Bettina Gaus hat mit ihrem Beitrag eine Frage, die für die Zukunft der Freiheit und der Demokratie kostitutiv ist, viel zu defensiv und der Schwere des Sachverhalts unangemessen bescheiden behandelt. Die Forderung nach Anonymität im Netz ist und war noch nie eine bürgerrechtliche Forderung. Bürgerrechtliche Forderungen waren und SIND Meinungsfreiheit, Zensurfreiheit, Pressefreiheit, gleicher, sowie informationelle Selbstbestimmung, das bedeutet, dass ich wissen muss und darf, wer wann was warum über mich weiss – das Grundrecht, das sich direkt aus Artikel 1 GG, der Menschenwürde ableitet, das Recht auf Korrektur falscher Daten und das Recht auf Vergessen- aus der EU-Datenschutz-Grundverordnung DSGVO.

Von einem Recht, andere anonym zu beleidigen oder mit shitstorms zu überziehen, sie zu verleumden oder von Schülern ebensolche zu mobben, war nie die Rede. Auch im Internet gilt wie im richtigen Leben, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo seine Freiheitsausübung die Freiheit des Anderen einschränkt. Und komme mir nun keiner, dies gelte nicht für die USA, denn auch die Verfassung der USA garantiert die Menschenwürde.

Womit wir es zu tun haben – und wozu es auch bedauerlicherweise keine klaren Vorstellungen der Linken gibt – ist der Missbrauch der Freiheit durch gezielte Überwachung und Ausbeutung des Verhaltens von Internet-Nutzern durch kommerzielle Datenkraken. Katika Kühnreich, die eine wissenschaftliche Arbeit über das Überwachungssystem der Chinesen geschrieben hat, bringt das in einem Interview auf den Punkt: Sie ist verwundert darüber, dass sich die Menschen, die sich bei einer Werbefirma (Facebook) freiwillig anmelden und ihr ihre geheimsten Gedanken und (in Spielen) Verhaltensmuster verraten, dann irgendwann wundern, dass sie manipuliert, ihre Daten missbraucht, verkauft und zur politischen Zerrüttung ganzer Gesellschaften – siehe Brexit und Trump, AfD und PEGIDA verwendet werden.  Das alles hat mit Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit überhaupt nichts zu tun. Diese Medien sind Asoziale Medien und ihre Tätigkeit hat System..

Große Teile der Linken – auch die Grünen und Liberalen – sind aber durch die angeblichen “Reichweiten” asozialer Medien so fasziniert, dass sie mitmachen, sie fördern, statt kritische Positionen zu ihnen zu entwickeln. Sie sehen – wie wir alle – derzeit zu, wie die Zeitungsverlage und damit die “4.Gewalt” der Demokratie aufgrund der Tatsache, dass die Werbemilliarden von Audi bis Zeiss, von Benetton bis Walmart die Taschen von Google und Facebook überquellen lassen, während seriöser Journalismus vor die Hunde geht. Indem wir alle als Individuen massenhaft diese Datenkraken benutzen, tragen wir zur Vertiefung ihrer Monopolstellung bei und selbst öffentlich-rechtliche Medien leisten Beihilfe, indem sie “diskutieren Sie mit uns auf Facebook” blöken und somit als naive Schafe Reklame für ihre eigenen Schlächter machen.

Wovon aus bürgerrechtlicher Sicht überhaupt nichts zu halten ist, ist genau das, was Maas und co. mit dem “Gesetz gegen Gewalt im Internet” versuchen – die asozialen Medien selbst zu Zensurinstitutionen zu machen, indem Hassmails, Kinderpornografie usw. gelöscht werden. Wer sich mal die Mühe gemacht hat, zu ermitteln, wer da handelt, kann nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Da durchsuchen in Fernost nach katholisch- und islamisch geprägten Ethiken junge Menschen für Hungerlöhne die asozialen Netze nach Pornografie, Gewalt, Strafrecht und Hassbotschaften, löschen mit Unverstand Ikonen wie das historische Foto der von Napalm der Amis verbrannten nackten Kinder im Vietnamkrieg oder Rubens-Bilder und die Autoren von Hassposts werden gelöscht, bleiben aber unbehelligt. Abgesehen davon, dass diese Menschen durch das Gesehene tief traumatisiert werden und keinerlei psychologische Hilfe oder Unterstützung erhalten. Das ist die hässliche “Backstage”-Fratze von Facebook und die Gesetzgebung, die das fördert, ist BULLSHIT! Und rechtstaatlich nicht akzeptabel, weil sie verhindert, was Bettina Gaus zurecht einfordert: Dass sich Straftäter für ihre Taten verantworten müssen!

Zwei Mittel sehe ich, dagegen vorzugehen:

1. Staatliche Regulierung. Das geht nicht national, aber mit der DSGVO hat die EU vorgemacht, dass es eine EU-weite Regulierung geben kann, die funktioniert und auf der aufgebaut werden kann! Es geht dabei jetzt nur noch um die Durchsetzung. Sie ist ein mächtiges Instrument, wenn man wirklich Zuckerberg und co. an die Wäsche gehen will.
Darüber hinaus muss das dann in internationale Verträge nach sich ziehen – wie gegen atomare Bewaffnung, gegen freiheitsgefährdende Manipulation. Das wäre mal ein interessantes Abkommen anstelle von TTIP, verhandelt zwischen EU und den USA!

2. Der Aufbau eines wirklichen sozialen Netzwerkes. Offensichtlich ist diese Art des Austausches – allerdings nicht mit Algorithmen, die der kommerziellen Ausspähung dienen – eine Art Grundbedürfnis im modernen digitalen Verfassungsstaat – gehört also, könnte man sagen zur Grundversorgung wie Wasser, Luft, Elektrizität, Radio und Medien – ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da es mit Privatheit zu tun hat, wäre es staatsfern und trotzdem unabhängig zu organisieren. Da ist der Gedanke naheliegend, dies öffentlich-rechtlich zu organisieren – kontrolliert nicht vom Staat, sondern von den gesellschaftlich relevanten Gruppen, wie in den Rundfunkgremien. Finanzierbar wäre das allemal: Zum einen wüssten die Menschen wieder, wofür sie ihre GEZ-Beiträge bezahlen und zum anderen wären die notwendigen Milliarden sofort verfügbar, wenn sie nicht mehr in die Taschen der semikriminellen Championsleague, FIFA und UEFA fließen müssten. Der Zugewinn an Demokratie ist wichtiger, als die Millionensummen für Ronaldo, Neymar, Lewandowski und co.!

Diese Diskussion müssen alle Demokraten führen, solange es noch Alternativen zu Google, Facebook, Fox News und Breitbart gibt!

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net