Der “Obere-Mittelschichts”-Angehörige Friedrich Merz kann sich vorstellen, die CDU wieder “an die 40 %” heranzuführen und “die AfD zu halbieren”. Daran merken wir, dass Aufsichtsratsvorsitzende nicht selbst rechnen müssen, sondern rechnen lassen. Denn wenn Merz die 40% noch erreichen will, müsste er nicht die AfD sondern die Grünen halbieren. Dieses vordergründig witzig erscheinende Symptom zeigt vor allem, dass die konservative deutsche Rechte nicht integrieren, sondern nach Rechts will. Dort wird sie aber nicht auf eine Wand treffen, sondern in einen Abgrund streben.
Sie erwecken den Eindruck, als wollten sie auch genau dorthin. Parallel zu Merz’ missglückter Rechenaufgabe hörten wir das Politiker-“Volksempfinden” zu den Fahrverbots-Gerichtsurteilen. Es ist nicht nur fatal, dass ihnen die Gewaltenteilung des Rechtsstaates schnuppe ist. Sie steuern, ganz globalisierungs-immanent gedacht, auch unsere Volkswirtschaft dahin, wo der einstige deutsche Weltmeisterfussball vielleicht schon heute Abend landet: in die Zweite Liga. Lesen Sie hier mal zum Vergleich, was Paris jetzt vorhat.
Woher kommt diese deutsche Sehnsucht nach Untergang? Ist das genetisch auf dem Y-Chromosom weisser Männer? Gauland, Grindel, Seehofer, Merz, Spahn – Frauen-, Linken-, Rassismus-Hass scheint sie zu verbinden, und sogar Vorrang vor Erhaltung und Modernisierung eines funktionierenden Kapitalismus zu haben.
Energiewirtschaft, Autobranche, Fußballbusiness, das System öffentlich-rechtlicher Medien und ein bescheidenes Minimum an Zeitungsvielfalt – einst global führende, mindestens jahrzehntelang funktionierende deutsche Branchen streben entschlossen abwärts, verweigern sich strategischer, inhaltlicher und personeller Erneuerung. Ihre Männer-Führungskräfte sind gescheit genug, den Weg abwärts zu erkennen, sehen aber eine egomanische Priorität darin, nicht für andere Personen und Konzepte Platz zu machen – und wenn sie untergehen sind definitiv Andere, fremde Mächte schuld. Manche der Alten fürchten, dass die Jüngeren, die ihnen folgen könnten, das Drama noch verschärfen würden. Ein Motiv, das vielleicht einen rachebedürftigen Realisten wie Schäuble zu Merz, statt zu Spahn geführt haben könnte. Auch der mit einer Katastrophenkette verbundene bayrische Wechsel von Seehofer zu Söder gibt zu solchen Gedanken Anlass. Schlimmer aber ist, was unten rauskommt: was machen sie nur aus dem einstigen – selbst in seiner folkloristischen Skurrilität – Vorzeigebundesland Bayern?

Die Jungen sind zu wenige – und zu brav

Die Jungen, Männer und Frauen, sind einerseits zu wenige, im Unterschied zu uns Babyboomern sind sie kein demografischer Machtfaktor. Sie sind aber wohl auch zu brav im Denken. Viele sind nicht mehr im Konflikt mit ihren Eltern aufgewachsen, sondern selbst in der Pubertät befreundet geblieben. Das Aufwachsen in Deutschland war für viele angenehm komfortabel und harmonisch, mit wenig Raum für Konflikte und Reibungshitze. Sie lernen die Welt viel besser kennen, als die Generationen zuvor, nicht nur übers Internet, sondern durch Reisen, Auslandsaufenthalte, Schüleraustausche, Praktika, Auslandsstudium. Ich vermag das nicht zu kritisieren, erfüllt sich derart doch der – heute vielfach gefährdete! – Wunsch unserer Eltern: unsere Kinder sollen es mal besser haben. Die Aussichten, dass das so bleibt, sind allerdings schlecht. Es regiert das Leitbild “reich und berühmt” werden. Das kann aber nur für winzige Minderheiten funktionieren und führt zu immer perverseren Exzessen. Auf der alten Basis funktionierte der deutsche Kapitalismus und seine parlamentarische Demokratie. Und beides gerät jetzt in Gefahr.
So sind die heutigen deutschen Grünen geworden, wie sie heute sind, gewählt von den urbanen Jungen und deren Müttern – vermutlich in Kürze die stärkste Partei der Systemmodernisierung (bei den Frauen sind sie es schon). Und wenn sie es an Radikalität mangeln lassen, wird es ihnen wie ihren Vorgänger*inne*n ergehen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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