von Britt Weyde / Informationsstelle Lateinamerika (ila)
Interview mit Aurora Rodonò, Diversity Managerin im Rautenstrauch-Joest-Museum, über Dekolonisierung und Restitution
Was ist der Background einer Diversity Managerin? Aurora Rodonò ging nach dem Studium der Romanistik, Philosophie und Kunstgeschichte nach Sizilien, die Herkunftsinsel ihrer Eltern. Dort arbeitete sie als Regieassistentin. Zurück in Deutschland landete sie bei DoMiD, dem „Dokumentationszentrum Migration in Deutschland“ und war an der Ausstellung „Projekt Migration“ beteiligt. Tätigkeiten als Lehrbeauftragte an der Uni und Ausflüge zum Film folgten. Seit August 2019 ist sie am Rautenstrauch-Joest-Museum (RJM) in Köln.
Was macht eine Diversity Managerin im Rautenstrauch-Joest-Museum?
Die Kulturstiftung des Bundes hat in über 30 Institutionen Diversity Manager*innen eingesetzt. In unserer Arbeit geht es um die drei Ps: Personal, Publikum, Programm. Wir leben in einer Migrationsgesellschaft, was sich in den Kunst- und Kultureinrichtungen nicht abbildet. In den meisten Häusern gibt es ein weißes, eher homogenes wissenschaftliches Personal, was Auswirkungen auf das Programm und die Ausstellungen hat. Bei der Diversifizierung soll das Personal sensibilisiert werden, um eine diskriminierungskritische Perspektive zu vertiefen. Beim zweiten P geht es darum, verschiedene Publika anzusprechen, die sogenannte diverse Stadtgesellschaft. Wessen Geschichte wird erzählt? Sind die Menschen, über die man spricht, repräsentiert? In welcher Sprache wird gesprochen, ist Mehrsprachigkeit vorhanden? Wie wendet man sich an die unterschiedlichen Leute, damit sie sich angesprochen fühlen? Das dritte P, das Programm, ist die inhaltliche Ebene: Wer spricht im Museum? Wessen Perspektive wird privilegiert? Weil wir in einem ethnologischen Museum arbeiten, das in eine koloniale Geschichte eingeschrieben ist, geht es um die Geschichten der ehemals Kolonisierten. Aber wer sind die Protagonist*innen? Diversifizierung und Diversity Management betreffen auch Fragen der Dekolonisierung: die Perspektive der ehemals Kolonisierten in den Mittelpunkt zu rücken und diese Stimmen mit den migrantischen, diasporischen vor Ort zu verbinden.
Mit einer Kollegin zusammen hatten wir uns bewusst zu zweit für die Stelle beworben – weil wir noch einen Fuß in der freien Szene behalten wollten, aber auch weil wir beide zu Diskriminierungskritik gearbeitet und erlebt haben, dass es gut ist, zu zweit zu sein. Im Zweifelsfall bist du nicht die einzige Exotin.
Was habt ihr seit August unternommen?
Wir sind immer noch dabei, das Haus kennenzulernen: die sehr große Sammlung mit ihren rund 150 000 ARTEfakten und Fotografien, die Arbeit der Kurator*innen. Wir haben Gespräche mit verschiedenen Communities begonnen, neue Formate gestartet, zum Beispiel die „Sprechstunde“: Da können die Leute bei einer Tasse Tee das Team des Museums kennenlernen und Einblicke hinter die Kulissen bekommen. Die Besucher*innen bringen viel Neugier und ein kostbares Wissen mit. Eine weitere Neuheit sind die Erzähl-Cafés, wo wir mit der Stadtgesellschaft, mit migrantischen, diasporischen Communities ins Erzählen kommen: Man guckt sich Fotos oder Filmausschnitte an, bringt ein Erinnerungsstück mit.
Neben der Programmplanung für 2020 betreuen wir ein Projekt, das von der neuen Museumsdirektorin Nanette Snoep initiiert worden ist, die „Baustelle“. Bei dem Diversifizierungs- und Dekolonisierungsprozess geht es vornehmlich um Inhalte, aber auch um Methoden, Fragen des Raumes. Für Nanette Snoep ist es zentral, klassische, hegemoniale Ordnungen zu durchbrechen. Dafür wurde die „Baustelle“, ein Open Space im Sonderausstellungsraum eröffnet, für den wir mit dem Design-Studio „Studio Quack“ eine Architektur entwickelt haben, eine Art Atrium oder Agora. Das Projekt soll 2020 über laufen, am Ende steht ab November „RESIST!“, die erste große Sonderausstellung im RJM von Nanette Snoep. Darin soll der Blick der Dauerausstellung durch die Erzählungen und Perspektiven der ehemals Kolonisierten ergänzt werden. Es wird explizit um koloniale und postkoloniale Kämpfe gehen, zum Beispiel mit dem Format „It’s yours“. Wir werden externe Kurator*innen einladen, diesen Raum zu bespielen. Es gibt Kontakte mit Künstler*innen und Wissenschaftler*innen aus dem sogenannten „Globalen Süden“, auch Aktivist*innen, beispielsweise Nachfahren von Herero und Nama.
Wie war dein Verhältnis zu dem Museum, bevor du dort angefangen hast zu arbeiten? Immerhin ist es ein „völkerkundliches“ Museum …
Der Begriff des „Völkerkundemuseums“ ist mehr oder weniger verschwunden infolge der Debatte um Restitution und koloniale Gewalt, die es seit mindestens 30 Jahren gibt. Egal ob Stuttgart, Berlin oder Frankfurt – alle tragen nun Namen wie „Weltkulturen“-Museen oder den Zusatz „Kulturen der Welt“. Ich hatte vorher ein relativ distanziertes, aber auch liebevolles Verhältnis zum RJM. Dass zum Beispiel die regionale Aufteilung aufgebrochen wurde, finde ich gut. Man findet nicht DIE Amerikas-Abteilung, die Anordnung ist thematisch, wo Grundfragen des Seins – Leben, Tod, Wohnen, Kleidung etc. – durchgespielt werden. Trotzdem stößt mir ein teilweise immer noch objektivierender, europäischer Blick auf. Das Haus wurde vor zehn Jahren neu eröffnet. Damals galt die Dauerausstellung mit ihrer eher theatralen Szenografie und der thematischen Narration als neuartig. Jetzt muss man gucken, wie diese Perspektive erweitert werden kann.
Auch “kritische” weisse Perspektiven sind verletzend für Schwarze
In der Dauerausstellung gibt es einen Container zu rassistischen Stereotypen, der überarbeitet werden soll. Was sind die Hintergründe?
In dem hausintern genannten „Rassismus-“ oder „Klischee-Container“ geht es um den Container mit dem Titel „Der verstellte Blick“, der zur Eröffnung des Neubaus am Neumarkt mit Ethnologie-Studierenden und Lehrenden entwickelt wurde. Dort sollen Klischees über Schwarze Menschen aufgedeckt werden – aber im Grunde für weiße Leute: Ihnen sollen die eigenen Vorurteile vorgeführt werden. Das ist insofern problematisch, weil es für Schwarze Menschen oder Menschen mit Rassismus-Erfahrung unglaublich verletzend ist. Meine Kollegin Carla de Andrade Hurst ist Schwarze Deutsche und hat sich die Überarbeitung dessen zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit der Kuratorin für Afrika, Clara Himmelheber. Sie haben einen Schwarzen deutschen Künstler, Nando Nkrumah, eingeladen, eine Intervention zu gestalten, welche diese Klischees aus einer Schwarzen Perspektive umschreiben soll. Diese Intervention mit dem Titel „Conversations“, die Schwarze Stimmen und Perspektiven hörbar und sichtbar macht, wird zum ersten Mal beim Afrika-Thementag des Museums am 26. Januar zu sehen sein.
Diese mitunter etwas folkloristischen Thementage sollen zukünftig anders ablaufen.
Zu den Thementagen kommen sehr viele Besucher*innen. Ich weiß nicht, wie wichtig diese Tage für die jeweiligen Communities sind oder ob es nicht eher etwas für sehnsüchtige Europäer*innen ist. Einerseits ist es ein Moment des Feierns und des Kennenlernens dieser regionalen Kulturen, andererseits finde ich sie zum Teil sehr exotisierend. Das soll sich verändern, indem andere Vortragende und Künstler*innen eingeladen werden. Eine Diversifizierungsstrategie muss sich die Frage stellen, ob man alles anders macht oder guckt, wo die kleinen Verschiebungen stattfinden können.
Digitalisierung einer kenianischen Sammlung
In Frankreich war Nanette Snoep daran beteiligt, die digitale Erfassung von Objekten voranzutreiben, damit der Bestand des Museums von überall auf der Welt einsehbar ist. Und in der Restitutionsdebatte hat sie eine sehr dezidierte Haltung.
Ich habe mich wegen ihr auf die Stelle beworben. Ich wusste, dass sie viele Jahre lang am Musée de Quai Branley in Paris war und danach in Sachsen; dort guckte ich mir ihre Ausstellung an, unter anderem „Megalopolis“, wo sie eine CARTE Blanche zum Kuratieren vergeben und Künstler*innen aus Kinshasa eingeladen hatte. Das machen nicht alle, das ist sehr mutig.
Die Digitalisierung wird auch bei uns vorangetrieben. So realisiert Clara Himmelheber mit Kurator*innen vom National Museum of Kenya in Nairobi und Künstler*innen aus Europa und Afrika das Ausstellungsprojekt „Invisible Inventories“. Die Ausstellung soll in Kenia und hier gezeigt werden, damit einher geht die Digitalisierung der kenianischen Sammlung hier im Haus, das sind etwa 85 Objekte. Langfristig soll die gesamte Sammlung digitalisiert werden. Bei der Restitution stellt sich die Frage: Wie weiß man von den Sammlungen, was in den europäischen Museen schlummert? Nicht jeder hat die Möglichkeit, hierher zu kommen und in unsere Depots zu schauen. Beim Umzug des RJM von der Südstadt an den Neumarkt gab es die Gelegenheit, die Sammlung unter die Lupe zu nehmen, da ist viel Provenienzforschung betrieben worden: Wo kommen die Dinge her? Handelt es sich um Raubgut? Im Jahr 2018 hat das RJM einen Maori-Schädel an das Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa übergeben; das war eine Initiative des Hauses.
Unter meinen Kolleg*innen gibt es keinen Zweifel hinsichtlich der Frage, ob Human Bones zurückgegeben werden sollen. In der Zusammenarbeit mit Expert*innen vor Ort wird versucht, nicht nur zu restituieren, sondern auch echte Kooperation aufzubauen. Wie kann eine Art von „Repair“, wie Achille Mbembe es nennt, vonstattengehen? Der kamerunische Historiker war letztes Jahr für eine Vortragsreihe hier in Köln und auch bei uns. Dabei brachte er die Restitution mit dem heutigen Migrationsregime in Verbindung: Die Dinge sollten erst dann zurückgegeben werden, wenn wir eine Beziehung zu ihnen aufgebaut hätten, weil es sonst einer Deportation gleichkomme. Nach dem Motto: Wir geben zurück, sind unsere Schuld los, müssen uns nicht mehr kümmern. In dem Sinne gibt es keine Wiedergutmachung, aber die Möglichkeit einer anderen Ethik. Felwine Sarr und Bénédicte Savoy nennen das in ihrem Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter(1) die „relationale Ethik“. Das ist ein zentraler Punkt: Restitution ja, aber die Geste muss noch größer sein. Es kann nicht sein, dass wir weiterhin die Macht darüber behalten, wann wir was wie zurückgeben, dass nur wir Europäer*innen entscheiden, wer die Expert*innen sind, die die Objekte/Subjekte zurückerhalten und wie sie aufbewahrt werden sollen.
Koloniale Gewalt und Gewalt der Migrationsregimes
Nanette Snoep hat darauf hingewiesen, dass die Objekte auch hier eine Geschichte haben, was sich in der Sammlung widerspiegeln kann, etwa in Form leerer Vitrinen.
Neben „RESIST!“ wird es eine Ausstellung mit dem Titel „Die Schatten der Dinge“ geben. Darin sollen diese Abwesenheiten, diese Geister thematisiert werden. Ich bin sehr glücklich, diesen Wandlungsprozess zu begleiten. Wir laden andere Leute ein, wollen uns aber auch selbst sensibilisieren, interne Schulungen machen. In vier, fünf Jahren wird vielleicht die Dauerausstellung erneut verändert: damit die Stimmen der bisher Marginalisierten sprechen und das Museum zu einem radikaldemokratischen, offenen Haus wird, wo man sich eingeladen und eben nicht verletzt fühlt, wenn man durch die Ausstellung geht. Ich sehe die Kontinuitäten zwischen der kolonialen Gewalt und der Gewalt des Migrationsregimes. Letztendlich geht es um Heilung: Wie kann das Museum zu einem Ort werden, an dem sich Unterdrückte und Unterdrücker*innen versöhnen?
1) Das Gutachten von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy ist letztes Jahr auf Deutsch erschienen: „Zurückgeben: Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“, Matthes & Seitz 2019, 224 S.
Hier auf Englisch und Französisch.
Das Interview führte Britt Weyde am 16. Januar 2020 in Köln. Die gesprochene Sprache wurde von der Interviewerin verschriftlicht.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 432, Feb. 2020, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung von der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften und Links wurden nachträglich eingefügt.
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