Shocking: ein Martin-Sonneborn-Interview ohne Witz. Der Freitag sprach mit dem Europaabgeordneten und mutmasslichen Kanzlerkandidaten der PARTEI, und der macht keine Witze, sondern erzählt ganz ernsthaft, wie es bei der EU und ihrem Parlament zugeht.
Substanzieller als Sonneborn kann das Wolfgang Streeck, von dem wir auch in diesem Blog schon einen lesenswerten Text hatten. Das IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung interviewte ihn zu seiner Sicht der EU. Seine Kritik ist faktengesättigt und basiert auf einer sachlichen materialistischen Analyse. IPG saugt ausserdem Honig aus Streecks Analyse in Richtung eines Vorbilds der SPD, nämlich der dänischen Sozialdemkraten. Die haben angeblich eine Wahl gewonnen, indem sie migrations- und flüchtlingspolitisch einen rechten Law-and-Order-Kurs eingeschlagen haben. Es fehlt allerdings der Hinweis, dass die dänischen Genoss*inn*en die Wahl gar nicht gewonnen haben. Sie haben die Regierungsmacht erobert, weil sie (viel) weniger als die Konkurrenz rechts von ihnen verloren haben. Gewinne haben die Parteien links von ihnen eingefahren. Vorbild für die SPD? Es gibt wohl viele kurzdenkende Grüne, die sie gerne darin bestärken würden.
Der analytische blinde Fleck Streecks ist, dass er zwar einerseits überzeugend cool analysiert, in seinem Politikbild aber Migrant*inn*en und Flüchtlinge als politische Subjekte scheinbar gar nicht existieren. Sie sind nur Strategieobjekt – das ist, mit Verlaub, ziemlich von gestern, wenn nicht gar ein linksgedrehter Rassismus, durchaus weit verbreitet. Zur Definition: jemand ist nicht nichtrassistisch, weil mann sich selbst entsprechend würdigt (wie es einst BonapARTE durfte, und noch heute viele Weisse zu praktizieren versuchen), sondern durch Praxis. Ein bisschen anstrengen wäre nicht falsch, vor allem denkend.
Frauen wissen da oft etwas mehr drüber, aus eigenen Erfahrungen. Antje Schrupp/Jungle World kommentiert das berühmte Foto der CDU-Damen Merkel/vdL/AKK. Ja, das sei das Ende des Patriarchats, und Propheten wie Carsten Linnemann und Clemens Tönnies haben das wohl schon bemerkt. Aber das sei erst der Anfang des Feminismus. “Schon 1995 hat die italienische Philosophin Luisa Muraro in einem Text mit dem Titel »Freudensprünge« das Ende des Patriarchats ausgerufen. Sie beobachtete, dass manchmal gerade diejenigen, die sich am meisten für gesellschaftliche Veränderungen eingesetzt haben, nicht bemerken, wenn sich tatsächlich etwas ändert. Weil Feministinnen nur zu genau sehen, was alles noch im Argen liegt, laufen sie Gefahr, ihre eigenen Erfolge nicht zu würdigen und kleinzureden.” Schrupp weist auf eine italienische Schrift von 1996 hin, “Das Patriarchat ist zu Ende”, in dem die rechtsradikalen Rückschläge, wie sie heute Trump, Putin oder Erdogan verkörpern, vorhergesehen worden seien.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net