Der Sachverhalt ist an sich eine Provokation: Der bisher heisseste Sommer der Klimaaufzeichnungen. Während Satellitenaufnahmen der schrumpfenden Poleisschollen, das Sterben der Gletscher in den Alpen, und anderen Hochgebirgen zeigen, verbrennen RWE, Vattenfall und co. in Deutschland wider alle Vernunft klimaschädliche Braunkohle. Die Kraftwerke, die mit Braunkohle befeuert werden, sind die dreckigsten CO² Scheudern des Planeten. Selbst manches chinesische Steinkohlekraftwerk arbeitet mit höheren Wirkungsgraden als Braunkohleöfen in der Lausitz und im Rheinland. Dabei werden diese eigentlich gar nicht mehr gebraucht, um die Energieversorgung zu gewährleisten, sie dienen ihren Eigentümern lediglich dazu, billige Extragewinne aus Exportstrom für die Konzerne auf Kosten der Umwelt liefern. Würden sie abgeschaltet, hätte die GroKo nicht das Problem, dass Deutschland die Klimaschutzziele für 2020 nicht mehr erreichen kann.
Eine Notwendigkeit, den Hambacher Forst mit seinem zum Teil in Deutschland einzigartigen Mischbestand an Laubbäumen abzubaggern, so räumt RWE selbst ein, besteht nicht. Wenn RWE doch rodet, dann angeblich nur, weil sonst die Ränder des Abbaubereichs nicht zu sichern sind. So wird die Räumung zusätzlich zu einem Symbol der sinnlosen Umweltzerstörung in Zeiten des Klimawandels. Die rigorose Unterstützung der RWE-Interessen durch die CDU-FDP-Koalition ist eine Provokation und ein Skandal. Das weiss auch die Kanzlerin. Eine Kohlekommission der Bundesregierung soll deshalb mit Betreibern und Bürgerinitiativen politisch diskutieren, wie es weitergehen soll, mit der Kohle und mit den Arbeitsplätzen in den betroffenen Regionen. Doch noch bevor sie richtig anfängt zu tagen, bevor alles auf den Tisch kommt, woraus sich ein Gesamtkonzept ergeben könnte, das der Klimaveränderung und einem sozialverträglichen Strukturwandel Rechnung trägt, prescht Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen im Interesse der RWE vor.
Um dabei nicht völlig politisch gegen die Wand zu fahren, hat sich die Landesregierung eine durchaus intelligente und konzertierte Strategie ausgedacht. Wer die Puzzleteile zusammengesetzt, stößt dabei auf eine Art ungeschriebenes “Drehbuch” der Räumung.
Seit Wochen werden in gezielten Hintergrundgespächen mit Journalisten und Kommunalpolitikern Informationen gestreut, die den Konflikt schüren und einen Keil in die Solidarität zwischen den verschiedenen Umweltschützern einserseits, den Bürgern am Tagebau und den Aktivisten vor Ort im Wald treiben sollen. So wurden in den vergangenen Wochen immer wieder seitens der Polizei einzelne Durchsuchungen im Wald durchgeführt, an deren Ende keine Verdächtigen, aber jede Menge gefährliche Gegenstände von Zwillen über Nägel bis zu schwerem Werkzeug präsentiert. Nicht nur von Tunneln, sondern von einem “ganzen Tunnelsystem” war die Rede. Wer etwa den “Bonner Generalanzeiger” las, konnte zum Schluss kommen, der Vietkong habe sich über Jahre im Hambacher Forst eingegraben, er drohe wie einst über die US-Army im Dschungel nun im Hambacher Wald über die das rechtmäßige Eigentum der RWE räumenden Polizisten und Baggerführer herfallen.
Allerdings kennen die Bürger, die gestern vor Ort eher bescheidene Menschenketten gebildet haben, weder die Guerilliatruppen, noch den untergrabenen Wald. Das “Tunnensystem” stellte sich als einige wenige Erdlöcher heraus. Der Verfassungsschutz stellt in Hintergrundgesprächen mit Journalisten die “Unterwanderung” von Initiativen wie “Ende Gelände” durch gefährliche und gewaltbereite Linksextremisten, darunter die “Interventionistische Linke” dar, deren “antikapitalistische Agitation” mit Gewaltbereitschaft gepaart sei. Die Gruppe selbst wird von Verfassungsschützern deshalb als besonders gefährlich angesehen, weil sie sich anders als die Autonomen nicht abschotten, sondern nach eigenem Bekenntnis Teil der bürgerlichen Gesellschaft sein wollen. Welche Gefahr wirklich von dieser einige hundert Anhänger zählenden Gruppe ausgeht, ist umstritten – auffällig ist auf jeden Fall, wie rege und kontrovers auf dem Wikipedia-Eintrag über deren von den Sicherheitsbehörden behauptete Gewaltbereitschaft gestritten wird. Allerdings hat es sich in der Vergangenheit gezeigt, das räumen auch Praktiker aus der Polizeiarbeit ein, dass eher dann friedliche Verläufe von Protesten gegeben sind, wenn die große Menge der Demonstranten und Aktivisten friedlich handelt und entsprechend auf die wenigen möglicherweise Militanten einwirkt. Deeskalation als die richtige Strategie ist probater Umgang mit Konflikten, scheint aber derzeit nicht die Strategie der Landesregierung zu sein.
Die setzt neben der beschriebenen Dämonisierung auf intelligente Überrumpelung. Im Rahmen der öffentlichen Diskussion hat RWE zunächst angekündigt, dass man ja eigentlich jetzt schon räumen könnte, dennoch wurde der Termin erst einmal demonstrativ nach hinten geschoben. Stufe eins der Nebelkerzen. Direkt im Anschluss wurde Stufe zwei der Nebelkerzen gezündet: Obwohl den trockenen Sommer über auch der Hambacher Forst vor Trockenheit knackte, akute Waldbrandgefahr bestand, hat man in dieser Zeit darüber kein einziges Wort von der Lendesregierung gehört. Dann wurden bei den Durchsuchungen Ende August auch Feuerlöscher beschlagnahmt. Begründung: Daraus könnten die Militanten, deren Schreckensbilder man fleißig an die Wand malte, Bomben oder Waffen bauen. Nun trat am Wochenende, zur Verwunderung des geneigten Betrachters, das Bauministerium NRW auf den Plan und postulierte für den Hambacher Wald, in dem sich inzwischen aufgrund von zahlreichen ergiebigen Regenfällen jede Waldbrandgefahr erledigt hat, “akute Waldbrandgefahr” für die dort lebenden Baumschützer und Aktivisten. Da sie ja keine Feuerlöscher hätten, müsse man dringend intervenieren, da man ja diese Menschen vor Lebensgefahr retten müsse. So drangen am 13.9.2018 ab 9.00 als “Rettungskräfte” für Baumschützer hunderte von Polizisten und folgende Bagger und schweres Gerät in den Hambacher Forst ein.
Natürlich erklärte der besorgte Landesinnenminister Herbert Reul, man gehe bei diesem Hilfseinsatz für brandgefährdete Opfer gegen Gewalttäter mit aller Härte vor. Aber eigentlich, so erweckte die Landesregierung den Eindruck, leiste man ja nur Hilfestellung, da man irrende Braunkohlegegner vor sich selbst beschützen müsse. Denn bei denen bestünde “Gefahr für ihr Leib und Leben”, da die Waldbrandgefahr hoch sei. Bei anhaltendem morgendlichen Nieselregen ein interessantes Argument.
Dass sich etwa 150 Aktivisten, die sich ähnlich wie Castor-Transportgegner an Bäume oder Steine Ketten oder möglicherweise einbetonieren, leicht räumen lassen werden, ist unwahrscheinlich. Dass die CDU/FDP-Landesregierung mit dieser Taktik der Ablenkung, Tarnung und Täuschung und gar der “barmherzigen Hilfe” für Rodungsgegner mitten in der Woche eine clevere Idee hatte – Chapeau, Herr Laschet, Chapeau, Herr Reul! Ob das allerdings eine nachhaltige und glaubwürdige Strategie sein kann, die Situation im Hambacher Forst zu befrieden, ist zu bezweifeln.
Dieser Beitrag erscheint auch in der “Rheinischen Allgemeine”
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