Mit Krokodilstränen stand diese Woche ein eingefleischter Feind der Demokratie, der AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Gauland vor dem Bundesverfassungsgericht und kritisierte, das Bundesinnenministerium habe nicht eine Rede des Ministers auf die Homepage stellen dürfen, die die AfD als das bezeichnet was sie ist, nämlich dass sie “staatszersetzend” als Feind der Demokratie wirkt. Das widerspreche dem Neutralitätsgebot, das für Minister gelte und die – faschistische –  AfD werde damit in ihren Wahlchancen behindert. Folgt man dieser Logik Gaulands, dürfte eine fiktive “Mörderpartei”, die sich für die Legalisierung von Mord einsetzt, nicht als solche vom Innenminister bezeichnet werden, da dies dem “Neutralitätsgebot” widerspräche und ihre Wahlchancen mindere. Für wie dumm hält Gauland eigentlich die Demokraten?

Täter heucheln, unschuldige Opfer zu sein

Vielleicht ist es Ironie der Geschichte, dass wenige Tage zuvor die Wahl-Farce des FDP-Kandidaten zum Ministerpräsidenten als Marionette der AfD stattfand, die offensichtlich von Gauland gebilligt, wenn nicht sogar mit erdacht wurde und seinem nächsten Coup zur Verhöhnung der Demokratie einleitete: Die AfD Thüringens solle bei der nächsten Wahl Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen, damit er dann zurücktreten müsse. Wenn es noch weiterer Nachweise bedürfte, dass diese Partei keine weiteren Ziele verfolgt, ausser der Zerstörung der parlamentarischen Demokratie, der sollte in der vergangenen Woche und den Tagen danach bei richtigem Hinsehen eigentlich genügend lernen können. In seltener Klarheit war in der “Krise” letzter Woche zu erkennen, dass hier eine Partei am Werk ist, die alle legalen Freiheiten, Tricks und Schlupflöcher ausnutzt, um ihre nationalistischen, rassistischen und faschistoiden Inhalte populär zu machen und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, sie sei ein unschuldiges Opfer.

Das Szenario Gaulands hat eine üble historische Parallele, die seine Skrupellosigkeit und die gemeinsamen Wurzeln seines Denkens mit den verbrecherischen Methoden und Taktiken der NSDAP verdeutlicht: Im August 1932 war die NSDAP trotz Wahlerfolgen fast am Ende, nachdem es Reichspräsident Hindenburg abgelehnt hatte, Adolf Hitler zum Chef einer Regierung zu ernennen. Stattdessen unterzeichnete er am 30. August einen Erlass zur Auflösung des gerade gewählten Reichstages. Aber Kanzler v. Papen blieb der konstituierenden Sitzung fern, und so hielt nur die Alterspräsidentin Klara Zetkin eine antikapitalistische Rede, in der sie ein sowjetisches Deutschland forderte, und Hermann Göring wurde mit den Stimmen von NSDAP, bayerischer BVP und Zentrum zum Reichstagspräsidenten gewählt.

Methoden im Geiste Hermann Görings

Görings Wahl war für die NSDAP nur ein taktisches Manöver zur Erringung der Macht. Als der Reichstag am 12. September zu seiner nächsten, letzten Sitzung zusammen kam, auf der die KPD ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung v. Papen einbrachte. Die Sitzung wurde unterbrochen und v. Papen, der wie der Bundeskanzler jederzeit im Parlament das Wort ergreifen konnte, meldete sich, um das Auflösungsdekret des Präsidenten vorzulesen. Göring aber “übersah” ihn, behauptete, man sei bereits in der Abstimmung, in der NSDAP, Zentrum und eine übergroße Mehrheit mit den Kommunisten für das Mißtrauensvotum gegen die Regierung v. Papen stimmte. Danach las Göring höhnisch den Erlass zur Auflösung vor, und erklärte ihn wegen des Mißtrauensvotums für erledigt, was nicht rechtmäßig war. Gauland hat sich diese Methoden der Nazis zur Vorführung der Demokratie und des Parlaments zueigen gemacht, indem er vorschlug, die AfD solle Bodo Ramelow mitwählen, damit er dann zurücktreten müsse. Das historische Beispiel zeigt in abschreckender Weise, wie fatal 1932 die mangelnde Einigkeit der Demokraten gegen den Faschismus zum Ende der Demokratie führte.

Maassen als Steigbügelhalter der AfD

Das ist alles nicht neu, aber es wird gerade sehr relevant für die Zukunft der Demokratie – nicht nur in Thüringen. Wie kann eine Partei wie die CDU ernsthaft am Dogma festhalten, Kooperation – wohl gemeint nicht Koalition – mit einer Linkspartei, deren Mitglieder und Ziele auf eine mit Menschenrechten und den Normen des Grundgesetzes gerichtet sind, sei ebenso abzulehnen wie mit der AfD. Einer AfD, die die Werte des Grundgesetzes auf Gleichheit der Menschen, Gleichberechtigung egal welcher Abstammung oder Herkunft, des Geschlechts und der Rasse in Frage stellt? Die völkische Irrlehren und Ideologien des Nationalsozialismus ebenso in ihren Reihen duldet, wie die faschistischen und rassistischen Elitetheorien der “identitären Bewegung”? Die in ihrem Tun von skrupellosen Handlangern unterstützt werden, wie dem ehemaligen Verfassungs”schutz”-Chef Maassen, der jahrelang auf dem rechten Auge Blind die schützende Hand über eine Szene gehalten hat, die in Ostdeutschland Millionenumsätze mit Rechtsrock-Konzerten macht.

Inkompetente Machtlosigkeit des Staates

Die Gebiete im Osten, die sich nicht zuletzt dank Maassens Wegsehen statt aktivem Handeln inzwischen zu einer institutionellen Kultur gewandelt haben, bieten weiterhin den absurdesten Ideologen und Sektierer*innen Raum für Verschwörungsgeschichten und rechtsextremistische gesellschaftliche Experimente. Wer genau hinsieht, muss erkennen, dass sich seit der Wiedervereinigung vor allem im Osten, aber auch im Westen Formen militanten Rechtsextremismus etabliert haben, die international vernetzt sind, und gegen deren weitgehend unbehelligtes Agieren die Behörden zögern, vorzugehen. Wenn in der Rechtsrock-Dokumentation des ZDF gezeigt wird, wie sich Bedienstete des örtlichen Ordnungsamtes nach der Bedeutung eines T-Shirt-Aufdrucks erkundigen, das eindeutig die Abkürzung HTLR für Hitler enthält und mit der offensichtlichen Lüge zufrieden gibt, hier handle es sich um ein skandinavisches Rocklabel, dann wird etwas zwischen überforderter Inkompetenz, Gleichgültigkeit und Komplizenschaft des Staates deutlich. Die Beamtin hätte ja auch ein Foto machen und im Internet recherchieren können, um den Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat zu prüfen.

Kontinuität seit der DDR

Der Osten ist anders, das lautet die Botschaft in vielen Berichten nach den Geschehnissen  von Thüringen – und das mag stimmen. Ich habe schon an anderer Stelle berichtet, wie ich als Jungdemokraten-Delegationsleiter 1984 zu einer internationalen Begegnung mit der Staatsjugendorganisation der DDR, der FDJ reiste und vom Vorsitzenden der Hochschulgruppe Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) erfuhr, dass man dort schon damals ein Problem mit etwa 20% Jugendlicher hatte, die offensichtlich Neonazis seien und als “Rowdies” verharmlost würden. Das Problem ist nicht neu und Folge eines autoritär-obrigkeitsstaatlichen Systems, wie es der SED-Herrschaftsapparat zweifellos war. In ihm haben viele Menschen Anpassung an herrschende Mehrheiten, Opportunismus zugunsten der Karrieren, und abwarten, bis der Staat oder Herrschende Probleme für den Einzelnen lösen, gelernt.

Ergebnis eines Anschlusses ohne demokratischem Prozess

Viele Menschen im Osten haben trotz der Errungenschaft der friedlichen Revolution von 1989 inhaltliche Werte und freiheitliche Methoden der Demokratie nicht verinnerlicht. Woher auch? Schießlich haben die beiden Deutschlands 1990 nicht eine neue gemeinsame Verfassung in einem offenen Prozess erarbeitet, der alle mitnahm, sondern der Beitritt der DDR erfolgte dank CDU als Anschluss ans Grundgesetz nach Artikel 23. Mit der Folge, dass viele bis heute hier nicht angekommen sind. Das kann nicht als Entschuldigung taugen, dass sich im Osten Teile der Gesellschaft nach 30 Jahren eigene Regeln machen, der Staat bei Vorgängen, wie den PEGIDA-Demonstrationen auf denen Aufrufe zum Mord in Form von Galgen öffentlich gezeigt wurden, wegsah, und Rechtsrock-Konzerte zum kulturellen Alltag geworden sind. In deren Folge sich Teile der Bevölkerung, wie in Chemnitz passiert, mit neonazistischen Straftätern ebenso wie Rechtsextremisten der AfD gemein machen oder gar mit ihnen sympathisieren.

Versäumnisse überwinden

Vielleicht sind die Vorgänge in Thüringen der Anlass, die Ursachen dieser Entwicklung tiefer zu betrachten und daraus mehr Konsequenzen zu ziehen, als eine schnelle  Regierungsbildung, der die ewige Neuauflage des Totalitarismusdogmas durch die CDU derzeit entgegensteht. Ein endlich konsequentes Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen Hassbotschaften im Netz, gegen Nazi-Rockkonzerte, völkische Siedler und das öffentliche Zeigen von Nazi-Symbolen ebenso wie die Förderung demokratischer Initiativen gegen Rassismus und gegen Rechts. Ein Ende der Gleichgültigkeit gegenüber Vorurteilen und Alltagsrassismus, auch wenn die Kameras der Medien wieder weg sind. Und einen gemeinsam mit den frustrierten Teilen der Bevölkerung erarbeiteten Weg, mehr Demokratie zu wagen. Es geht darum, den Spaltern von der AfD etwas entgegenzusetzen und nicht, ihrem gefährlichen Kurs des Rassismus der Diskriminierung von Minderheiten und der Fremdenfeindlichkeit nachzugeben.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net