Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Der Umgang mit Corona schafft Vertrauen

In Zeiten eines grassierenden Virus oder einer anderen Bedrohungslage machen Politiker für gewöhnlich viele Fehler. Im Moment aber machen viele Verantwortliche vieles richtig. Wie wunderbar
Was auch immer in den nächsten Tagen und Wochen im Zusammenhang mit dem Coronavirus geschieht, etwas steht schon jetzt fest: Es werden Fehler gemacht werden, und das wird zu Ärger in der Bevölkerung führen. Vermutlich zu Recht. Krisen haben das so an sich. Bisher aber – und das ist ein unerwartetes Glück – machen sehr viele Verantwortliche sehr vieles richtig.
Das Wichtigste: Gegenwärtig werden wir als die Erwachsenen behandelt, die wir sind. Regelmäßig bekommen wir Informationen, auch mögliche Probleme und ein unzureichender Kenntnisstand werden nicht verschwiegen. Sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht.

2015 ließ der damalige Innenminister Thomas de Maizière ein Fußballländerspiel wegen eines möglichen Terroranschlags absagen. Welche konkrete Hinweise und Warnungen ihn zu dieser Entscheidung veranlasst hatten, wollte er auf einer Pressekonferenz nicht mitteilen. Einige dieser Informationen würden „die Bevölkerung verunsichern“, erklärte er. Nun kann es gute Gründe geben, gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Terrorbekämpfung nicht alles zu erzählen, was man weiß. Aber Rücksicht auf zarte Gefühle gehört nicht dazu. Mündige Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf möglichst umfassende Aufklärung.

Im Augenblick wird dieser Anspruch erfüllt. Sei es der zuständige Bundesminister Jens Spahn, sei es die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Ka­lay­ci: Sie räumen ein, wenn sie etwas nicht wissen oder nur schwer einschätzen können. Sie geben zu, dass manche Entscheidungen keineswegs „alternativlos“ sind, sondern auf Güterabwägungen beruhen. Und dass man sie auch anders hätte treffen können. Wunderbar.

Das löst, zumindest bei mir, keine Verunsicherung aus, sondern baut Vertrauen auf. Liegt darin vielleicht die Lösung des Rätsels, wie Parteien der wachsenden Politikerverachtung begegnen könnten?

Wenn es nicht um eine Seuche geht, sondern um ein beliebiges anderes Thema, dann kommen politische Stellungnahmen seit Jahren glatt, gefällig und scheinbar widerspruchsfrei daher. Das müsste so nicht sein. Beispiel Grundrente. Hätte nach erfolgter Einigung im Kabinett sich jemand hingestellt und erklärt: „Wir wissen auch noch nicht genau, ob wir ein bürokratisches Monster geschaffen haben. Aber sollte das so sein, dann muss eben nachgebessert werden“ – wie wäre wohl die Reaktion darauf ausgefallen? Abscheu, Empörung und Spott? Oder Respekt dafür, dass ein Politiker einräumt, nicht die Antwort auf jede Frage zu kennen? Was ja ohnehin alle wissen.

Zugegeben: Im Zusammenhang mit einer Pandemie gehen Verantwortliche ein geringeres Risiko ein als bei anderen Themen, wenn sie schlicht ehrlich sind und auf parteipolitische Profilierung verzichten. Denn diese Krise eignet sich schlecht für Wahlkämpfe – allenfalls im Rückblick, wenn bilanziert wird. Nicht aber, so lange sie andauert.

Der Umgang mit dem Coronavirus ist also – zumindest derzeit noch – keine Gelegenheit für demokratischen Meinungsstreit. Und dennoch ist er eine Werbeveranstaltung für die Demokratie. Über die Situation in abgeriegelten chinesischen Millionenstädten weiß die internationale Öffentlichkeit fast nichts. Über die Lage in abgeriegelten europäischen Ortschaften fast alles. Das erzeugt keine Panik, im Gegenteil. Es beruhigt.

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, sagte die Lyrikerin Ingeborg Bachmann. Recht hatte sie.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Über Bettina Gaus:

Bettina Gauss ( † ) war politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Ihre Beiträge sind Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.

Ein Kommentar

  1. Horst Eberlein

    Schon jetzt zeigt sich, dass der ausgedünnte Staat und das privatisierte Gesundheitswesen in Deutschland dank neoliberaler Politik auf eine Pandemie schlecht vorbereitet ist. Es fehlen schon jetzt die notwendigen Schutzmasken für das Krankenhauspersonal. Die Krankenhaushygiene ist im Vergleich zu den Niederlanden auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Hierzulande erkranken ca. 600’000 Menschen an multiresistenten Keimen, davon sterben über zehntausend jährlich. Bei einer Pandemie hätten die Gesundheitsämter nicht genügend Personal, um die notwenigen und sinnvollen Maßnahmen zu koordinieren und zu überwachen.
    Also an statt Ross und Reiter zu benennen, wird wieder nur oberflächlich abgewiegelt und viele Nebelkerzen angezündet, um vor der eigentlichen politischen Verantwortung ab zu lenken. Und welche Auswirkungen hätte die aktuell in der Diskussion stehende Schließung von 800 Krankenhäusern in diesem Fall? Welche Politiker vertreten diese Inhalte?

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑