Deutsche Medien als Objekt nationaler Hauptstadt-Spindoktoren
Tina Hassel ist vom WDR benannte Chefin des ARD-Hauptstadtbüros. Sie macht ihre Arbeit nach meinem oberflächlichen Eindruck nicht überragend, aber seriös, und für Zuschauer*innen entschieden erträglicher, als es zuvor z.B. der konservativ-arrogante und stocksteife Rainald Becker getan hat. Über ihre Führungsqualitäten ist mir nichts Gutes oder Schlechtes bekannt; in der WDR/#metoo-Affäre spielte sie eine von aussen nur schwer bewertbare Nebenrolle. Heute berichtete die Hauptstadtkorrespondentin aus: Nigeria.
Das geht so: Bundeskanzlerin und/oder Aussenminister machen Staatsbesuch. Ausgewählt “wichtigen” Hauptstadtjournalist*inn*en wird angeboten mitzureisen. Das wird gerne angenommen, kommt man so doch mal raus aus dem miefigen Berlin und sieht was von der Welt. Alle werden in einen FLieger gepackt, und (spätestens dort) “gebrieft”, was die wichtigen Themen dieser Reise seien, und wie dieses und jenes Problem nach “deutschen Interessen” zu sehen ist. Und so wird dann auch – der Einfachheit halber, und um weiterhin solche Einladungen zu erhalten – berichtet. In einer professionell organisierten Reisegruppe, gemischt aus Politiker*inne*n, Diplomat*inn*en und Journalist*inn*en entsteht bei einer solchen Reise schmeichelnde Vertrautheit statt kritischer Distanz. Die Gewaltenteilung mit der „vierten Gewalt“ (Presse, Medien) wird aufgehoben.
Das sah dann z.B. so aus, dass wir bei einem Mali-Besuch der Leyen-Uschi vorwiegend gesehen haben, wie sie Bundeswehroffiziersköpfe streichelt, und wie tolle humanistische Arbeit unsere zu effizientem Morden ausgebildeten Landsleute dort leisten. Das hier oder das hier haben wir dabei nicht erfahren; es wurde (bis heute) nicht erwähnt.
ARD und ZDF haben in Afrika Korrespondent*inn*en-Standorte in Kairo (Ägypten; für den Nahen Osten), Nairobi (Kenia) und Johannesburg, die ARD ausserdem noch einen in Marokko. Das Riesengebiet Westafrikas mit dem bevölkerungsreichsten Land Nigeria – interessiert nicht. Jedenfalls nicht genug, um von dort eine journalistisch seriöse Berichterstattung zu organisieren. Die Afrika-erfahrene Sabine Bohland ist öfter dort; sie reist dann von Nairobi aus an – 5.300 km.
Vor Jahrzehnten, als die Dritten Programme noch mutig waren, hatte die WDR-Auslandsredaktion mal eine Reihe “Weltspiegel umgekehrt” produziert. Journalisten aus Asien, Afrika, Lateinamerika machten kritische Berichte über ihre Länder, mit ihren eigenen Augen. Das war abenteuerlich-spannend-informativ. Und wurde nie wiederholt.
Deutsche Medien bieten uns kein Fenster zur Welt. Ich behelfe mich mit der deutschen LeMonde diplomatique – ihre besten Artikel sind oft die aus dem französischen Original, dankenswerterweise ins Deutsche übersetzt. Sie erscheint nur monatlich. Ich sammle sie oft, und nehme sie auf Urlaubsreisen mit. Die meisten Texte verlieren nichts an Aktualität. Ihr Informationsgehalt ist gross und nachhaltig. Warum bekommen wir solche Qualität nicht für unser Gebührengeld? Es ist möglich.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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