von Wolfgang Hippe
Eine Meldung oder ein Interview, ein Statement oder ein Satz als Anlass zu einer kleinen Recherche. Voraussetzung: Man muss mindestens ahnen, wonach man suchen will. Damit verbunden ist kein Anspruch auf Vollständigkeit. Kurzum: es geht nicht um „Wahrheit“.
Das Beispiel Wohnungsmarkt: Wann darf geltendes Recht angewendet werden?

Zitate
„2. (7) Mit dem Baugebot kann die Verpflichtung verbunden werden, innerhalb einer zu bestimmenden angemessenen Frist den für eine bauliche Nutzung des Grundstücks erforderlichen Antrag auf Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung zu stellen.
(8) Kommt der Eigentümer der Verpflichtung nach Absatz 7 auch nach Vollstreckungsmaßnahmen auf Grund landesrechtlicher Vorschriften nicht nach, kann das Enteignungsverfahren nach § 85 Absatz 1 Nummer 5 auch vor Ablauf der Frist nach Absatz 1 eingeleitet werden.
(9) In dem Enteignungsverfahren ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Baugebots vorliegen; die Vorschriften über die Zulässigkeit der Enteignung bleiben unberührt. Bei der Bemessung der Entschädigung bleiben Werterhöhungen unberücksichtigt, die nach Unanfechtbarkeit des Baugebots eingetreten sind, es sei denn, dass der Eigentümer die Werterhöhungen durch eigene Aufwendungen zulässigerweise bewirkt hat. Baugesetzbuch (BauGB) § 176 Baugebot Abs. 2

„Das Bundesverwaltungsgericht hat … entschieden, dass ein Wohnungsmangel eine entsprechende Baulückenschließung erforderlich machen könne. Ferner kann ein Baugebot nur dann angeordnet werden, wenn die durchzuführende Maßnahme für den Grundeigentümer objektiv wirtschaftlich zumutbar ist; …. Bei der Prüfung der objektiven wirtschaftlichen Zumutbarkeit ist auf die Sicht eines wirtschaftlich orientierten und vernünftig handelnden Eigentümers abzustellen. Diesem ist etwa zuzumuten, für die Baufinanzierung ein Darlehen aufzunehmen; übersteigen die Zinsen des Darlehens jedoch bereits die erzielbaren Erträge aus der durchzuführenden Maßnahme, ist von einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit auszugehen. (Dagegen) kommt es nicht auf die persönlichen Verhältnisse des konkreten Grundeigentümers an: Ist die Maßnahme zwar objektiv wirtschaftlich zumutbar, nur für den konkreten Eigentümer subjektiv wirtschaftlich unzumutbar, hat der Grundeigentümer bei einem erlassenen Baugebot lediglich einen Übernahmeanspruch gegenüber der Gemeinde.“ Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages
Städtetags-Experte Mauch warnt, kommunale Zwangseingriffe ins Eigentumsrecht könnten sogar „den sozialen Frieden gefährden“. Der Vorstoß (des Tübinger Oberbürgermeister Palmer) sei „keine Sache, die von uns empfohlen wird“. Im Zweifel müsse man Privatgrundstücke, die frei sind, eben auch frei lassen.“ (18.10.2018)

Kommentar:
Tübingens Oberbürgermeister Boris („Wir können nicht allen helfen“) Palmer prescht nach einer Meldung nicht nur des Spiegel „in der Debatte um hohe Mieten und Enteignungen vor“. Er will „die Grundstückseigentümer brachliegender Grundstücke zum Bauen veranlassen oder zum Verkauf an Bauwillige bewegen“ und beruft sich dabei auf geltendes Baurecht. Die Erregung über Palmer in den Qualitätsmedien ist nur mit aktuellen Ereignissen in der Berliner Medienblase zu erklären, denn in der „Provinz“ rund um Tübingen hat die Geschichte schon einen langen medialen Bart. Bereits im Mai 2018 stellte die grüne Ratsfraktion einen entsprechenden Antrag.
Die Reaktion darauf war ebensowenig überraschend wie aktuelle überreizte Statements – „kommunale Zwangseingriffe ins Eigentumsrecht“ geht gar nicht, befand ein Vertreter des Deutschen Städtetages dazu . Dabei hatte der noch ein Jahr zuvor befunden: “Wohnen ist heute mehr als eine reine Unterkunft. Wohnen ist Teil unserer Kultur und der Selbstverwirklichung des Menschen!” – den so zitierten, anspruchsvollen Satz hat allerdings ein früherer Präsident des Deutschen Städtetages bereits 1980 formuliert. Heute konstatiert man wieder einmal, „wie eng der Erhalt des sozialen Friedens und der Zusammenhalt von Stadt- und Landgesellschaften mit der erfolgreichen Beantwortung drängender wohnungspolitischer Fragen verbunden“ sei, „Sicherung und Neuschaffung bezahlbaren Wohnraums” inklusive. Das Haltbarkeitsdatum von derlei Sprüchen ist bekanntlich begrenzt und bleibt in aller Regel folgenlos.

Der Grund dafür ist ebenso neoliberal wie simpel: wenn in einem überalterten Gesetz geregelt wird, dass im Falle von Enteignungen (= Ultima Ratio) Entschädigungen mögliche „Werterhöhungen“ von Grundstücken unberücksichtigt bleiben, ist der Grundstücks- und Mietspekulation ja der Boden entzogen, was schließlich den „sozialen Frieden“ gefährdet – und den gilt es in neoliberalen Zeiten um jeden Preis zu sichern. Um jeden Preis.

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