Aus Anlass des heutigen 100. Geburtstages von Nelson Mandela dokumentiere ich hier einen Text, den ich 2013 aus Anlass seines Todes für die ruhrbarone geschrieben habe. Unten ergänze ich einige aktuelle Hinweise und Anmerkungen im Update.

Mandela – viele deutsche Nachrufer heucheln

Ich bin zwar kein Freund von Personenkult, aber inhaltlich sind die meisten Mandela-Nachrufe zutreffend. Es gibt jedoch einen speziellen deutschen blinden Fleck. Mandela war viel zu großherzig darauf rumzureiten. Ich bin es nicht.

Ich habe das Ruhrgebiet wegen Südafrika verlassen. Ende 1976 begann ich meinen Zivildienst bei der Informationsstelle Südafrika (issa). Nach dem Ende des Zividlienstes wählte mich 1978 die bundesdeutsche Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) in ihren Vorstand. Es war eine menschlich und politisch unvergessliche Lebensphase für mich die mich bis heute geprägt hat. 21 Jahre lebte ich in einer Wohngemeinschaft (im Bergweg 21 in Beuel) mit Leuten, die sich dort ebenfalls engagiert hatten, über die Lebenszeit der mittlerweile aufgelösten AAB („Vereinszweck erfüllt“) hinaus. Zahlreiche südafrikanische ANC-Mitglieder, ebenso wie Frelimo-Leute aus Mosambik, SWAPO-Leute aus Naimibia u.v.a. waren bei uns Übernachtungsgast, u.a. die spätere erste ANC-Parlamentspräsidentin Frene Ginwala. In der DDR waren sie Staatsgäste, in der BRD schliefen sie bei uns zuhause auf Matratzen in Bonn-Beuel, immer beobachtet vom BND, wie uns unser Briefträger Heinz bei einem Gläschen Schnaps ebenso regelmässig berichtete, wie es unsere Vermieterin Frau Kolbe tat, gebürtig aus Recklinghausen und mit rechtschaffenem Zorn auf Franz-Josef Strauß.

1978 organisierten wir einen „Internationalen Kongreß gegen die atomare Zusammenarbeit BRD-Südafrika“ im Schulzentrum Pennenfeld in Bonn-Bad Godesberg. 500 Gäste aus aller Welt kamen; offizielle Delegationen der UN, der Organsation für Afrikanische Einheit (OAU, heute: Afrikanische Union), aller Frontstaaten (Angola, Mosambik, Sambia, Tansania), sowie die Führungen von ANC (Südafrika), SWAPO (Namibia) und ZANU und ZAPU (Zimbabwe) waren hochrangig und vielköpfig vertreten. Ein bis vor kurzem als Pressesprecher von „Straßen.NRW“ fungierender Genosse des Sozialistischen Büros verwehrte Rudi Dutschke zunächst den Einlaß, weil er ihn nicht erkannte. Der Kongreß kritisierte und verurteilte die damalige kontinuierliche Zusammenarbeit der Bundesregierung und zahlreicher westdeutscher Konzerne mit dem südafrikanischen Apartheidregime. So wie es damals regelmässig die UNO-Vollversammlung und die Gipfeltreffen der OAU taten. Nur: in der BRD wurde darüber nicht berichtet.

Damals war es noch möglich, Sachverhalte totzuschweigen. Heute nicht, darum schreibe ich es hier.

Aus Anlass des beschriebenen Kongresses gab die damalige SPD/FDP-Bundesregierung eine Broschüre für die Bonner Hauptstadtpresse heraus, in der sie behauptete, dass Mandelas ANC ebenso wie die bundesdeutsche AAB „von Moskau gesteuert“ seien.

Davon liessen sie auch bis in die 80er-Jahre nicht ab.

Mein damaliger Wohngenosse Wolff Geisler, heute praktischer Arzt in Köln-Porz, hat seinerzeit die meisten Sachverhalte gemeinsam mit Frene Ginwala recherchiert. Es wurden Broschüren und andere Druckwerke in großer Zahl veröffentlicht. Die Weltöffentlichkeit war beunruhigt. Sollte Südafrika mit deutscher Hilfe an Atomwaffen kommen? Ganz vorne mit dabei: unsere Essener Steinkohlen- und Elektrizitäts-AG (Steag). Die sollte mal ihre diesbezüglichen Archive öffnen. Das wäre sicher interessant. Geisler traf in den 80er Jahren mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden und früheren Bundeskanzler Willy Brandt in der Radio-Bremen/NDR-Talkshow „III nach Neun“ zusammen und stellte ihn mit viel Faktenwissen zur Rede. Brandt flippte völlig aus und brüllte ihn in der Livesendung nieder, wie es sonst nie vom ihm zu sehen war. Ich habe eine inzwischen verschlissene VHS-Cassette (Geisler hat mittlerweile eine digitalisierte Aufzeichnung) dieser – natürlich nie wiederholten – Sendung vielen befreundeten SPD-Mitgliedern vorgespielt, die nicht glauben konnten, dass das wirklich ihr angebeteter Willy war. (Videoclips auf YouTube: Teil 1, Teil 2) Natürlich wird nichts davon in den nächsten Tagen anlässlich des 100. Geburtages von Brandt zur Aufführung kommen. So wenig, wie die atomare Zusammenarbeit der BRD mit dem Apartheidregime bisher Gegenstand einer geschichtlichen Aufarbeitung wurde. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Es hat bei den Verhandlungen um die Beendigung des Apatheidregimes in den 90er Jahren dann einige Deals gegeben. Egal wie sie gestrickt waren – sie haben einen Bürgerkrieg vermieden und damit viele Menschenleben erhalten. Mandela und der ANC mussten sich dabei für die Integration Südafrikas in den kapitalistischen Weltmarkt und das IWF- und Weltmarktsystem entscheiden. In Naomi Kleins Buch „Schockstrategie“ wurde das meiner Meinung nach schlüssig beschrieben. Trotz dieser Kritik bin ich der Meinung, das Mandelas und des ANC Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt richtig war. Es ging nicht anders. Wer Mandela also wirklich ehren will, hat noch was zu tun. Die Welt ist noch nicht fertig damit.

Update 18.7.2018: Ich habe wahrgenommen, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD sich an Mandela-Gedenkaktivitäten in Bonn beteiligt. Glaubwürdig ist das, wenn es mit einem kräftigen Schuss Willy-Brandt- und Selbstkritik verbunden wird.
Der DLF sendete ein “Kalenderblatt” von Birgit Morgenrath. Sie war ebenfalls engagiertes Mitglied der deutschen Anti-Apartheid-Bewegung.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net