“Heimatabend“ im Schloss Bellevue – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lädt zum „Heimatabend“ mit migrantischen Künstlern. Auch Almancı tanzen begeistert zu Musik von DJ Ipek.
Dass der Gassenhauer „Kreuzberger Nächte sind lang“ im Schloss Bellevue ertönt, kommt auch nicht alle Tage vor. Insofern war es gewöhnungsbedürftig, als Sultan Tunc am Donnerstagabend die kleine Bühne des dortigen Festsaals bestieg.

Im weißen Nadelstreifen-Anzug, mit coolen Sneakers gab der deutschtürkische Rapper mit dem Rasta-Zopf die arabeske Version eines Erfolgshits zwischen zwei cremefarbenen Kissengemälden des deutschen Malerfürsten Gotthard Graubner zum Besten. Das Publikum tobte.

Der Zeitpunkt für den „Heimatabend“, zu dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinen Amtssitz geladen hatte, hätte nicht besser gewählt sein können. Während sich in Erfurt die parlamentarische Speerspitze des Neovölkischen über ihre gelungene Wahl-Scharade freuen durfte, entfaltete sich in den Sälen des früh­klassizistischen Baus im Tiergarten demonstrativ eine Heimat, wie sie diverser nicht sein könnte.

„Heimat gibt es auch im Plural“, leitete Steinmeier betont programmatisch eine Soirée ein, die von einer Pionierin der Diversität wie der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar über das Berliner Quartett „Cyminology“ bis zu Ersan Mondtag, dem Shooting-Star der postmigrantischen Dramatik, reichte. Schnipsel aus Fatih-Akin-Filmen sorgten für ein paar hübsche Verfremdungseffekte.

Längst nicht nur entspannte Multikultur

„Vor zehn, fünfzehn Jahren wäre das so noch nicht vorstellbar gewesen“, staunte Ijoma Mangold über das bunte Setting. Der Zeit-Kritiker, selbst Deutscher mit afrikanischem Hintergrund, moderierte eine Gesprächsrunde, die der schleichenden Veränderung der deutschen Heimat von den „Gastarbeitern“ bis zu den Tücken der Identitätspolitik nachspürte – wo Migrantinnen wie die Sängerin Cymin Samawatie („Cyminology“) sich eher intersektional als migrantisch zu verstehen beginnen.

Längst ist da aber noch nicht die entspannte Multikultur entstanden, die alle gern beschwören. Es stimme etwas nicht, wenn seinem Vater „der Gang auf das Amt mehr Angst ­einjage als eine Waffe im Gesicht“, goss der Schauspieler Dimitrij Schad, der mit acht Jahren vom kasachischen Almaty nach Deutschland zog und 2013/14 zum Nachwuchsschauspieler des Jahres gekürt worden war, Wasser in den Wein des deutschen Selbstbildes von der Willkommenskultur.

Er sei einmal Zeuge gewesen, als die kasachische Mafia seinen Vater im Auto mit der Waffe bedrohte und ihm Lösegeld abpresste. Da habe er ihn cooler erlebt als an den Tagen, wo der Vater in Deutschland aufs Amt musste.

„Könntest du dir vorstellen, dass Erdoğan so einen Abend in seinem Palast macht?“

Alles in allem ein gelungener Abend, selbst wenn es nur Symbolpolitik war. Die deutsche Xenophobie beseitigt ein solcher Heimatabend sicher nicht. Doch das Zeichen kam an.

„Uns gehört der Serail“, begeisterte sich eine Almancı zu vorgerückter Stunde, als DJ Ipek (İpek İpekçioğlu) in eine Disco ausARTEte, die dem SO36, in dem die queere Musikantin und antirassistische Aktivistin sonst die Kreuzberger Nächte aufheizt, jede Ehre machte. „Könntest du dir vorstellen, dass Erdoğan so einen Abend in seinem Palast macht?“, fragt mich die Freundin. „Ich nicht!“

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Über Ingo Arend:

Der Autor ist Politologe und Historiker, er schreibt über Kunst und Politik. Stationen machte er beim Freitag, bei der taz und beim Deutschlandfunk Kultur. Er ist Mitglied im Präsidium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).