urteil im Mordfall Jyri/Bety gesprochen: Juan Macario Bautista wurde zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Niemand, weder die Anwält*innen noch Zeug*innen, waren bei der Verhandlung anwesend oder überhaupt von dem bevorstehenden Urteil informiert. Der Vorteil des dubiosen Verfahrens: nun könnte der Vorwurf der Straflsigkeit hinfällig sein, somit ein Gang zur Interamerikanischen Menschenrechtskommission unmöglich werden. Diese kann nämlich nur angerufen werden, wenn alle innerstaatlichen Verfahren ausgeschöpft oder verstopft sind. Das Risiko besteht nicht, meinen die Anwält*innen. Denn das Verfahren gegen Bautista habe keinen rechtsstaatlichen Normen entsprochen.
Die Anwält*innen fürchten eher, dass Bautista bald freikommt. Und dass auch die übrigen fünf Einsitzenden bald pro forma ab geurteilt werden, dann Rechtsmittel einlegen und freikommen. Damit könne der Gouverneur seine Hände in Unschuld waschen und das Verfahren wäre vom Tisch. Dass weitere Verdächtige festgenommen werden, ist nach den Erfahrungen bei dem Treffen mit den Behörden in Mexiko-Stadt eher unwahrscheinlich.
Kein Gespräch mit Gouverneur – stattdessen: Erdbeben
Nach den kuriosen Begegnungen in der Hauptstadt fahren die Europaabgeordneten, begleitet von den in dem Fall durchaus engagierten Botschaften der EU und Finnlands, nach Oaxaca. Schon weit im Vorfeld hatten sie um ein Gespräch mit dem Gouverneur des Bundesstaats gebeten. Sie wollen Zeugenschutz anmahnen sowie eine Zusammenlegung der Verfahren. Für ein einziges Verbrechen alle Verdächtigen einzeln vor Gericht zu stellen, war zweifellos lediglich ein Schachzug, um zu verschleppen und zu verschleiern. Dazu sollte dem Wunsch der Europaabgeordneten nach der Gerichtsort Oaxaca-Stadt sein, um Zeug*innen und Anwält*innen eine sichere Anwesenheit zu ermöglichen – derzeit sind die Gerichtsorte ohne materiellen Grund über Oaxaca auf Orte mit hoher Gewalt verteilt. Doch es kommt nur zu einem Termin mit einem offensichtlich an dem Fall desinteressierten Gerichtspräsidenten. Zu dem vage gehaltenen Treffen mit dem Gouverneur – „vielleicht heute Abend!“ – kommt es nicht. Um halb sechs bebt am Freitag die Erde in Oaxaca. Alejandro Murat entscheidet, mit dem Innenminister Mexikos, Alfonso Navarrete Prida, in einem Hubschrauber des Verteidigungsministeriums ins Epizentrum zu fliegen, um sich ein Bild vom Ausmaß der Schäden zu machen.
Murats Ausflug macht die Schäden noch wesentlich größer. Aus unbekannten Gründen – angeblich war es dunkel und staubig – fällt der Militärhubschrauber beim Landeanflug auf geparkte Kleinbusse, in die sich Erdbebengeschädigte für die Nacht zurückgezogen hatten. Die Bilanz: 14 Tote, etliche Verletzte. Beim Erdbeben war niemand ums Leben gekommen. Der Verteidigungsminister übernimmt die Verantwortung für den seltsamen Absturz, bei dem die Insassen des Hubschraubers unverletzt blieben. Von Entschädigungen ist die Rede. In Oaxaca glaubt niemand, dass der Crash je aufgeklärt wird. Auch nicht, dass die Entschädigungen je bei den Opfern ankommen.
Lange Liste strafloser Verbrechen
Für die vorgesehene Protestveranstaltung am Sonntag ist damit ein weiteres Thema hinzugekommen. Ein Bündnis von Aktivist*innen hat Journalist*innen, Bewegte und Geschädigte auf den Zócalo, den Hauptplatz von Oaxaca-Stadt, gebeten. Hinter drei Särgen mit Kreuzen, auf denen die Namen der drei getöteten CODEDI-Mitglieder stehen, prangern Vertreter*innen verschiedener Organisationen direkt vor dem Gouverneurspalast Menschenrechtsverletzungen an: die Repression gegen CODEDI in Zeiten, wo Indigene Bergbauprojekten weichen sollen; Unrecht gegen Mitglieder der oppositionellen Lehrer*innengewerkschaft, die grundlos in Haft gehalten werden. Familienangehörige der 43 verschwundenen Lehramtsstudenten von Ayotzinapa fordern Aufklärung des Falles, der weltweit für Schlagzeilen sorgte.
Ein Plakat mit den Fotos von Jyri und Bety hängt gegenüber an der Wand des Gouverneurspalastes. Die Liste der straflos begangenen Verbrechen ist lang. Es wird wohl weiteren Druck aus Europa geben müssen. Vermutlich, um das Verfahren der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zu übertragen. Weil es in Mexiko keine Gerechtigkeit gibt, wenn Machtgruppen geschützt werden müssen.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 924, herausgegeben und mit freundlicher Genehmigung von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften nachträglich von uns eingefügt.
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