Die den Schuss nicht gehört haben
Das Robert-Koch-Institut warnt, dass die Krise nicht vorbei sei, sondern erst beginnt, die Kanzlerin ist sauer und spricht vom dünnsten Eis, auf dem wir uns bewegen. Aber unverdrossen leben zwei pubertierende Kanzlerkandidaten namens Laschet und Söder gewisse soziale Auffälligkeiten aus. Als Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch das im Bundestag aussprach, hat er die Kanzlerin zu einem so breiten Grinsen gebracht, dass dies vermutlich als Merkels plenarer Humorrekord in die Parlamentsgeschichte eingehen wird. Die beiden Jungs aus München und Düsseldorf spielen ja derzeit auf einem gefährlichen Klavier der Fußballliga. Aber was es auch sei, die Jungs und ihre Mitspieler im Corona-Sandkasten haben den Schuss nicht gehört.
Nichts mit Sport zu tun
Die Deutsche Bundesliga hat mit Sport schon lange nichts mehr zu tun. Sie ist ein kapitalistisches Finanzkonglomerat, dessen Hauptbeteiligte und Sponsoren vermutlich eine durchschnittlich um ein vielfaches höhere Kriminalitätsrate aufweisen, als die meisten anderen in der internationalen Finanzbranche relevanten Sparten. Hopp, Berlusconi, Qatar, Blatter, Infantino, Putin, Höness, Rauball, um nur einige Namen zu nennen, Agenturen, die gewissenlose Ex-Spieler und Fernsehkommentatoren wie Oliver Kahn zum Werbeidol für Spielsüchtige instrumentalisieren und im reinen Verwertungsinteresse agieren, sie alle beherrschen den Fußball. Ihre Macht beruht einzig und allein auf dem Handel angeblicher “Rechte”. Bedauerlicherweise hat nie ein Rechtsstreit sich einmal bis zum bitteren Ende der Frage gewidmet, ob das, was da auf dem Fußballplatz stattfindet, überhaupt privat und damit vermarktbar ist, oder ob es sich allein aufgrund der Zuschauerzahl und des gesellschaftlichen Interesses, beim Verlauf und den Ergebnissen dieser Spiele nicht möglicherweise um Ereignisse von öffentlichem Interesse handle, sodass eine Vermarktung von vornherein ausgeschlossen ist. Schließlich käme niemand auf die Idee, die Bundestags- oder Landtagssitzungen oder Bilder vom Besucherverkehr auf der Kölner Domplatte zu vermarkten. Aber natürlich: Die Parlamente hätten es einfach beschließen können.
Aber der allfährige Kapitalismus hat sie privatisiert und die Staatenlenker haben nicht nur zugeschaut, sondern es zu verantworten. Die Fehlentwicklung ist ab 1983 in Deutschland eingetreten und eine Folge des von Helmut Kohls neoliberaler “Wende” eingeführten Privatfernsehens, das, wie wir heute wissen, eine Berlusconisierung der Öffentlichkeit nach sich zog. Gleichzeitig stiegen internationale Fußball- und Medienmogule wie eben dieser Berlusconi in Italien, Rupert Murdoch in Großbritannien, Australien und den USA und Privatsender, wie Fox News – dort ist es nicht der Fußball – auf, die auf Rassismus und Faschisierung manipulierter Zuschauermassen und eine weltweite Perversion der Demokratien – von Südamerika ganz zu schweigen – spezialisiert sind. Aber vielleicht könnte sich das ja wie vieles ändern, wenn die Corona-Krise in etwa 1 1/2 Jahren vorüber oder – falls es wie beim HIV-Virus keinen Impfstoff geben wird – zur zukünftigen Normalität geworden sein wird.
Ausschaltung menschlicher Instinkte
Für die Angehörigen und Mietsklaven dieses Interessenkartells und beschützt von Laschet und Söder soll nun ab Mai 2020 ein einmaliges Sonderrecht in der Coronakrise geschaffen werden. Die Spieler der Bundesligen als traurige Gladiatoren sollen in leeren Arenen gezwungen werden, gegen jede Vernunft und unter Ausschaltung aller menschlichen Instinkte in einem menschenrechtsunwürdigen Aquarium von Isolation und Schnelltests die Spielpaarungen längst erloschener Ligen zuende zu kloppen. Was da in den Sportteilen von Zeitungen dieser Woche aus dem Munde von Funktionären des Fußball-Finanzkartells zu lesen war, lässt befürchten, dass außer Corona ein viel bedenklicherer Virus der “Demenz totalis” ausgebrochen sein muss. Während man auf den ersten Seiten lesen konnte, dass es im Moment und in absehbarer Zukunft auf jeden Test ankommt, und die Kapazitäten der Labore einen Flaschenhals darstellen, der bis heute verhindert, dass wir überhaupt wissen, wie weit das Virus bereits verbreitet ist, behaupten die Irren von der DFL, etwa 20.000 Corona-Tests pro Spieltag der Geisterspiele würden nicht ins Gewicht fallen.
Gegebenenfalls, so wurde angedeutet, würden die über Tschechien abgewickelt – benötigt Tschechien keine Tests? Und selbst wenn getestet würde: Was, wenn ein Spieler positiv getestet wird, wird dann nur er oder seine Mannschaft oder auch die letzte gegnerische Mannschaft in Quarantäne geschickt? Ein einziger Fall würde Nachholspiele bedeuten, schon drei völligen Stillstand. Wann testen – vor und nach dem Spiel – dienstags, donnerstags? Wie soll das Familienleben der Spieler aussehen, oder werden die dann mit ihren Familien in Isolationshaft genommen? Und wieso glauben eigentlich DFL-Funktionäre, dass Spieler keine Menschen sind? Wer genau, wie wir alle, gelernt hat, im Alltag auf Abstände zu achten – wie soll der sich unter ständiger Vergewaltigung erlernter Reflexe plötzlich wieder in Zweikämpfe stürzen? Nein, wir werden nach Corona – in etwa 1 1/2 Jahren – einen ganz anderen Fußball erleben – viel spielerischer, weniger gewalttätig und nicht mehr voll versteckter Fouls, weitgehend ohne Körperkontakt, wie ihn Dzsenifer Marozsán spielt oder einst Wolfgang Overath und Günter Netzer beherrschten. Für den Fußball und seine Ästhetik könnte sich das als absoluter Renner erweisen.
Chance für Medien als vierte Gewalt
Auch für die Medien – vor allem die öffentlich-rechtlichen – wäre eine eineinhalbjährige Spielpause eine große Chance: Die bis zu 80% der Etats verschlingenden Sportübertragungsrechte könnten einmal wieder gutem Journalismus zur Verfügung stehen. Helfen Skandale aufzudecken, Interessenverflechtungen allgemein (also z.B. zwischen der Bill Gates-Stiftung und den acht größten Pharmakonzernen) und insbesondere zwischen (Fußball-) Kapital und Medien öffentlich zu machen, anspruchsvolles Fernsehen zu machen, seien es Politik-, Kultur- oder Unterhaltungssendungen. Nicht auszudenken, wenn es in den dritten Fernsehprogrammen mal wieder etwas so qualitätsvolles wie Friedrich Küppersbusch’s “Locker Room”. geben würde. Dann würden vielleicht auch mal wieder Berichte über Grundrechtsverletzungen oder exzessive Auslegung von Notstandsgesetzen diskutiert. Oder der “Spiegel”, die “Zeit” und alle anderen Tageszeitungen wären plötzlich wieder doppelt so dick, die “Vierte Gewalt”, ausgetrocknet von “Sport” und (a)sozialen Netzwerken, würde wieder auferstehen – weil sich ja die Werbegelder nicht in den Rachen der DFLs und FIFAs und UEFAs sammeln würden. Und Corona könnte so helfen, dass sich die Menschen mal wieder mit den Dingen befassen, die sie wirklich betreffen. Gar nicht so übel.
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