UNO-Flüchtlingsforum in Genf – Start mit enttäuschender Bilanz: Trotz Annahme des UN-Flüchtlingspakts vor einem Jahr fehlen Geld und der Wille, Menschen aufzunehmen.
Die weltweite Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen ist seit Verabschiedung des UNO-Flüchtlingspaktes im Dezember 2018 auf die Rekordmarke von 70,8 Millionen gestiegen – so viele wie nie seit Ende des 2. Weltkrieges. Doch den Finanzbedarf des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) haben die Mitgliedsstaaten bislang nur zu knapp 40 Prozent gedeckt.
Mit dieser enttäuschenden Bilanz haben UNO-Generalsekretär António Guterres und der Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi am Dienstag in Genf das erste Globale Flüchtlingsforum der Vereinten Nationen eröffnet. Rund 3.000 VertreterInnen von Regierungen aus 170 Staaten sowie Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftsunternehmen nehmen daran teil. „In einer Zeit, in der das Asylrecht angegriffen wird, Flüchtlingen so viele Türen verschlossen sind und so viele Flüchtlingskinder von ihren Familien getrennt und festgehalten werden, müssen wir ihre Menschenrechte bekräftigen“, sagte Guterres.
Guterres und Grandi äußerten die Hoffnung, dass die RegierungsvertreterInnen bis zum Ende des Forums am Mittwochabend konkrete und verbindliche Zusagen machen zur verstärkten finanziellen Unterstützung des UNHCR sowie zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen in ihren jeweiligen Ländern, und dass diese Zusagen dann auch eingehalten werden. Das ist dringend notwendig. Gerade mal ein Fünftel der 193 UNO-Staaten engagiert sich in nennenswerter Weise finanziell oder durch die Aufnahme von Flüchtlingen.
Unter dem Eindruck der stark erhöhten Zahl von Flüchtlingen, die 2015 nach Europa kamen, hatten die Staats- und Regierungschefs der UNO-Staaten 2016 auf einem Gipfeltreffen in New York die Ausarbeitung eines Globalen Paktes beschlossen. Erklärtes Ziel war, die Versorgung von Flüchtlingen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern und die Verantwortung für diese Aufgabe gerechter als bislang zwischen armen und reichen Weltregionen und Mitgliedsländern zu verteilen.
Ziele nicht erreicht
„Es war ein Gipfel der gebrochenen Versprechen“, resümierte der Direktor des Norwegischen Flüchtlingsrates und ehemaligen Nothilfekoordinator der UNO, Jan Egeland am gestrigen Dienstag in Genf. Denn entgegen der Ziele des Gipfels hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die Aufnahme in sicheren Drittländern finden, seit 2016 mehr als halbiert: von 126.000 auf 58.000 im Jahr 2018 und 54.000 bis Ende Oktober dieses Jahres.
Ende 2018 hatte die UNO gegenüber den Mitgliedsstaaten für die Versorgung der Flüchtlinge bis Ende 2019 einen Finanzbedarf von zehn Milliarden US-Dollar angemeldet. Davon sind erst vier Milliarden Dollar zugesagt und überwiesen. Neun der zehn größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge sind Länder mit niedriger und mittlerer Wirtschaftsleistung wie Pakistan mit 1,4 Millionen Flüchtlingen, Uganda (1,2 Millionen), Sudan, Bangladesch und Libanon (jeweils 1,1 Millionen).
Als einziges Industrieland in dieser Gruppe liegt Deutschland mit ebenfalls 1,1 Millionen Flüchtlinge an sechster Stelle. Größtes Aufnahmeland ist die Türkei mit rund 3,7 Millionen Flüchtlingen – in erster Linie aus dem kriegsversehrten Nachbarland Syrien.
In Genf wurde befürchtet, dass der am Montagabend unter extremen Sicherheitsvorkehrungen angereiste türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in seiner Rede die Drohung wiederholen könnte, syrische Flüchtlinge aus der Türkei in die EU ausreisen zu lassen, wenn die Türkei nicht mehr finanzielle Unterstützung bei der Flüchtlingshilfe bekommt. Dies wäre ein Bruch des EU-Türkei-Abkommens, auf dessen Basis Ankara bereits sechs Milliarden Euro erhalten hat. Aus der ganzen Schweiz und dem benachbarten Frankreich sind Tausende TürkInnen und KurdInnen nach Genf gereist, um für oder gegen Erdoğan zu demonstrieren.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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