Während über die Situation der Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie breiter diskutiert wird, beschloß der Deutsche Bundestag die Umsetzung der neuen EU-Entsenderichtlinie, die auch für die Fleischindustrie gilt.
Wer nun angenommen hätte, die Bundesregierung würde angesichts der laufenden Diskussion und ihrer vollmundigen Versprechen endlich für “gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort” sorgen, sieht sich getäuscht. Die Entsenderichtlinie, eigentlich eine gute Sache, ermöglicht auch rumänischen Werkvertragsarbeitern bei richtiger Auslegung eine Arbeit zu deutschen Löhnen am Bau oder auch in den Schlachthöfen.
Es ist vorgesehen, dass allgemein gültige Tarifverträge in jedem EU-Land auch für die jeweils dort tätigen Ausländer gelten. Doch was ist ein allgemein gültiger Tarifvertrag? In Deutschland werden Tarifverträge regional ausgehandelt. Folglich haben wir regionale Tarifverträge – doch regionale Tarifverträge gelten auch nur regional. Die Bundesregierung hätte sie in ihrem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie aufgreifen müssen. Und genau da liegt die Sau begraben.
Die große Koalition hat mal wieder versagt. So kommt es, dass trotz Entsenderichtlinie, die eigentlich für gleichen Lohn sorgen sollte, wieder nur eines garantiert wird: Der Mindestlohn. Nur gut, dass wir den inzwischen wenigstens haben.
Nach Ansicht des für einen Großteil des Ruhrgebiets zuständigen CDU-Europa-Abgeordneten Dennis Radtke hat sich die Arbeitgeberlobby im Bundestag mal wieder durch gesetzt.

CDU-Europa-Abgeordnete kritisieren Bundesregierung

Radtkes Presseerklärung machte mich erst auf das Problem aufmerksam. Zu der am 19. Juni 2020 im Bundestag verabschiedeten nationalen Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie durch den Deutschen Bundestag erklärte Dennis Radtke, der auch NRW-Landesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) ist: „Ethisch unvertretbare Dumpinglöhne gehören in der Europäischen Union (EU) nun endlich der Vergangenheit an: Mit der Novellierung der EU-Entsenderichtlinie hat die EU die Chance für mehr Gerechtigkeit für entsendete Arbeitnehmer eröffnet. Die gestern Abend vom Deutschen Bundestag verabschiedete nationale Umsetzung bleibt in einem wichtigen Detail hier leider hinter den ermöglichten Chancen zurück. Mit der Neufassung der noch ursprünglich aus den 90er Jahren stammenden Entsenderichtlinie wurde 2018 auf EU-Ebene endlich ein wichtiger sozialer Kompromiss vereinbart, um die Situation von EU-Arbeitnehmern außerhalb ihrer Heimatländer zu verbessern, um Missbrauch und Ausnutzung von Regelungslücken zu beenden. Insbesondere wurde das Prinzip ‘Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort’ eingeführt. Weiterhin wurden damit Regelungen installiert, um unhaltbare Bedingungen bei der Unterbringung von Arbeitnehmern – insbesondere aus Osteuropa – zu beenden.
Das war ein wichtiger und überfällig notwendiger Beitrag gleichermaßen für soziale Gerechtigkeit und Wettbewerbsgerechtigkeit. Über die nunmehr erfolgte nationale Umsetzung in Deutschland bin ich dennoch enttäuscht und verärgert. Wer die regionalen Tarifverträge in der nationalen Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie herausnimmt, wird dem, was der europäische Gesetzgeber in der Richtlinie festgelegt hat, nicht gerecht. Deshalb ist die Festlegung im Gesetz ausschließlich auf bundesweit allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge mit Bezug auf die Praxis lebensfern und wirklichkeitsfremd. Für mich wurden hier die gestalterischen Chancen vergeben, welche die neue EU-Richtlinie ermöglicht hat.”

Auf Anfrage des Beueler Extradienstes bestätigte das von Hubertus Heil geführte Arbeits- und Sozialministerium mit blumigen Worten den Erfolg der Arbeitgeber-Lobby in der Großen Koalition: “In dem Gesetzgebungsverfahren gab es nicht den notwendigen Konsens, um regionale allgemeinverbindliche Tarifverträge unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes aufzunehmen.”
So nett kann man das formulieren.

CDA, SPD und Linke einer Meinung

In einem Antrag, der vom Abgeordneten Pascal Meiser und der Linken Fraktion im Bundestag eingebracht wurde, heißt es dazu:
“…Umso enttäuschender ist es, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf (vgl. Bundesratsdrucksache 84/20) zur Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht an relevanten Stellen deutlich hinter den rechtlichen Möglichkeiten zum Schutz entsandter Beschäftigter zurückbleibt und zum Teil sogar unionsrechtswidrig gegen zwingende Vorgaben der Richtlinie verstößt (vgl. Klein/Schneider, Soziales Recht 2/2019). Auch das im Koalitionsvertrag formulierte Versprechen, bei der Umsetzung der Richtlinie für ‘Gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort’ zu sorgen, wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht eingelöst. So führt die im Gesetzentwurf vorgenommene Unterscheidung zwischen Mindestentgeltsätzen und sonstigen Entlohnungsbestandteilen dazu, dass per Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) noch immer nur Mindestentgeltsätze erstreckt werden können….”
Gegenüber dem Beueler Extradienst erklärte Meiser, der Beschluß bedeute faktisch, “dass mehr als 90 Prozent der Entsandten nicht den hiesigen Beschäftigten gleichgestellt sind.”
Zur Einhaltung von Mindeststandards bedarf es der Kontrolle. Der SPD-Abgeordnete Bernd Rützel begrüßte in seiner Plenarrede am 18. Juni 2020 die Aufstockung der “Finanzkontrolle Schwarzarbeit” beim Zoll um “1.000 zusätzliche Arbeitsplätze”. Rützel: “Es darf nicht sein, dass die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz getroffen zu werden, größer ist als die, vom Zoll kontrolliert zu werden.” Das seinerzeit vom damaligen DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach mitinitiierte DGB-Beratungsnetzwerk für ausländische Arbeitskräfte “Faire Mobilität” bleibt über 2020 hinaus bestehen und soll nun auf Dauer finanziell abgesichert werden.

Fehlende Antenne für soziale Not

Für den CDA-Mann Radtke ist die lückenhafte Umsetzung der Entsenderichtlinie nach der Novellierung des Kurzarbeitergeldes der nächste Punkt, bei dem er sich frage, “ob in Berlin die Antennen für die soziale Not und das, was sich am unteren Ende der Einkommensskala in unserem Land abspielt, falsch eingestellt oder überhaupt noch vorhanden sind.”

Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, CDA, hatte ein Mindest-Kurzarbeitergeld angeregt, um gerade die, die kleine Einkommen haben, in der Krise nicht in den SGB II Leistungsbezug zu drängen. Gerade in seiner Heimatregion, dem Ruhrgebiet, gibt es Radtke zufolge “inzwischen Stimmbezirke mit über 20 – 30 Prozent Zustimmung für AfD und Linkspartei. Wenn wir nicht wollen, dass Extremisten und Populisten immer mehr Nährboden in unserem Land gewinnen, dürfen wir auch Geringverdiener und sozialschwache Menschen nicht aus dem Blick verlieren. Dies gilt es im politischen Handeln deutlich zu machen und nicht in Sonntagsreden.“
Man stelle sich vor, das NRW-Verfassungsgericht hätte das von der CDU/FDP Koalition veränderte Wahlgesetz nicht weg geurteilt und die Möglichkeit zur Stichwahl bei den Oberbürgermeistern hätte es nicht mehr geben – dann AfD-Bürgermeister an der Ruhr wahrscheinlich geworden. Enttäuschte SPD-Wähler wählen nun leider eher AfD als Die Linke.
Was die praktischen Auswirkungen der vermurksten Umsetzung de Entgsenderichtlinie betrifft, so teilen Fachpolitikern der SPD und auch der Linken die Einschätzung des CDA Landesvorsitzenden Radtke.