Statt Seenot-Retter Party gabs Zoll und Polizei-Überfall
Gutes braucht eben länger. Da lag dem Hauptzollamt in Berlin seit 19. Februar 2018 eine anonyme Email vor, in der dem Club „Mensch Meier“, in der Storkower Straße 121 am Prenzlauer Berg gelegen, Schwarzarbeit vorgeworfen wird, und der Ausschank von unversteuerten Alkohol. Nach über 400 Tagen gründlicher Prüfung der Email war man Zoll-seitig so weit, der Sache doch mal auf den Grund zu gehen und bei den Beschuldigten vorbeizuschauen. Das war dann zufällig am 30. März 2019. Das passte auch ganz gut, denn zufällig genau an diesem Tag sollte bei Mensch Meier eine große Party der versammelten Seenot-Retter und ihrer Unterstützungsszene stattfinden. Die hatten sich nämlich am 30. März zu einer großen Demonstration versammelt und wollten abends gemeinsam feiern. Wollten – denn statt Party gab es Prügel von der Polizei. Die hatte der Zoll gerufen, weil die Menschen an der Tür glaubten, es drohe ein Nazi-Überfall. Dieser – fehlerhaften – Annahme entsprach auch ihre Gegenwehr, als die Zöllner versuchten in den Club einzudringen.
Die Angaben darüber, was an der Tür und später geschah, gehen naturgemäß etwas auseinander.
Im Polizeibericht vom 31. März heißt es: „Gestern Abend wurden Polizeikräfte bei einem Einsatz in Prenzlauer Berg verletzt. Gegen 20.30 Uhr unterstützten Polizistinnen und Polizisten der 15. Einsatzhundertschaft die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamtes Berlin bei einem Einsatz in einem Club in der Storkower Straße. Als sich die Einsatzkräfte dem Club näherten, war die Eingangstür geöffnet. Als der Türsteher die Polizistinnen und Polizisten bemerkte, schloss er sofort die Tür. Mehrmalige Aufforderungen, die Tür zu öffnen, wurden ignoriert. Daraufhin versuchten, die Beamtinnen und Beamten die Tür aufzuziehen. Als diese einen Spalt breit offen war, sprühte der Türsteher ein Reizgas nach draußen und traf drei Polizeibeamte am Kopf. Anschließend gelang es weiteren Kräften die Eingangstür komplett zu öffnen. Im Eingangsbereich versprühte der Türsteher dann erneut Reizgas, wovon eine Polizistin und zwei Kollegen von ihr getroffen wurden. Anschließend wurde der Türsteher vorläufig festgenommen.“
In der Schilderung der Clubbetreiber heißt es hingegen: „Am Abend des 30.03.2019 stürmten gegen 20.30 Uhr Zollbeamt*innen und Polizeieinheiten mit gezogenen Waffen das alternative Club- und Kulturprojekt Mensch Meier an der Storkower Straße in Berlin. Währenddessen bereiteten im Gebäude verschiedene Kollektive und Initiativen, die sich solidarisch mit dem Thema Seenotrettung zeigen, die für diesen Abend geplante Soli-Party für die zivile Seenotrettungs-Initiative “SeaWatch” und weitere vor. Für die Personen im Gebäude war zunächst in keinster Weise erkennbar, wer sich gewaltsam Zugang zu verschaffen versuchte, da die gewalttätigen Personen in Zivil und ohne sichtbare Kennzeichnung auftraten und sich nicht als Beamte oder Polizist*innen zu erkennen gaben. Für kurze Zeit stand die Befürchtung eines Angriffs durch Nazis im Raum, weshalb versucht wurde, die Angreifenden abzuwehren. Erst sehr viel später und nach mehrmaliger Ansprache im Haus stellte sich heraus, dass der Einsatz eine Zollkontrolle sein sollte. Die Massivität und Aggressivität des Einsatzes, bei der Beamt*innen mit gezogenen Schusswaffen hantierten, Anwesende gewaltsam auf dem Boden fixierten und Handschellen anlegten und dabei mehrere Personen verletzten, löste bei vielen Betroffenen einen Schock aus. Ohne Not wurden etliche Türen im Gebäude aufgebrochen. Urplötzlich abgebrochen wurde der schikanöse Einsatz erst, als anwaltlicher Beistand erschien. Die politische Verantwortung für den Einsatz teilen sich Bund und Land: Zuständig für Zollkontrollen ist das Bundesministerium für Finanzen. Den Einsatz der Berliner Polizei hat SPD-Innensenator Geisel zu verantworten.“
Ich lasse auch deshalb beide Darstellungen so stehen, weil auch seitens der Clubbetreiber meine weiteren Nachfragen unbeantwortet blieben.
Unabhängig von dem, was sich im Eingangsbereich des Clubs ereignet haben mag, bleiben grundsätzliche Fragen. Einmal der Zeitpunkt des Einsatzes. Warum erfolgte er an diesem Tag? Über 400 Tage nach Eingang der Anzeige? War das Zufall oder Kalkül? Ging es um „Schwarzarbeitsbekämpfung” – oder liefert der Zoll nur Einsatzgründe für Polizeimaßnahmen gegen linke Clubs – oder waren die Seenot-Retter Ziel dieses staatlichen Angriffs? Warum wurde die Vorwürfe nicht weit vorher in einem vernünftigen Gespräch geklärt? Kaum vorstellbar, dass der Zoll oder die Finanzermittler in ähnlicher Weise etwa gegen die Ganoven in der Deutschen Bank oder Commerzbank vorgehen. Da in Berlin alle für eine Aufklärung in Frage kommenden Abgeordnetenhaus-Mitglieder Mitglieder der Regierungsfraktionen (SPD, Grünen und Linken) sind, wird es kaum eine öffentlich nachvollziehbare Aufklärung geben. Auf meine Fragen hin erklärte Niklas Schrader, MdA: „Wir haben das am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses thematisiert,“ verweist statt selbst inhaltlich Stellung zu nehmen, auf Presseberichte und verspricht: „Wir werden weiter auf eine polizeiinterne Aufarbeitung des Vorfalls drängen und sind hierzu im Gespräch mit dem Innensenator.“
Im Bundestag sitzt außerdem die Linke Abgeordnete Caren Lay an einer Kleinen Anfrage zum Thema.
Wir bleiben dran.
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