Durchsichtiges Ablenkungsmanöver von eigenen Fehleinschätzungen und Versäumnissen

Es gibt durchaus Anlaß zur Kritik am Verhalten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Corona-Krise. Zumindest bis sie am 30. Januar eine „internationalen Gesundheitsnotlage“ ausrief, war die Organisation zu gutgläubig gegenüber der Informationspolitik der chinesischen Regierung, deren „Vertuschungsmanöver“ damals schon von Ärzt*inn*en des Landes offengelegt wurde.
Der Präsident der USA ist allerdings aus aktuellen wie historischen Gründen der denkbar unglaubwürdigste Kritiker der WHO. Wer wie Trump die Corona-Pandemie noch Mitte März bei gemeldeten Infektions- und Todesfällen aus bereits 155 der 194 WHO-Staaten als „harmlose Erkältungskrankheit“ oder als “Wahlkampferfindung“ der Demokratischen Partei abtat, der sollte schweigen zu Fehlern der WHO im Januar, als gerade einmal 15 Länder von dem Virus betroffen waren. Für seine Unterstellung, die WHO habe zu Beginn der Pandemie „mehr gewußt, als die offenlegte“, blieb der US-Präsident jeden Beweis schuldig.
Ebenso fehlt jeder Vorschlag Trumps, wie die WHO ihre Abhängigkeit von der – zu Recht kritisierten – Informationspolitik der chinesischen Regierung zu Beginn der Corona-Krise denn hätte vermeiden können oder in künftigen ähnlichen Situationen vermeiden könnte. Etwa durch die Einrichtung von lokalen WHO-Zentren in allen 194 Mitgliedsländern, die unabhängig und unbehindert von den jeweiligen Regierungen gesundheitsrelevante Daten erheben? Das wäre ein ideales Modell wohlverstandener Verantwortung in Zeiten der Globalisierung und der mit ihr einhergehenden Risiken und Gefahren. Doch mit Sicherheit wäre die Trump-Administration die erste, die -wahrscheinlich gemeinsam mit der Führung in Peking- einen entsprechenden Vorschlag ablehnen würde als „Einschränkung der nationalen Souveränität“ oder „Einmischung in die inneren Angelegenheit“ ihrer Länder.
Falsch ist auch Trumps mit der Drohung von Beitragskürzungen verbundene Behauptung, die USA seien der „größte Finanzier“ der WHO. Größter Finanzier ist die private Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und seiner Frau Melinda. Deren Vermögen besteht überwiegend aus Aktien der zehn weltgrößten Pharmakonzernen, darunter vier aus den USA, sowie je zwei aus der Schweiz und Großbritannien und je einer aus Frankreich und Deutschland. An vierter Stelle der WHO-Finanziers hinter den USA und Großbritannien steht die „Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung” (GAVI), die wiederum zu 75 Prozent von der Gates-Stiftung finanziert wird sowie darüber hinaus ganz direkt von Pharmakonzernen.
Das Budget der WHO stammt heute zu 80 Prozent nicht mehr aus von Parlamenten demokratisch kontrollierten Beiträgen der Mitgliedstaaten, sondern von privaten Stiftungen oder unmittelbar aus der Pharma- und der Nahrungsmittelindustrie. Ursache dieser fatalen neoliberalen Privatisierung nicht nur der WHO, sondern auch anderer Organisationen des UNO-Systems. ist die politisch motivierte finanzielle Strangulation der UNO durch Trumps drei republikanische Vorgänger seit den 80er Jahren, Ronald Reagan, George Bush und Georg Walker Bush. Mit ihrem erheblichen Einfluß bewirkten die Wirtschaftskonzerne in den letzten 30 Jahren die weitgehende Abkehr der WHO von der Förderung von Basisgesundheitssystemen in den ärmsten Ländern und sabotierten die Verabschiedung und Umsetzung von Empfehlungen für die Gesundheitsversorgung und eine gesunde Ernährung in den reichen Industriestaaten.
In keinem anderen Industriestaat wäre die Umsetzung dieser WHO-Empfehlungen heute dringender als in den USA.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.