Der Westen wirft Russland einen Bruch gegen den INF-Atomwaffenvertrag vor. Damit ist der Streit mit Putin in vollem Gange.
Der Streit zwischen Russland und dem Westen über die Zukunft des 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossenen Vertrages zum Verbot von Mittelstreckenraketen (INF) ist am Mittwoch voll entbrannt. Mit scharfen Worten reagierte die Regierung in Moskau auf den erstmals gemeinsam von der Nato erhobenen Vorwurf, Russland habe vertragswidrig neue Mittelstreckenraketen entwickelt.
Diese Feststellung der Nato-Außenministertagung in Brüssel wurde noch verschärft durch das Ultimatum der USA, das INF-Abkommen im Falle eines fortgesetzten Vertragsbruchs der russischen Seite nach Ablauf einer Frist von 60 Tagen zu kündigen und selber neue Raketen zu entwickeln.
Der russische Präsident Wladimir Putin warf den USA vor, keine Beweise für einen Vertragsbruch Moskaus vorgelegt zu haben. Er unterstellte der US-Regierung, schon lange den eigenen Ausstieg aus dem INF-Abkommen geplant zu haben. Die Vorwürfe an die Adresse Moskaus seien nur ein Vorwand. Wörtlich erklärte Putin: „Die Entscheidung der USA zur Entwicklung neuer Mittelstreckenraketen wurde vor langer Zeit getroffen, nur insgeheim. Sie dachten, dass wir es nicht bemerken werden. Aber im Pentagon-Budget ist bereits eingeplant, dass diese Raketen entwickelt werden.“
Tatsächlich hatte der US-Kongress auf Antrag der Trump-Regierung für das Haushaltsjahr 2018 eine erste Tranche von 500 Millionen US-Dollar für die Entwicklung einer neuen Mittelstreckenrakete bewilligt.
Maas spricht von bündnisinternem Kompromiss
Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow drohte Staaten, die im Fall einer US-Aufrüstung neue US-Mittelstreckenraketen bei sich stationieren. „Nicht das Territorium der USA, sondern das der Länder, die die Stationierung amerikanischer Kurz- und Mittelstreckenraketen zulassen, wird bei einer Antwort Russlands zum Objekt der Zerstörung werden“, erklärte Gerassimow am Mittwoch in Moskau vor ausländischen Militärdiplomaten.
Am Dienstag hatten die Außenminister der 28 Nato-Staaten Moskau in einer gemeinsamen Erklärung vorgeworfen, mit der Entwicklung und Landstationierung des Raketensystems SSC-8 gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Moskau müsse „unverzüglich“ zu den Bestimmungen des Abkommens zurückkehren. Zur Erfüllung dieser Forderung setzte US-Außenminister Mike Pompeo der Regierung Putin eine Frist von 60 Tagen.
Der deutsche Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete dieses Vorgehen anschließend als einen bündnisinternen Kompromiss, ohne den die Trump-Regierung den INF-Vertrag schon jetzt, wie Ende Oktober angedroht, gekündigt hätte. Russland werde stattdessen Zeit eingeräumt, die Abrüstung der Raketensysteme durchzuführen.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin bemängelte das als „zu wenig“. „Angebote zur Abrüstung – etwa ein Verzicht auf die Raketenabwehr oder ein Ende der Atomwaffen im pfälzischen Büchel – wurden nicht einmal in Erwägung gezogen“, erklärte er. Maas habe sich von seinem US-Amtskollegen Pompeo „wie ein Schuljunge in die Reihe stellen lassen“.
Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff sagte: „Die kommenden zwei Monate müssen die Nato-Partner intensiv nutzen, um Russland mit Nachdruck zur Einhaltung des Vertrags zu bewegen.“ Deutschland müsse dabei eine Führungsrolle einnehmen. Als möglichen Weg nannte Lambsdorff eine von Bundesaußenminister Maas bereits angekündigte Initiative für globale Rüstungskontrolle. „Jetzt hat er Gelegenheit, seinen Worten Taten folgen zu lassen“, sagte der FDP-Politiker.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
Letzte Kommentare