Wer im Angesicht des Elends von Armutsflüchtlingen in Südamerika voll Hohn mit Gewaltanwendung droht, Militär an die Grenze schickt und gegen jedes amerikanische Recht behauptet, dass das Militär auf Steinewerfer schießen solle, wer den Mob im Land aufhetzt, Flüchtlinge als “Terroristen” diffamiert, behauptet, sie kämen gar nicht aus Südamerika, sondern dem Nahen Osten, rassistische Kategorien herauf- und herunterbetet, der hat sich aus der demokratischen Gesellschaft als Diskursforum der “Polis” verabschiedet. Seit dem Gesellschaftsmodell der Griechen, auch dem Roms, selbst der Winkelzüge des Vatikans und der Alleinherrscher des Mittelalters galt der Versuch, über eine gemeinsame “Realität” zu disputieren, als Errungenschaft der Zivilisation. Seit der Aufklärung gilt dass Philosophen, Journalisten und auch Politiker – selbst solche, die sich im Klassenkampf gegenüberstehen, sich von verschiedenen Realitäten aus über dieselben Sachverhalte verständigen können. Mit Donald Trump kann man das nicht, weil es ihm nicht darum geht, über Realitäten zu streiten, sondern allein durch die Aufstellung von Behauptungen andere Realitäten zu schaffen. Es gibt das irdische Universum und das Trump’sche Paralleluniversum. Er setzt alles daran, möglichst viele Anhänger in dieses Paralleluniversum hineinzuziehen.

Donald Trump ist nicht mehr und nicht weniger als ein primitiver Clansman, der den Staat zur Beute seiner Familie macht, der nicht vor Lügen und Verleumdungen zurückschreckt, um die demokratischen Institutionen zu diffamieren und dem derzeit die Demokraten wenig argumentativ und auf der Handlungsebene entgegenzusetzen haben. Aber er macht sich ein Prinzip der Physik oder Science-Fiction zunutze: Gibt es unsere Realität wirklich oder gibt es sie nur, weil wir sie uns einbilden? Und er lässt sich und seine Anhänger sich einfach eine andere Realität einbilden. Das funktioniert, je mehr Menschen daran glauben. Und dabei hat er leider zunehmend Erfolg.

Der demokratische US-Staat hat offensichtlich keine Mechanismen, um derartige Übergriffe seines gewählten Präsidenten abzuwehren. Der behauptet einfach, er könne das in der Verfassung verankerte Staatsbürgerschaftsrecht der USA per Dekret verändern. Dass ihm das nicht gelingen wird, wird erst nach der Wahl durch richterliche Entscheidungen manifest werden, aber das ficht diesen Antidemokraten nicht an. Wie einst Herrmann Göring als Reichstagspräsident, der die Notverordnung Brünings unterzeichnet vom Reichspräsidenten einfach nicht verlesen ließ und den Reichstag vorher auflöste, hantiert Trump mit gezielter Verletzung von Geschäftsordnungen und Gesetzen, ja der Verfassung. Und wie die bürgerlichen Parteien in Weimar scheinen die US-Demokraten dieses Spiel noch immer zu unterschätzen und nicht hinreichend konsequent dagegen vorzugehen. Sicher, das kann man nicht vergleichen, werden jetzt manche sagen. Die Lektüre politischer Statements und politischer Aktionen der bürgerlichen Parteien im Deutschland von 1930-33, die ich gerade bei der Aufarbeitung der Geschichte einer demokratischen Jugendorganisation sichte, lässt mich zum Teil erschauern.

Über die Naivität, das Nicht-Wissen, Nicht-Glauben-Wollen der zeitgenössischen Demokraten. Diese Fassungslosigkeit über die offene Brutalität und Gewalt der Sprache, der Drohungen und der Feindbilder. Und diese Verharmlosung, dass das ja “nur Wahlkampf-Rhetorik” sei, dass er “mobilisieren” wolle. Was aber, liebe Demokraten, liebe Medien der USA, liebe Öffentlichkeit ist das für eine politische Kultur, was ist das für eine moralische Verkommenheit, politische Verlogenheit und Manipulation, die den Idealen der Aufklärung, Demokratie und Selbstbestimmung freier Menschen, für die die Vereinigten Staaten einstmals standen, die Fratze des Faschismus entgegenhält?

Wie weit herunter gekommen sind Bildung und die politische Kultur eines Landes, das in weiten Teilen inzwischen nicht nur über keine eigenen Möglichkeiten mehr verfügt, um Menschen in den Weltraum zu schicken? Das den Klimawandel leugnet, seine natürlichen Ressourcen durch “Fracking” verseucht und Nationalparks und Reservate zerstört? Das in zahlreichen Bundesstaaten neben wissenschaftlichen Entwicklungslehren das Märchen der Kreationisten von der Erschaffung der Welt durch “Gott” vor 6.000 Jahren verbreitet und pubertierende Mädchen in perversen Zeremonien mit ihren Vätern verheiratet, um sie dann später ihren Männern zu “übergeben”. Das intellektuelle und religiöse Niveau der Menschen bewegt sich in Teilen der USA inzwischen auf einem vergleichbaren Niveau mit den fanatisierten Massen in Pakistan, wo ein wütender Mob von islamisierten Männern gegen das Votum des obersten Geerichtshofs, die Hinrichtung einer Christin wegen “Gotteslästerung” fordert.

Das alles ist ein Problem angesichts wachsender Ressourcenknappheit, sozialer Ungerechtigkeit auf unserem Planeten – 2056 Milliardäre haben ihr Vermögen 2017 um 19% vermehrt, etwa eine Milliarde Menschen lebt ohne feste Häuser, sauberes Wasser und medizinische Versorgung.  Der Krieg ums Überleben hat längst begonnen und die Humanität ist eine der zartesten Pflanzen, die akut gefährdet sind. Dass Populisten diesen mit Gewalt und Schüssen an den Grenzen zu führen bereit sind, steht außer Zweifel. Dass die Konzerne der Industrieländer, die in Afrika, Südamerika und vielen Schwellenländern mit üblen Regimen zusammenarbeiten, um Ressourcen und Menschen auszubeuten, ebenfalls. Ausbeutung von seltenen Erden wie Tantal für die Handyproduktion und die Schaffung von Abhängigkeiten in der Agrarwirtschaft etwa durch den Einsatz gentechnisch veränderten Saatguts und Monsantos “Roundup” als Schädlingskiller und Gesundheitszeitbombe in Afrika und auf dem indischen Subkontinent sind  Elemente dieser Strategie. Kriege um Ressourcen sind lediglich der nächste Schritt. Die Menschen in USA haben es in der Hand, ob dieses absurde Spiel so weitergeht, oder gestoppt werden kann. Heute Vormittag werden wir mehr wissen.

Im übrigen bin ich der Meinung, dass Horst Seehofer sofort zurücktreten muss.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net