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“Verlässlicher Generationenvertrag“ nicht in Sicht

von Matthias W. Birkwald MdB Die Linke
Eine Bewertung des Abschlussberichtes der Rentenkommission vom 27. März 2020

Seit Mitte 2018 beschäftigte sich die Kommission “Verlässlicher Generationenvertrag” unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne jede Beteiligung der demokratischen Opposition und der Sozialverbände mit der Zukunft der Rente nach dem Jahr 2025. Die Kommission wurde von den aktiven und ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Union und der SPD und vom vermeintlichen Rentenpapst Professor Axel Börsch-Supan dominiert. Dieser stieß jedoch mit seiner arbeitnehmer*innenfeindlichen Agenda eines höheren Renteneintrittsalters und einer Beitragssatzbremse auf den Widerstand der Gewerkschaften. Gut so.
Wegweisende neue Ideen, vorwärtsweisende Analysen oder gar leistungsverbessernde Maßnahmen waren in dieser Konstellation nicht zu erwarten. Leider. Das Ergebnis ist mit einem Wort: Enttäuschend! Die Rentenkommission ist gescheitert. Leider.
Einen “verlässlichen Generationenvertrag” und damit eine klare soziale Perspektive fürs Alter wünschen sich aber gerade die heute jungen und mittelalten Menschen. Dies umso mehr in der aktuellen Krise, die auch die gesetzliche Rente unter Druck bringen wird, wenn auch erst ab dem kommenden Jahr.

Zukunftsfragen nicht beantwortet

Dazu wären klare Aussagen zu folgenden Zukunftsfragen nötig gewesen:
1. Die Rentenkommission hätte ein klares Leistungsziel und notwendige Leistungsverbesserungen für die kommenden Jahrzehnte erarbeiten müssen – unter anderem eine Zielgröße für ein lebensstandardsicherndes Rentenniveau und Maßnahmen für eine bessere Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos vor allem für den Rentenbestand. Das hat sie aber nicht getan. Leider.
2. Die Kommission hätte fundiert untersuchen können, wie wir mit einem intelligenten Mix aus weniger unfreiwilliger Teilzeitarbeit, weniger Minijobs, höheren Löhnen und einer erfolgreichen Integration von Flüchtlingen mehr Menschen dauerhaft in gute Jobs bringen und welche Auswirkungen solche Szenarien konkret auf die Finanzlage einer reformierten gesetzlichen Rente hätten. Das wäre eine solide Grundlage für eine zukunftsfeste Rente gewesen.
Dieser Weg wird in Kapitel 3 nur ansatzweise verfolgt. Dort zeigt sich (S. 59), dass bei einer guten demographischen Entwicklung und bei geltender Rechtslage der Anteil der steuerfinanzierten Bundesmittel am Bruttoinlandsprodukt nur um 0,8 Prozentpunkte stiege und das gegenwärtige Rentenniveau bis 2060 mit einem Beitragssatz von 23 Prozent finanzierbar wäre (S. 86).
Wissend, dass Deutschland aktuell unglaubliche 3,7 Prozentpunkte weniger vom erwirtschafteten Reichtum für Altersrenten ausgibt als unser Nachbarland Österreich, werden die enormen Spielräume auf einen Blick deutlich.
Die Kommission aber benennt sie nicht.
Eine umfassende ökonomische Analyse, die die gute Entwicklung der Produktivität, das Potential von Arbeitszeitverkürzungen und einer steigenden Erwerbsbeteiligung der Frauen, der Menschen unter 65 und der Migrant*innen mit einbezieht und dann auch konsequent mit einer Kostenschätzung für die Anhebung des Rentenniveaus verbände, wäre aber unerlässlich, um Aussagen zur Zukunft der Rente zu machen.
Diesen Weg ist die Kommission in ihren Vorausberechnungen nur im Ansatz gegangen. Die Vorausberechnungen (Kapitel 3) und die Empfehlungen zur gesetzlichen Rente (Kapitel 4) stehen völlig unverbunden nebeneinander. Leider.
3. Die Kommission hätte zudem eine schonungslose Bilanz kapitalgedeckter, privater und betrieblicher Vorsorgeformen vornehmen müssen. Sie hätte die arbeitgeberfreundliche Ideologie des Drei-Schichten-Modells (auch Drei-Säulen-Modell genannt) einem harten Realitätscheck unterwerfen müssen. Riesterrenten und viele (nicht alle) Formen kapitalgedeckter Betriebsrenten sind weder aus verbraucherpolitischer Sicht (Kostenstruktur, mangelnde Transparenz sowie hohe Komplexität) noch aus ökonomischer Sicht und auch nicht aus verteilungspolitischer Perspektive dazu geeignet, ein nach dem Umlageverfahren organisiertes Pflichtversicherungssystem zu ersetzen.
Auch eine solche Analyse fehlt im Bericht der Kommission. Leider.

Österreich, Niederlande, Dänemark ist das Wohlergehen ihrer Alten mehr wert

Dabei gibt es zuhauf Berechnungen, Studien und Vorschläge.
Schon ein Blick zu den europäischen Nachbarn hätte gezeigt: Österreich, die Niederlande, Dänemark und weitere europäische Staaten machen es zum Beispiel besser.
Wie?
Mit einem stabilen Arbeitsmarkt, einer hohen Erwerbsbeteiligung, aber auch mit höheren Beitragssätzen. Höhere Beitragssätze bedeuten einen höheren Anteil der Rentenausgaben am Bruttoinlandsprodukt. Damit finanzieren viele unserer Nachbarländer ein armutsfestes Rentensystem. Und das langfristig.
Die gesetzliche Rente in Deutschland ersetzt nach neuesten OECD-Daten netto nur 51,9 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens. In Österreich sind es 89,7 Prozent.
Diese Länder garantieren ihren Alten zugleich eine armutsfeste Mindestrente oder eine echte Grundrente, die ihren Namen verdient.
In den Niederlanden erhalten alleinstehende Menschen, die 50 Jahre in den Niederlanden gelebt haben, eine Nettorente von 1146 Euro. Und dies, ohne dass sie dafür einer Erwerbsarbeit hätten nachgehen müssen.
Und wer in Österreich mindestens 15 Jahre rentenversichert war, erhält als Single ab dem 65. Geburtstag 1070 Euro Mindestrente. Netto. Umgerechnet auf zwölf Monate, denn die Pensionisten in Österreich erhalten ihre Rente 14 Mal im Jahr. Die Mindestrente heißt hier nur Ausgleichszulage. Nach 30 Versicherungsjahren sind es 1233 Euro. Netto. Pro Monat. Und nach 40 Jahren sind es 1493 Euro.
Das zeigt: Altersarmut kann auf einen sehr niedrigen Wert gedrückt werden.
Nicht so in Deutschland. Hier leben Menschen in Rentnerhaushalten zu 19 Prozent in Armut und Menschen in Pensionärshaushalten zu 0,9 Prozent.
Vergleiche wie diese sind im Bericht der Rentenkommission nicht zu finden.
Und was die Lebensstandardsicherung nach jahrzehntelanger Arbeit angeht, werden auch echte Vergleiche vermisst.
Hier ist noch einer: Wer in Deutschland 45 Jahre durchschnittlich verdient hat, erhielt 2019 eine Rente von 17296 Euro. In Österreich waren es 26577 Euro. In Dänemark erhalten Niedrigverdienende im Alter mehr Rente als sie an Erwerbseinkommen zuvor erzielt hatten.
Wie geht das?
Nun, diesen Ländern ist das Wohlergehen ihrer Alten mehr wert. So schlicht ist das.
Die Chance, solide Analysen und tragfähige Modellrechnungen vorzulegen und über den Tellerrand hinaus zu blicken, wurde vertan. Leider. Weichenstellungen hin zu einer großen Rentenreform für eine zuverlässige Alterssicherung? Fehlanzeige! Leider.
Die Kommission erklärt uns, warum das Rentenniveau höchstens stabilisiert werden kann, langfristig aber sinken muss. Sie schlägt einen Korridor von 44 bis 49 Prozent Rentenniveau vor (S. 64). Wir erfahren, warum es zwar wünschenswert sei, Beamtinnen und Beamten in die gesetzliche Rente einzubeziehen, dies aber finanziell nichts brächte.
Dies ist falsch, denn man könnte sehr hohe Rentenansprüche im verfassungsrechtlich höchstem zulässigen Maße abflachen. Auch das alte Lied, der Beitragssatz möge nur leicht steigen, wird weitergesungen. Die heutigen Beschäftigten werden als zukünftige Rentnerinnen und Rentner nichts davon haben. Nur niedrige Renten. Leider.
Für DIE LINKE im Bundestag ist klar: Die Rentenkommission ist gescheitert.
Die Gewerkschaften haben trotz der üblichen Drohkulissen marktradikaler Interessengruppen und des vermeintlichen Rentenpapstes Axel Börsch-Supan das Schlimmste verhindert.
Zum Glück, denn Professor Börsch-Supan will das Rentenalter weiter anheben, das Rentenniveau noch weiter kürzen und die private Vorsorge ausweiten. Die Lasten dessen sollen allein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern tragen und die Taschen der Versicherungswirtschaft und der Arbeitergeber und Arbeitgeberinnen damit gefüllt werden.
Dazu wird es nicht kommen. Gut so.
Denn viele Menschen mit prekären Jobs, Phasen der Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen haben keine Chance bis 67 oder gar darüber hinaus zu arbeiten. Und: Niedrigverdienende sterben deutlich früher als Gutverdienende.
Deshalb fordert DIE LINKE eine abschlagsfreie Rente ab 60 Jahren nach 40 Beitragsjahren. Wer hingegen über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten will und kann, wird schon heute mit Rentenzuschlägen von knapp neun Prozent pro Jahr belohnt.

Bekenntnis für armutsfeste Erwerbsminderungsrente – fehlt

Was aber am meisten in dem Bericht fehlt – und das bleibt in den kommenden Monaten und Jahren eine wichtige Aufgabe – ist ein klares Bekenntnis für eine armutsfeste Erwerbsminderungsrente und eine Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent. Da lag es im Jahr 2000. Und das wurde lange Jahre von allen Rentenexpert*innen als lebensstandardsichernd bezeichnet, denn ein Sicherungsniveau vor Steuern von 53 Prozent entspricht einem Nettorentenniveau von 70 Prozent. Die Kommission zeigt keinerlei Wege zu einer echten Erwerbstätigenversicherung auf. Dabei wäre das gerecht und sinnvoll.
Wir LINKEN wollen vorangehen.
Wir fordern, dass Bundestagsabgeordnete spätestens vom Herbst 2021 an Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe des halben Beitragssatzes auf ihre Diäten zahlen müssen und der Bundestag die andere Hälfte übernimmt.
Wir wollen die Beitragsbemessungsgrenze für alle hohen Einkommen bis 2023 verdoppeln und sehr hohe Rentenansprüche im höchsten verfassungsmäßig zulässigen Maße deutlich abflachen. Dann würden nicht nur Bundestagsabgeordnete, sondern auch Besser- und Bestverdienende endlich gerecht an der Finanzierung guter gesetzlicher Renten beteiligt (Drucksache 19/17255).
Es gibt viel zu tun.
Für eine gute Alterssicherung brauchen wir eine große Rentenreform.
Dieser Beitrag wurde mit seiner freundlichen Genehmigung der Homepage des Autors entnommen. Dort nimmt er auch zu Einzelvorschlägen der Kommission Stellung. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt.

Über Matthias W. Birkwald (Gastautor):

Matthias W. Birkwald ist Mitglied des Deutschen Bundestags, parlamentarischer Geschäftsführer und rentenpolitischer Sprecher der Fraktion "Die Linke".

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Die Rentenkürzungen der Vergangenheit haben eindeutig zu Ungerechtigkeiten und Altersarmut geführt. Das Märchen von der “Eigenvorsorge” ist im Klassenkampf von Oben untergegangen. Wer nix übrig hat, kann auch nix beiseite legen. Die ganze Kommission ist ein einziges Armutszeugnis-im doppelten Sinn. DAS wäre ein RRG-Projekt: Die Rentensysteme von Österreich z.B. zeigen, dass moderne Gesellschaften ihre älteren Menschen schätzen können. Voraussetzung ist, dass die jährlich steigenden Effizienz- und Automationsgewinne der Wirtschaft nicht allein den Kapitaleignern, sondern ebenso den Beschäftigten und den sozialen Systemen zugute kommen: Vermögenssteuer, Kapitaltranasfersteuer und Schließen der Steueroasen wären nur ein erster richtiger Schritt, um soziale Gerechtigkeit wieder herzustellen.

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