Von Günter Bannas
Aus Egoismus und Rechthaberei ist die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ins Abseits geraten, und sie kann von Glück reden, dass die SPD (noch?) an ihrer Seite ist. Ein ungewöhnliches Bündnis von FDP, Grünen und Linkspartei hat einen Vorschlag gemacht, der verhindern soll, dass der Bundestag nach der nächsten Wahl auf mehr als 800 Abgeordnete anwachsen wird. Derzeit sind es 709. Nach dem Gesetz müssten es nur 598 sein – 299 aus den Wahlkreisen und noch einmal 299, die über die Landeslisten der Parteien ins Parlament kommen.
Die weit größere Zahl ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geschuldet und dazu noch dem Umstand, dass Wahlkreise derzeit meistens mit weniger als 30 Prozent „gewonnen“ werden. Das wiederum liegt daran, dass in den Wahlkreisen mehr aussichtsreiche Bewerber der Parteien als früher antreten. Profiteure sind CDU und CSU, die zusammen 231 Direktmandate gewannen – viel mehr, als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Die Folge: Überhangmandate und Ausgleichsmandate treiben die Zahl der Abgeordneten nach oben und werden es weiter tun. Alles rechtens also – und trotzdem ein Ärgernis, auch weil Unterbringungskapazitäten und Arbeitsfähigkeit des Parlaments bedroht sind.

FDP, Grüne und Linke schlagen deshalb vor, die Zahl der Wahlkreise auf 250 zu senken, was zur Folge hätte, dass die Zahl der Abgeordneten auf etwa 630 verringert werden könnte. Die Unionsfraktion aber blockiert. Sie würde benachteiligt werden, sagen ihre Führungsleute. Mit dieser Begründung hatten sie schon im Frühjahr einen ähnlichen Vorschlag von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU!) vom Tisch gefegt. Doch ihr Argument ist falsch. Der Bundestag würde auch weiterhin das Zweitstimmenergebnis widerspiegeln. Wahr hingegen ist, dass etwa 40 CDU/CSU-Politiker, die Aussichten auf ein Direktmandat haben, nicht mehr in den Bundestag kämen – man weiß nicht, wer, man weiß nicht, wo.
Vor diesen anonymen Parteifreunden hat die Führung Angst. Die Ursachen: Angela Merkel kümmert sich nicht mehr um das Klein-Klein der Innenpolitik, Annegret Kramp-Karrenbauer ist geschwächt und der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat seine Rolle noch nicht gefunden. Schäuble aber haben sie in den Rang eines *Elder Statesman* abgeschoben. Dem Ansehen des Bundestages und der Politik überhaupt schadet das. Die Sache eilt. Wenn die Bundestagswahl vorgezogen würde, wäre es für die fällige Reform zu spät.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.
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Über Guenter Bannas / Gastautor:

Günter Bannas ist Kolumnist des Hauptstadtbriefs. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seine Beiträge sind Übernahmen aus "Der Hauptstadtbrief", mit freundlicher Genehmigung.