Es hat ganz schön lange gedauert. Langsam interessieren sich wenige deutsche Medien für die inhaltliche Substanz hinter der personell optimierten öffentlichen Performance der Grünen. Was würde sich ändern, wenn sie regieren? Viele Antworten gibt es darauf noch nicht. Noch erschütternder ist, wie wenig es in den Redaktionen interessiert.
Wolfgang Michal, der die SPD von innen kennt, ist entsprechend desillusioniert. Er rechnet nicht mit Rot-Rot-Grün, dafür sind SPD und Linke schon zu ehrgeizlos und ramponiert. Michal wäre schon froh, wenn sie sich in der Opposition zusammentun. Bei so viel Ambitionslosigkeit würde ich hinzufügen: wenn sie es ins Parlament schaffen. Michal weiss halt “zu viel”.
Das geht mir mit meiner Partei ähnlich. Der kluge Wolfgang Pomrehn/telepolis machte mich heute auf eine kritische Grünen-Prüfung im Studienrätemedium Die Zeit aufmerksam. Die hat mich allerdings erschüttert. Autorin Elisabeth Raether bemüht einen berechtigten kritischen Gestus, der dann inhaltlich wie ein Soufflé zusammenfällt. Kapitalismus – schon mal gehört? Die Grünen sind angeblich nicht radikal genug, weil sie nicht genug Konsumverzicht predigen. Tja, in Büros an der Hamburger Hafenkante kriegt halt niemand mit, dass gegenüber in Wilhelmsburg oder am Ende der U-Bahn in Billstedt viele Menschen, besonders viele Kinder leben, die ihre Grundbedürfnisse nach Wohnung, gesundem Essen, Bildung und kultureller Teilhabe nicht befriedigen können. Politstrateg*inn*en bei der Zeit kriegen das auch deswegen nicht mehr mit, weil es sich nicht auf Wahlergebnisse auswirkt. Angehörige solcher Familien nehmen an Wahlen – mehrheitlich – nicht mehr teil.
Es gibt wenige, die weiterdenken als bei der Zeit (und leider auch bei den meisten Grünen). Mark Terkessidis, der auch schon bei Bonner Integrationskonferenzen referiert hat, weist auf die – dringend! – notwendige Bildungspraxis hin, die es mit dem Schwarze-Null-Fetisch nicht geben wird. Mark ist ein Supertyp. Wenn er vorträgt, tut er das mit einem engagierten Körpereinsatz, wie ich ihn sonst nur bei Fußballspieler*inne*n gesehen habe. Und ein kluger Kopf dazu.
Und Ludger Eversmann/telepolis denkt ein paar gesellschaftspolitische Meter weiter, als Frau Raether/Zeit es geschafft hat.
Offen bleibt für mich, wo zwischen Raether und Eversmann die Grünen zu verorten sein werden – sicher näher bei Raether, bei Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz sowieso. Unbeleuchtet bei beiden bleibt, welche Aussenpolitik sie uns schenken. Näher bei Helmut Kohls Kanzleramtschef Teltschik, oder näher beim benebelten Revolutionsfetischismus alternder grüner Ex-Maoist*inn*en? (“Konvertiten sind immer die Schlimmsten!”).
Es wäre schön, wenn es den Grünen, z.B. hier in ihrer Bonner Hochburg, gelänge, für solche Fragen öffentliche Diskussionsorte zu schaffen. Die gegenwärtige Leere ist beängstigend.
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