Zwei Buchbesprechungen von Gert Samuel
Es besteht Hoffnung: Nicht nur in Schweden wird die Autogesellschaft in Frage gestellt. Die laufende Debatte über die Auswirkungen der Betrügereien der hiesigen großen Autokonzerne schafft auch Spielräume für das Nachdenken über und Forschen zu Alternativen zum Auto, für Perspektiven ohne Auto. Zwei Bücher dazu möchte ich kurz vorstellen:

1 Weert Canzler / Andreas Knie, Taumelnde Giganten. Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?
Als Kern des Problems sehen Canzler und Knie die über viele Jahrzehnte versprochene Verfügung über ein Fahrzeug und die damit verbundene bisherige Komplizenschaft von Autoindustrie, Kunden und Staat.
Zu Beginn zeichnen sie facettenreich und mit manchem überraschenden Detail die Erfolgsgeschichte des Autos nach. Anschließend benennen die Autoren Gründe und Aspekte, die die Unfähigkeit der Autoindustrie aufzeigen, den erforderlichen Wandel zu vollziehen. Die Fixierung auf den Stand der Technik entpuppt sich dabei als zentrales Hemmnis. Zudem unterliegen Produktion und Vertrieb von Autos gänzlich anderen Standards und Regeln als die Entwicklung von digitalen Plattformen im Rahmen einer „Mobilitätsrevolution“, die digital und elektrisch geprägt sein werde. In Kapitel 3 beschreiben die Autoren die Erosion des alten Traums: Bei jungen Leuten und in Ballungsgebieten hat das Auto als zentrales Konsumgut inzwischen ausgedient. Empfohlen wird deshalb im folgenden Kapitel die kontrollierte Selbstzerlegung der Autobauer als Ausweg in die Zukunft. Auf der Tagesordnung stehe die Entscheidung zwischen Bewahrung und Transformation. Canzler und Knie orientieren auf regulatorische Experimentierräume mit Chancen für das Erproben „postautomobiler Mobilitätsmodelle“. Das Verkehrssystem insgesamt müsse sich ändern. Die Geschichte vom privaten Auto gehe zu Ende – sie tauge nicht als verlässliche Zukunftsperspektive.
(Weert Canzler / Andreas Knie, Taumelnde Giganten. Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung? oekom verlag 2018, 160 Seiten, 13,00 Euro, ISBN 978-3-96238-019-9)

2 Planka.nu, VerkehrsMachtOrdnung. Zur Kritik des Mobilitätsparadigmas, aus dem Schwedischen von Gabriel Kuhn,
Planka.nu – übersetzt: Umsonstfahren.jetzt – ist ein Netzwerk lokaler Initiativen in Stockholm und Göteborg, die sich für eine kostenlose Nutzung des öffentlichen Verkehrs einsetzen. Das Buch, das in Schweden mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, liefert eine Kritik der Autogesellschaft, analysiert Zusammenhänge zwischen Verkehr, Umwelt und Klassengesellschaft und entwirft soziale und ökologische Alternativen.
„VerkehrsMachtOrdnung“ beschreibt eine Hierarchie von Transportmitteln, in der das Auto an erster Stelle steht. Das gegenwärtige Mobilitätsparadigma wird als Automobilität bezeichnet. Weitere Begriffe wie „Transportzeitalter“ „Hochgeschwindigkeitsgesellschaft“ und „Sicherheitsindustrieller Komplex” werden von Planka.nu in die Diskussion um die Zukunft des Autos eingeführt und sind Bestandteile der formulierten Kritik an der Autogesellschaft.
Nicht jede und nicht jeder wird die Relevanz dieses Ansatzes als angemessen und zielführend begreifen. Eine Reihe von Argumenten wirkt eher pathetisch und moralisierend. Andererseits lassen die Autoren keinen Zweifel daran, dass Technologien das Resultat politischer Beschlüsse sind. So kann allein das Formulieren solcherart streitbarer Thesen und Kritik Impulse für die Debatte um den künftigen Stellenwert des Autos geben – und das auch für die beginnende gesellschaftliche und politische Debatte um die Vorteile und Grenzen der E-Mobilität.
(Planka.nu, VerkehrsMachtOrdnung. Zur Kritik des Mobilitätsparadigmas, aus dem Schwedischen von Gabriel Kuhn, Unrast 2015, 113 Seiten, 9,80 Euro, ISBN 978-3-89771-584-4)

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