„Babylon Berlin“ – ein teures Symptom
Die Gazetten waren seit Jahren voll davon, die Produzent*inn*en konnten vor Angeberei, wieviele Millionen sie dafür zusammengekratzt hatten, kaum laufen. Ich hatte noch keine Sekunde davon gesehen, weil ich Pay-TV-abstinent und mit einer Rupert-Murdoch-Allergie ausgestattet bin. Gestern sah ich mit der Mehrheit der Zuschauer*innen erstmals was von “Babylon Berlin”. Mir war ja schon klar, dass die Voraus-Angeberei durch das tatsächliche Produkt kaum gedeckt werden kann. Darum war meine Enttäuschung gering.
Am Platz des Sonntags-Tatortes erreichten die ersten drei von der ARD hintereinander gesendeten Teile eine Quote wie ein quotenschwacher Tatort – das sind meistens nicht die Schlechtesten! – knapp 8 Mio. Die danach gesendete Doku schaffte noch 4 Mio., für den späten Abend sehr viel. Das wird die ARD sich besoffen feiern …
Als Zuschauer hatte ich dazu weniger Anlass. Zuerst das Gute, dann haben wir das schon mal ausm Kopp: Super-Schauspieler*innen, nicht nur die üblichen Verdächtigen (keine Ferres, keine Furtwängler usw.); Handwerk und Technik alles 1a.
Das Erzähltempo dagegen (nicht zu verwechseln mit dem Bildschnitt!): oje. Wie immer bei der ARD war es kein Problem, den Müll runterzubringen oder sich was zu Essen zu machen (oder einzunicken) – bei der Rückkehr zur Glotze kein Problem, wieder reinzukommen. Da waren die Produzenten- und Regie-Jungs etwas zu verliebt in ihr Handwerk (völlig überflüssig wie immer: die dramaturgisch überzogene Musikuntermalung).
Was mich aber eigentlich am meisten ärgert, ist die Angsthasigkeit des deutschen Fernsehens (alle Sender!) vor Gegenwartsstoffen. Die Kohlspendenaffäre, die Kirch-Pleite – sie sind schon Geschichte, und noch nicht verfilmt. All die Männerintrigen gegen Merkel: was für ein Serienstoff! Die Özil/Gündogan/Erdogan-Affäre. Der Intrigantenstadel DFB, das “Sommermärchen”. DIE CSU!!!!!
Am kapitalistischen System kanns nicht liegen. Die USA, die Briten, die Skandinavier, sogar die Belgier verarbeiten am laufenden Band Gegenwartsstoffe in Filmen und Serien. Wo ist ein deutsches Gegenstück zu “Spooks – im Visier des MI5” (10 Staffeln in 10 Jahren!)? Der Stoff ist doch da, muss überhaupt nicht mehr ausgedacht werden.
Es gibt eine spezifisch deutsche Feigheit im hiesigen Produktionssystem. Es ist auf steinalte Weise vermachtet – wenige Mitspieler*innen verteidigen mit Zähnen und Klauen ihre Claims. Kreativität, Neues, Kritisch-Unbequemes zu Widerspruch und Streit reizendes hat keine Chance.
Und zwar schon so lange, dass es bei der Mehrheit von uns Zuschauer*inne*n genauso ist. Der viel Spannendere und Politischere Anne-Holt-Krimi im ZDF (der Roman spielte in Norwegen, die Verfilmung wurde von den schwedischen Produzent*inn*en nach Marketinggesichtspunkten nach Schweden verpflanzt) hatte weniger als 2 Mio. Zuschauer*innen, so schlecht wie ein mitternächtliches Sportstudio samstags.
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