von Glenn Jäger
Zu den Beziehungen Katars nach Südamerika und zur Vergabe der Fuball-WM 2022

Wenn im Juni 2019 in Brasilien die Copa America im Männerfußball steigt, ist als Gastland auch Katar mit dabei. Die Südamerikameisterschaft ist ein erster größerer sportlicher Testlauf für den Gastgeber der in vier Jahren beginnenden WM 2022. Für ein Land, das mit ungeheurem Reichtum vor allem aus Erdgas von sich reden macht; das nicht nur im eigenen Land Milliarden investiert und damit an wirtschaftlichem und politischem Einfluss gewinnt; das mit den Arbeitsbedingungen auf WM-Baustellen in die Schlagzeilen geriet; das als absolute Monarchie auf bemerkenswert wenig Kritik des Westens stößt; und das sich mit der Unterstützung von Dschihadisten auf Kriegsschauplätzen nur bedingt für ein „Fest der Völkerverständigung“ empfehlen konnte. Doch bei der Vergabe der WM erhielt das Emirat auch Unterstützung aus Südamerika.

Doha, 17. November 2010: In der Hauptstadt Katars kommt es zum Prestigeduell Brasilien–Argentinien. Die Seleção macht das Spiel, Lattentreffer Dani Alves, Großchancen Ronaldinho und Robinho. Doch es ist Messi, der in der 91. Minute nach einem Solo zum 0:1-Endstand trifft. Ein Spiel, das kaum der Rede wert wäre, hätte es nicht rund zwei Wochen vor der WM-Vergabe an Katar stattgefunden. Unter den drei stimmberechtigten FIFA-Delegierten des südamerikanischen Verbandes waren je einer aus, nun ja: Brasilien und Argentinien. Für das Spiel sollen beide Seiten die überhöhte Summe von fünf Millionen Euro erhalten haben.
Die Partie ist nur eine von zahlreichen zeitlichen Auffälligkeiten rund um jenen Zuschlag, den das Emirat auf einem FIFA-Kongress vom 2. Dezember 2010 erhielt. So hatte kurz zuvor der damalige französische Präsident Sarkozy ein Treffen im Élysée-Palast arrangiert. Mit dabei: Ein Vertreter Katars und Michel Platini, Mitglied im FIFA-Exekutivkomitee. 2011 wurde der Filius Laurent Platini zum Europa-Chef von Qatar Sports Investment (QSI). Im selben Jahr schloss dieser Staatsfonds den Trikotvertrag mit Barça (dem FC Barcelona) ab und übernahm 70 Prozent der Anteile am Spitzenclub Paris St. Germain, 2012 die restlichen 30 Prozent. Seit 2011 schlägt der FC Bayern jährlich im Januar seine Zelte in Katar auf. Im Juni 2011 begleitete Franz Beckenbauer einen Hamburger Reeder als Berater nach Doha – „Rickmers hatte 2010 250.000 Dollar an die Franz-Beckenbauer-Stiftung gespendet“ (Spiegel online, 8.6.2014).
Um die WM in die Wüste zu holen, unterschieden sich die Strategien Katars je nach Kontinentalverbänden. Vielfach gab es klassische Mittel der Korruption. Das zeigten Heidi Blake und Jonathan Calvert von der Sunday Times anhand von geleaktem Material, auch verarbeitet in dem Buch „The Ugly Game“. Selbst in FIFA-Kreisen war von einer „gekauften WM“ die Rede.

Frankreich und Deutschland arbeiteten für Vergabe an Katar

Ohne die Unterstützung westeuropäischer Schlüsselländer wäre eine Vergabe der WM an den Golf undenkbar gewesen. In Deutschland und Frankreich wurde der Zuschlag auch auf politischer Ebene forciert. Schließlich winkten für Hochtief (Anm. der Extradienst-Redaktion: Hochtief gehört heute zum ACS-Konzern, dem Real-Madrid-Präsident Florentino Perez vorsteht), Siemens, Deutsche Bahn & Co. gigantische Aufträge für den Bau von Stadien und für Infrastrukturprojekte. Selbst die 700-seitigen Bewerbungsunterlagen für den FIFA-Entscheid wurden von deutschen Planungsbüros erstellt. In zeitlicher Nähe zur WM-Vergabe hatte der damalige Vorstandschef von Hochtief, Herbert Lütkestratkötter, mit Kanzlerin Angela Merkel und der katarischen Führung getagt. Noch als Ministerpräsident von Niedersachsen war Christian Wulff im März 2010 zusammen mit der Führung von Volkswagen und Porsche ins Emirat gereist. Im Mai 2010 war dann Kanzlerin Merkel samt Wirtschaftsdelegation in Doha und erklärte mit Blick auf „beeindruckende Projekte“ im Emirat: „Die deutsche Wirtschaft möchte an diesen Projekten natürlich Anteil haben.“ Die Plattform Germain Foreign Policy über einen Auftritt des frisch gebackenen Bundespräsidenten: „Am 29. September empfing Wulff … den Emir … im Schloss Bellevue. ‚Viele’ der … ‚ hochrangigen Gäste hier im Saal aus … den größten Unternehmen Deutschlands‹ seien ›in Katar bereits präsent’, sagte Wulff in seiner Tischrede: Sie seien ‚bereit’, die ‚vielfältigen Investitions- und Geschäftsmöglichkeiten in Katar’ deutlich ‚stärker als bisher zu nutzen’. ‚Unser Interesse gilt dem Zugang zu den katarischen Gasvorkommen’ … ‚unsere Unternehmen bieten ihre Mitwirkung auch an der weiteren Modernisierung Ihres Landes an.’ (18.6.2014) Inzwischen sind katarische Aktienbeteiligungen u.a. an der Deutschen Bank (ca. 6 Prozent) und an VW (17 Prozent) zu verzeichnen. Im September 2018 kündigte das Emirat an, seine Investitionen in Deutschland von 25 auf 35 Milliarden Euro zu erhöhen.
Ganz ähnlich in Frankreich, dessen führende Energiekonzerne Veolia, Vivendi und Engie SA am Golf tätig sind. Ende 2015 agierten „51 Unternehmen in Katar, die französischen Investoren gehören, hinzukommen gut 100 Jointventures.“ (jW, 29.12.2015)

Beziehungen Südamerikas zu Katar wurden kräftig ausgebaut

Und die Confederación Sudamericana de Fútbol (Conmebol)? Auch deren Vertreter stimmten 2010 für Katar. Mit viel gutem Willen könnte man den Ländern zugutehalten, dass es ihnen in einer Zeit der Linksregierungen – in Brasilien und Argentinien unter Lula bzw. Cristina Fernández de Kirchner – darum ging, eine WM in den USA, dem vermeintlichen Favoriten aus dem dominanten Norden, zu vermeiden; ihnen einen Prestigeverlust beizubringen und die Beziehungen zu arabischen Ländern zu stärken – erst einmal unabhängig von deren Ausrichtung.
Tatsächlich wurden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südamerika und Katar in den vergangenen Jahren ausgebaut. Seit Mitte 2017 sucht das Emirat noch engeren Kontakt, der Hintergrund: Im Juni vergangenen Jahres verhängte Saudi-Arabien gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Ägypten und Bahrain einen Boykott gegen Katar. Bei Sperrung des Luftraums und der Landesgrenzen wurde die Versorgungslage zunächst zu einer Herausforderung. Mit Hilfe der verbündeten Türkei sowie durch ausgleichende Beziehungen zum Iran und Stärkung der Handelsbeziehungen zu EU-Ländern konnte man dem Druck jedoch standhalten. Auch nach Lateinamerika suchte man engere Banden zu knüpfen, wie jüngst eine Reise des Emirs unterstrich. Anfang Oktober 2018 besuchte er zunächst Ecuador, wo er bereits 2013 eine Reihe von bilateralen Vereinbarungen schloss. Die diesjährigen Themen beim Treffen mit Präsident Lenín Moreno: Kooperationen u.a. in den Bereichen Energie, Tourismus, Infrastruktur, Jugend und Sport. Anschließend ging es in Peru neben der Zusammenarbeit in Bereichen wie Luftfahrt und Landwirtschaft auch um katarische Investitionen in die dortige Erdgasförderung. Grundlage sind aktive Handelsbeziehungen beider Länder: Peru importiert vor allem. petrochemische Derivate, Katar führt landwirtschaftliche Produkte und Textilien ein. Bei der folgenden Visite in Argentinien galt es, wie schon bei einem Besuch des Emirs im Juli 2016, ein Handelsvolumen zu vergrößern, das derzeit bei gut 200 Millionen US-Dollar liegt. Auch in Paraguay ging es darum, den deutlich kleineren wirtschaftlichen Austausch beider Länder von knapp sechs Mio. Qatari Riyal (ca. 1,4 Mio. Euro) auszuweiten. Öffentlichkeitswirksam versprach man zudem, mit Hilfe der katarischen Stiftung „Education Above All“ die Anzahl der vorzeitigen Schulabgänger im südamerikanischen Binnenland zu reduzieren.
Und zur Krönung gegenseitiger Beziehungen? Richtig, da gastierte die ecuadorianische Nationalmannschaft am 12. Oktober in Doha, handelte sich aber vor gut 11.000 Zuschauern zwei Platzverweise und vier Gegentreffer ein. Nach einem zwischenzeitlichen 3:0 fuhren die Gastgeber am Ende ein 4:3 ein.
Eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit Katars mit Lateinamerika wurde bereits im September öffentlich verkündet. Anlässlich des „Katar-Deutschland Forums“ erklärte Saad Al Kaabi, Chef des weltgrößten Exporteurs von Flüssiggas, dem Handelsblatt, man sei bei der Gasförderung u.a. „in Brasilien und gerade auch durch Einstieg in Argentinien … aktiv.“ Man schaue „nach Brasilien, Mexiko, Argentinien, die heißen Betten neuer Öl- und Gasvorkommen … da machen wir viel … Aber da reden wir nicht drüber.“ (7.9.2018)
Infolge der saudischen Blockade gegen das Emirat geriet Qatar Airways nur leicht in Bedrängnis. Denn die Fluglinie hatte in den Jahren zuvor „versucht, sein Netz kräftig auszubauen. … Auch an der südamerikanischen Latam Airlines ist sie mit zehn Prozent beteiligt“, so die Deutsche Welle (6.6.2017). Um die eingeschränkte Versorgungslage zu verbessern, beschloss man zudem, 20.000 Kühe der deutschen Rasse Friesisch-Holstein einzuführen. Das Futter, sprich vor allem Soja, importiere man unter anderem aus Südamerika.
Im Agrarsektor hatte man vorgesorgt. 2008 gründete die Qatar Investment Authority mit „Hassad Food“ eine Gesellschaft, um weltweit Land zu erwerben und Milliarden in Nahrungsmittelunternehmen zu investieren, so auch in Argentinien, Brasilien und Uruguay. Es ging darum, „den globalen Finanzstatus Katars ebenso zu steigern wie, besonders bezüglich anderer Entwicklungsländer, deren Abhängigkeit von fortlaufenden Investitionen und Einkommensflüssen aus dem kleinen Scheichtum“, so der Politikwissenschaftler Mehran Kamrava.
Als Scheich Hamad im August 2010 zu einem Staatsbesuch nach Paraguay kam, galt es, den Bau einer Gaspipeline durch Paraguay, Uruguay und Bolivien zu verhandeln. Auch das – damals war Fernando Lugo Staatspräsident – ließe sich noch unter dem Projekt „multipolare Weltordnung“ fassen. Doch das Votum des paraguayischen FIFA-Delegierten für die WM in Katar ist damit nicht zu erklären.

Bei hohem Mass an Bereicherung werden Fifa-Delegierte zu “Staaten”

Den FIFA-Vertretern aus Argentinien, Brasilien und Paraguay wird man nicht gerecht, wollte man ihr Abstimmungsverhalten auf die damalige Emanzipation des Südens zurückführen. Denn die Verbände verfolgen ihre Eigeninteressen derart konsequent, dass sie bei einem hohen Maß an Bereicherung mitunter wie ein Staat im Staat agieren. Der britische Sportjournalist Andrew Jennings legte mafiöse Strukturen offen, wie sie bereits unter João Havelange existierten, dem einstigen brasilianischen Verbands- und FIFA-Präsidenten (1974-1998). In seinem Buch „The Dirty Game“ zeigt er anhand von Hochzeitsfotos Verbindungen zum organisierten Verbrechen auf.
Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2017: „Nicolas Leoz (Paraguay), Ricardo Teixeira (Brasilien) und der 2014 verstorbene Julio Grondona (Argentinien) sollen bei der WM-Vergabe im Dezember 2010 betrogen haben. Grondona, über Jahre die ‚graue Eminenz’ im Kontinentalverband CONMEBOL, habe für seine Katar-Stimme eine Million Dollar bekommen, sagte Burzaco unter Eid aus.“ (SZ, 15.11.2017)
Doch zu den drei südamerikanischen FIFA-Delegierten im einzelnen. Korruption, Steuerhinterziehung, Geldwäsche: Die Liste an Vorwürfen gegen den Brasilianer Teixera ist lang. Er und sein damaliger Schwiegervater João Havelange erhielten, so eine Schweizer Staatsanwaltschaft 2010, jahrelang Schmiergelder in Höhe von 21,9 Millionen Schweizer Franken. Mit Freundschaftsspielen der Nationalmannschaft kamen über verwickelte Wege Millionen hinzu.
Auch an der besagten Partie gegen Argentinien 2010 in Katar dürfte er gut mitverdient haben. Ein Jahr später spielte die Seleção in Doha gegen Ägypten (2:0), und bereits im November 2009 fand am selben Ort die Begegnung Brasilien–England (1:0) statt. Aus diesem Anlass bestieg Teixera zusammen mit Frau und Tochter den Privatjet von Mohamed bin Hammam, dem damaligen katarischen FIFA-Delegierten.
Gegen Julio Grondona, jahrzehntelang Präsident des argentinischen Verbandes und Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees, kam es zu Ermittlungen wegen des Verdachts auf Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung im zweistelligen Millionenbereich – jedoch nie zu einem Strafurteil.
2011 sprach Thomas Kistner, Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung, mit einem Vertreter des katarischen Bewerberkomitees. In seinem Buch „Die FIFA-Mafia“ fragt er, was es „mit den 78 Millionen Dollar“ auf sich habe, „die allein Grondonas argentinischer Verband AFA erhalten haben soll. Al-Thawadi räumt ein, dass 78 Millionen beim Rastern des Wahlmannes Grondona als Fehlbetrag der AFA aufgetaucht seien. … Auch habe ein Mitarbeiter der Katar-Bewerbung vorgeschlagen, AFA zu helfen. Aber geflossen sei nie etwas, sagt Al-Thawadi.“ (2014: 370) Oder vielleicht doch? Der ehemalige peruanische Verbandspräsident Manuel Burga machte im Herbst 2017 eine Zeugenaussage beim FIFA-Prozess. Grondona „habe für seine Katar-Stimme eine Million Dollar bekommen“ und „von Katar-Offiziellen noch mehr Geld gefordert.“ (Sport-Informations-Dienst 17.11.2017) Weitere Zeugen ergänzten: „Detailliert beschrieb Bedoya Vorgänge, die sich am Rande des Champions-League-Finales im Mai 2010 in einem Madrider Hotel zugetragen haben sollen. Dort habe der argentinische Rechtehändler Mariano Jinkis, Eigner der Agentur Full Play, ihm und Ecuador-Verbandschef Luis Chiriboga anlässlich eines Treffens mit einem ‚hohen’ Fernsehvertreter Katars bis zu 15 Millionen Dollar offeriert für eine Unterstützung der WM-Bewerbung des Emirats, aufzuteilen unter den Beteiligten des Deals.“ Manche Zahlung sei „unter dem Kürzel Q2022“ gelaufen. (Süddeutsche Zeitung, 29.11.2017) Derweil gab der langjährige argentinische Nationalspieler Gabriel Batistuta seinen teuren Namen als WM-Botschafter für Katar her.
Ob der paraguayische FIFA-Delegierte Nicolás Leoz in den ersten Runden bloß taktisch wählte, ist ungewiss. Jedenfalls trug sich in Zürich laut einer Zeugenaussage des Argentiniers Alejandro Burzaco Folgendes zu: „Während einer Pause zogen Grondona und Teixera Leoz beiseite, um ihn aufzurütteln, und fragten: ‚Was zum Teufel machst du? Sind Sie derjenige, der nicht für Katar votiert?’ Bei der nächsten Abstimmung unterstützte Leoz Katar.“ Zwar war Leoz zu der Zeit Conmebol-Präsident; doch zeigt sich hieran, wer dort tatsächlich Koch und wer Kellner war.

Besondere Katar-Beziehungen von Brasilien und Barca

Die Verbindungen von Brasilien und vom FC Barcelona nach Katar beruhen auf einem Netzwerk, in dem Sandro Rosell eine zentrale Figur war. Von seinem Posten als Barça-Präsident trat er 2014 wegen Unterschlagungsvorwürfen zurück. Der Hintergrund: Bevor Neymar 2017 für 222 Millionen zum Pariser Katar-Club ging, wechselte er 2013 von Dos Santos nach Katalonien. Dafür waren weit mehr als die angegebenen 57,1 Millionen Euro geflossen. Im Juni 2017 wurde Rosell unter dem Vorwurf der Geldwäsche verhaftet. Die Hintergründe führen in das Land des langjährigen Trikotsponsors: „Die spanische Justiz wirft Rosell vor, mit einem Netz aus Scheinfirmen Millionen Euro Schmiergelder vertuscht zu haben. Im Interesse der Ermittler steht ein Programm, das für WM-Ausrichter Katar Spitzenathleten formen soll … Die spanische Justiz dürfte besonders ein abgehörtes Telefongespräch … interessieren. Darin geht es um ein Förderprogramm talentierter Nachwuchsspieler in Katar zusammen mit der Firma ‚Bonus Sports Marketing’.“ (deutschlandfunk.de, 15.6.2017)
Zudem gab es Deals zwischen Rosell und Teixera, so Kistner in „Die FIFA-Mafia“: „Die Zeitung Estado do São Paulo berichtete, dass Teile der hohen Testspielgagen für die brasilianische Auswahl seit 2006 nicht mehr an den Verband CBF, sondern an eine in New Jersey/USA ansässige Privatfirma überwiesen worden seien. Diese Agentur hieß Uptrend Development LLC und ist registriert auf den Namen Alexander R. Feliu. So lautet der richtige Name Sandro Rosells. Die Gelder fließen von dem Rechtehalter an den Seleção-Spielen, einer Agentur namens International Sports Events (ISE), in die USA. Die ISE sitzt auf den Cayman-Inseln, hinter ihr stehen altbekannte Investoren aus Katar und Saudi-Arabien.“ In dem Stil geht es bei Kistner weiter: Schein- und Offshorefirmen, ein Skandal in Brasília, mal ein saudisches Unternehmen, mal ein Eigner mit Sitz in Katar, Rosells Verstrickung in die gigantische katarische Sportanlage Aspire Academy. Samt der Pointe, „dass sich die eingehende Beschäftigung mit diesem Geflecht für alle lohnen könnte, die auch hinter der WM-Vergabe nach Katar her schnüffeln.“
Bleibt noch der Name des WM-Architekten Mohamed bin Hammam, der 2012 von der FIFA-Ethikkommission wegen Korruption lebenslang gesperrt wurde. Nach dessen Fall sprachen malaysische Polizeibehörden – der asiatische Fußballverband hat seinen Hauptsitz in Kuala Lumpur – von Millionenzahlungen der ISE an den Katarer.

Bei Golfdiktaturen ist die Fifa nicht wählerisch

Bei der Kooperation mit Golfdiktaturen ist man bei der FIFA nicht wählerisch. Das gilt auch für den südamerikanischen Verband, wie jüngere Entwicklungen zeigen. So versucht Saudi-Arabien seit einiger Zeit, die WM in Katar zu torpedieren. Ein Manöver, nachdem der im Juni 2017 verhängte Boykott bislang kaum verfangen hat. Im Herbst 2017 erklärte der Geheimdienstchef der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Dhai Khalfan: „Wenn die WM Katar verlässt, wird auch die Krise vorbei sein (…), weil sie dafür geschaffen wurde.“ Gestützt auf interne Dokumente, sprach die Süddeutsche Zeitung von einer „Art Masterplan gegen das WM-Projekt“ (15.7.2018). Diesem Plan kam zugute, dass der Conmebol im April diesen Jahres bei der FIFA beantragte, die WM bereits 2022 auf 48 Mannschaften aufzustocken – für Katar wäre das allein kaum zu stemmen. Das Vorgehen war offenbar mit FIFA-Präsident Gianni Infantino abgestimmt. Dieser hatte ebenfalls im April um eine geheimnisumwitterte 25-Milliarden-Offerte geworben, mit der ein Konsortium v.a. aus Saudi-Arabien den Kauf von neuen FIFA-Formaten wie einer Club-WM anbot.
Und als wollten die beiden bedeutendsten südamerikanischen Verbände ihre Verbundenheit mit Saudi-Arabien noch weiter unterstreichen, wurde am 16. Oktober 2018 ein ganz besonderes Jubiläumsduell just in der Golfmonarchie ausgetragen: Die 100. Begegnung des Superclásico de las Americas fand weder am Rio de la Plata noch am Zuckerhut statt, sondern in Dschidda. Im King Abdullah Sports Stadion gewann Brasilien einen müden Kick gegen Argentinien nach einem Tor in der 93. Minute (Eckstoß Neymar, Kopfball Miranda) mit 1:0.

Auch wenn Saudi-Arabien nach Innen wie nach Außen noch weit rigiderer auftritt als Katar: Auch das kleine Golfemirat machte mit der Unterstützung von Dschihadisten auf mehreren Kriegsschauplätzen von sich Reden, so in Libyen und Syrien. Unterdessen haben sich die Arbeitsbedingungen auf WM-Baustellen auf Druck unter anderem. von internationalen Gewerkschaftsverbänden hin zwar punktuell verbessert; doch „das Sterben geht weiter“, so die Deutsche Welle in einem jüngeren Beitrag über eine Vor-Ort-Recherche (dw.com, 2.9.2018). 2013, als der britische Guardian über hunderte tödlicher Arbeitsunfälle berichtete, vermerkte Franz Beckenbauer, er habe „keine Sklaven in Katar gesehen“. Das erinnerte an die Worte von Hans Hubert Vogts. Bei der WM 1978 in Argentinien fiel dem Kapitän der bundesdeutschen Elf ein: „Argentinien ist ein Land, in dem Ordnung herrscht. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Das reihte sich in andere Sympathieerklärungen für die Junta ein, etwa des damaligen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger. Die WM in Katar bietet Anlass, verschiedene Initiativen gegen die damalige argentinische Militärdiktatur und deren Stützung durch die Bundesregierung in Erinnerung zu rufen. Dabei wäre auch dem brasilianisch Fußballverband auf den Puls zu fühlen. Dessen ehemaliger Präsident (2012-2015), der zurzeit inhaftierte José Maria Marin, soll „zu Zeiten der Militärdiktatur in die Ermordung eines linken Journalisten verwickelt gewesen sein“ (Deutschlandfunk, 16.11.2013). Anzuknüpfen wäre an die fortschrittlichen Ausnahmen. Dazu zählte etwa der 1998 verstorbene Hugo Batalla, 1991-93 Präsident der Uruguayischen Fußballassoziation, der während der Militärdiktatur als Anwalt politische Gefangene verteidigte und zu den Mitgründern des linken Bündnisses Frente Amplio gehörte (vgl. Interview in der ila 169, Okt. 1993). Leute wie er hätten viel zu tun in Katar.

Glenn Jäger ist Verleger, Sportjournalist und Hobby-Fußballer. In Frühjahr 2018 erschien sein äußerst lesenswertes Buch: „In den Sand gesetzt. Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022“, PappyRossa Verlag, Köln 2018, 311 Seiten, 16,90 Euro
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 420 Nov.2018, mit freundlicher Genehmigung und herausgegeben von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn; ebenso freundliche Genehmigung seitens der Autors. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.

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