Im Schatten von Corona und der geopolitischen Konfrontation zwischen USA und China
Im Schatten der eskalierenden Konfrontation zwischen den USA und China und der damit verbundenen Instrumentalisierung der Corona-Pandemie hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Montagmittag ihre diesjährige Generalversammlung begonnen. Statt üblicherweise zwei Wochen wird sie aber nur zwei Tage bis Dienstagabend dauern. Und statt am Genfer Hauptsitz der WHO kommen die Vertreter ihrer 194 Mitgliedsstaaten auch nur per Videolink aus den Hauptstädten zusammen.
Zum Auftakt beklagte UN-Generalsekretär António Guterres, es habe “sehr wenig Einigkeit” gegeben bei der Reaktion auf die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus, das bis zum Wochenbeginn weltweit über 310.000 Todesopfer gefordert hat. “Viele Länder haben die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ignoriert und verschiedene und manchmal widersprüchliche Strategien befolgt, wofür wir alle einen hohen Preis zahlen”, kritisierte Guterres.
Der UN-Generalsekretär bekräftigte seine Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Ursprünge der Coronavirus-Pandemie. Es müsse „untersucht werden, woher das Virus kam und wie es sich mit so verheerenden Auswirkungen und so schnell um die Welt ausbreiten konnte“. Allerdings sei “jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt”. Jetzt müsse die Welt zunächst „solidarisch zusammenarbeiten, um das Virus zu stoppen.“ Die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung wird auch vom WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sowie von den USA, der EU, Australien Japan und anderen Ländern erhoben, von der chinesischen Führung bislang aber kategorisch abgelehnt. Auch von regierungsunabhängigen chinesischen Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen und Journalist*innen erhobene Vorwürfe, die Regierung in Peking habe wichtige Informationen zu Beginn des Ausbruchs des Coronavirus unterdrückt und verschleppt, anstatt sie rechtzeitig an die WHO zu melden, wies der chinesische Staatschef Xi Jinping in seiner Videobotschaft zurück. Sein Land sei “immer” transparent im Umgang mit der Pandemie gewesen. China werde der WHO, die derzeit akut unter einem Finanzboykott der USA leidet, zwei Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung des Corona-Virus zur Verfügung stellen, kündigte Jinping an. Sollte China einen Impfstoff gegen die Lungenkrankheit Covid-19 entwickeln, werde dieser weltweit zur Verfügung gestellt werden, versprach der chinesische Präsident.
Die Trump-Administration kritisiert, die WHO sei zu leichtgläubig gegenüber der Informationspolitik Pekings gewesen. Diese Kritik wird auch von den Regierungen anderer Länder geteilt, unabhängig davon, daß Trump mit den Attacken gegen China abzulenken versucht von seinen eigenen gravierenden Fehlern im Umgang mit der Pandemie. Allein steht die Trump-Adminisration allerdings mit Behauptungen, das Virus stamme aus einem chinesischen Labor zur Entwicklung von Biowaffen. Auch Trumps Vorwurf, die WHO habe in den letzten vier Monaten widersprüchliche Empfehlungen zum Tragen von Schutzmasken abgegeben, findet keine Unterstützung angesichts der ebenfalls widersprüchlichen Empfehlungen vieler Gesundsheitsexperten und -minister*innen in den WHO-Mitgliedsländern.
Der Auftakt der Generalversammlung wurde auch vom Streit um die Insel Taiwan beherrscht, das gerne das 195. Mitglied der Organisation wäre. Doch China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und verhindert – notfalls per Veto im Sicherheitsrat – seit 1949 die Mitgliedschaft der Insel in der UNO und ihren sämtlichen Sonderorganisationen. Nach einem Regierungswechsel auf der Insel mobilisierte China 2017 eine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten, die selbst die bis dahin mögliche Beobachterrolle Taiwans bei der WHO beendete. Daher konnte die Regierung in Taipeh weder alle ihre sehr frühzeitigen Informationen über den Ausbruch des Coronavirus auf der Insel und auf dem chinesischen Festland noch ihre eigenen sehr erfolgreichen Bemühungen zur Bekämpfung wenn überhaupt nur eingeschränkt und mit großer Verspätung an die Genfer WHO-Zentrale übermitteln. Unter Führung der USA haben 15 Länder- darunter Deutschland – den Antrag eingebracht, zumindest die 2017 abgeschaffte Beobachterrolle Taiwans wiederherzustellen. Doch angesichts des wachsenden Einflusses Chinas auf die Staaten Afrikas und Asiens wird dieser Antrag kaum die erforderliche Mehrheit von mindestens 98 Ländern erhalten.
Beschlüsse sollen ohnehin erst bei einer Fortsetzung der WHO-Generalversammlung fallen, die irgendwann im Herbst und dann nicht mehr nur virtuell stattfinden soll.
Dieser Beitrag erscheint auch bei taz.de, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.