Die SPD-Chefs
Rund ein Viertel der SPD-Mitglieder reichte aus, um Walter-Borjans und Esken Ende 2019 zu SPD-Vorsitzenden zu machen. Dem Votum der Bürgern, die keine Genossen sind, will sich Walter-Borjans aber nicht aussetzen: Zur Bundestagswahl 2021 strebt er kein Mandat an. Er will sich auf sein Parteiamt konzentrieren, sagt er. Was als Verzicht erscheint, ist gar keiner. Hat der SPD-Chef denn eine Wahl?
Verschärfte Konkurrenz
Für ein Mandat müsste er sich an seinem Wohnort Köln oder andernorts im SPD-Landesverband NRW um einen Wahlkreis bewerben. Ihn braucht er, um von der Partei einen aussichtsreichen Platz auf der Reserveliste zu erhalten. Den wiederum benötigte er, um in den Bundestag einzuziehen, sollte er im Wahlkreis die Mehrheit der Wähler verfehlen. Einen Wahlkreis hat ihm die SPD noch nie anvertraut. Seit wann ist er in der Partei?
Heute ist er 67. Zur Bundestagswahl wird er 69. Bis er im Dezember 2019 SPD-Chef wurde, hatte er auch noch nie ein Parteiamt inne. Welchen Unterbezirk in NRW drängt es da, dem Spätberufenen, der mit dem Parteibuch Karriere in der Landesverwaltung machte, auf die alten Tage einen Wahlkreis anzubieten?
Die SPD steht bei 15 Prozent. Fällt das Wahlergebnis 2021 ähnlich dürftig aus, schrumpft die Zahl ihrer Mandate. Das knappe Angebot an sicheren Wahlkreisen verschärft die Konkurrenz unter den Funktionären. Viele wollen nach oben. Wie viel Platz bleibt da für Walter-Borjans?
Als Schnorrer in Verruf
Die jüngste Diskussion um seine Bezüge wird es ihm erleichtert haben, auf sein Mandat zu verzichten. Er und Esken kassieren neben den Einkünften aus dem Bundestagsmandat (Esken) und aus Pensionen (Walter-Borjans) auch hohe monatliche Beträge aus der Parteikasse. Eine Bundestagskandidatur würde ihn noch stärker der Gefahr aussetzen, als Schnorrer in Verruf zu geraten.
Die hohen Zahlungen der Partei an ihre Chefs sind brisant, weil die SPD als Folge schlechter Wahlergebnisse klamm ist. Sie muss ihren Etat kürzen und in der Parteizentrale Stellen streichen. Auch die Mittel für den Wahlkampf sind geschrumpft. 2021 hat sie 10 Millionen Euro weniger zur Verfügung als 2017.
Gäbe sie Walter-Borjans einen Wahlkreis, käme sie in Verlegenheit, Sie müsste erklären, warum sie ihn nicht auch zum Spitzenkandidaten macht. Die SPD stellt sich diese Frage nicht einmal. In ihren Reihen herrscht die Einsicht vor, dass beide Parteichefs für die Spitzenkandidatur und das Kanzleramt unbrauchbar sind.
Keine Alternative zur Opposition
Je näher die Bundestagswahl rückt, desto sichtbarer wird, dass die SPD gespalten ist. Dieser Zustand war schon bei den Wahlkämpfen 2013 und 2017 zu bestaunen. Der linke SPD-Flügel, der Walter-Borjans und Esken zu Vorsitzenden machte, will raus aus der schwarz-roten Koalition. Regieren will er allenfalls mit der Linken und mit den Grünen. Findet sich eine solche Mehrheit nicht, soll es in die Opposition gehen.
Der rechte SPD-Flügel will regieren. Bei den aktuellen Umfragewerten ließe sich der Wunsch nur im Bündnis mit der Union verwirklichen. Die SPD-Rechte geht davon aus, dass die Partei mit einem der Vorsitzenden als Spitzenkandidat noch schlechter abschnitte als 2017. Dann gäbe es zur Opposition keine Alternative.
Der frühere SPD-Kanzler Schröder sieht nur fünf SPD-Politiker, die das Zeug zum Spitzenkandidaten haben: Scholz, Heil, Giffey, Mützenich und Klingbeil. Schröder rät diesen Politikern, unter sich auszumachen, wer die Partei in den Wahlkampf führt. Taugt das Verfahren dazu, die Lagerkämpfe in der Partei so stark zu deckeln, dass sie den Spitzenkandidaten nicht verschleißen?
Viele Wähler abstoßen
Die SPD-Chefs zählt Schröder nicht zu den Kräften, die fähig sind und Erfolg verheißen. 2013 und 2017 schadeten sich die Spitzenkandidaten, weil ihnen der Wahlkampf entglitt. Nun droht den Parteichefs Schaden, weil ihnen schon die Suche nach dem Spitzenkandidaten zu entgleiten droht. Wieder einmal sind um dessen Rolle Grabenkämpfe im Gange, die viele Wähler abstoßend finden.
Unter ihnen genießt Finanzminister Scholz große Sympathie. Er scheint ihnen als einziger aus der Partei die Aussicht zu bieten, bei Wählern größeren Anklang zu finden. Ausgerechnet ihn aber haben Walter-Borjans und Esken bisher heftig bekämpft. 2019 schnappten sie ihm den Parteivorsitz weg.
Nun wird ihnen nachgesagt, sie wollten ihn auch als Spitzenkandidaten verhindern. Bei der Suche nach Kanonenfutter seien sie fündig geworden. Sie hätten beschlossen, gegen Scholz Fraktionschef Mützenich in Stellung bringen, den die meisten Wähler gar nicht kennen. Dementieren mochten die SPD-Chefs entsprechende Berichte nicht.
Nur notdürftig kaschiert
Vor einem halben Jahr noch wollten Esken und Walter-Borjans auf Biegen und Brechen raus aus der Großen Koalition. Nun loben sie plötzlich die Zusammenarbeit mit der Union. Monatelang lästerten sie öffentlich heftig über ihren Parteifreund Scholz. Nun versichern sie, er sei als Spitzenkandidat durchaus erwägenswert.
Nimmt noch jemand ernst, was die SPD-Chefs von sich geben? Beide erwecken den Eindruck, sie wären vor und nach ihrer Wahl gründlich missverstanden worden. Damals hielten sie es nicht für nötig, diesen Eindruck zu revidieren. Heute stellen sie die Empfänger ihrer Botschaften als begriffsstutzig hin.
Die SPD-Chefs sorgen für Irritation. Die einen werten deren Signale als Versuch, ohne großen Gesichtsverlust zurückzurudern, die anderen als Versuch, ihren Widerwillen gegen Scholz und die schwarz-rote Koalition notdürftig zu kaschieren.
Als Defizit empfunden
Mit mehrdeutigen Äußerungen Spielraum für ein breites Spektrum an Deutungen zu schaffen, um die eigenen Positionen zu vernebeln: Diese Fertigkeit gehört seit jeher zur Grundausstattung jedes Politikers. Früher wirkte sie besonders stark dann, wenn sie diskret praktiziert wurde. Dank Donald Trump ist sie zur Mode geworden.
Auch er widerspricht sich, wenn es ihm opportun erscheint, um seine Gegner zu irritieren und seine Anhänger augenzwinkernd zu bestärken und hinter sich zu scharen. Die politischen Sitten verfallen nicht nur in den USA. Die SPD-Chefs zeigen sich in dieser Hinsicht durchaus auf der Höhe der Zeit.
Ihre Art, Zwiespalt zu pflegen, wird ihnen von einer Entwicklung aufgezwungen, die viele SPD-Anhänger besorgt. Ein Jahr vor der Wahl steht die Partei ohne Machtperspektive da. Immer noch gibt es eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern und Anhängern der SPD, die diesen Verlust schmerzlich als Defizit empfinden.
Zum Spagat gezwungen
Eine rot-rot-grüne Koalition, wie sie sich SPD-Linke und Jusos vorstellen, ist unwahrscheinlicher geworden, seit die Grünen die Koalitionsfrage offen halten und ihre Anhänger auf eine Koalition mit der Union einstellen. Dieser Kurs ist für die SPD und ihre Chefs zum Problem geworden.
Das Problem der SPD: Mit der schwindenden Distanz zur Union trugen die Grünen dazu bei, die SPD so weit zu schwächen, dass ihr nur noch die Opposition übrig bleibt. Die Grünen haben sich für jene SPD-Sympathisanten attraktiv gemacht, die im Falle von Schwarz-grün einen starken grünen Anteil wünschen.
Das Problem der SPD-Chefs: Mit der Öffnung zur Union vertiefen die Grünen den Graben in der SPD zwischen Regierungswilligen und Oppositionsbereiten. Die Kluft zwingt die SPD-Chefs zum Spagat. Wollen sie nicht ins Zentrum des Konflikts rücken und riskieren, zerrieben zu werden, bleibt ihnen nur, sich halbwegs regierungswillig zu zeigen. Propagierten sie im Wahlkampf den Marsch in die Opposition, würden sie sich lächerlich machen.
Noch Luft nach unten
Wohin es führt, wenn sich eine Partei dem Vorwurf aussetzt, sie wolle nicht regieren, können die SPD-Chefs an der FDP studieren. Mit ihr geht es bergab, seit sie es 2018 ablehnte, mit der Union und den Grünen zu koalieren. Heute muss die FDP befürchten, dass die Wähler sie 2021 aus dem Bundestag werfen. Parteien, die sich an der Opposition laben, erscheinen in Parlamenten fehl am Platz. Sie transformieren sich besser zu Brauchtumsvereinen oder NGOs.
Die SPD-Chefs sind Opfer ihrer großen Sprüche geworden. Als sie Parteichefs wurden, lag die SPD bei 13 Prozent. Großspurig wie Trump verkündeten sie damals, die würden die Partei bis Ende 2020 auf „mindestens 30 Prozent“ bringen. Dieser Absicht verhieß weitere Mandate. Heute, auf halber Strecke, steht die SPD wie in Beton gegossen bei 15 Prozent.
Zu erwarten sind nicht mehr, sondern weniger Mandate. 2021 könnten die Wähler Juso-Chef Kühnert erhören und die Partei in die Opposition verbannen. 2017 schrumpfe die SPD um 20 Prozent. Über das Theater, dass sie im Jahr danach den Bürgern zumutete, verlor sie 25 Prozent. Für 2021 ist noch Luft nach unten.
Die nächste Quittung
Nur Tolle und Kühne können glauben, die SPD werde Ende 2020 jene 20,5 Prozent erreichen, die ihr 2017 zufielen. Dass ihre Chefs heute die Positionen relativieren, für die sie gerade erst gewählt wurden, riecht nach Panik. Dass sie sich ausbreitet, ist kein Wunder.
Die SPD-Chefs wissen offenbar nicht, wie sie die Partei durch den Wahlkampf steuern wollen. Spielt sie um den Abstieg oder um den Klassenerhalt? Ihr rechter Teil will in der Bundesliga bleiben. Der linke Teil hat die Amateurmannschaft auf den Platz geschickt. Kann das gutgehen?
Macht sich die SPD auch in ihrem Wahlkampf 2021 unglaubwürdig, droht ihr die nächste Quittung. Das Wahlergebnis könnte einstellig ausfallen. Viele Kandidaten blieben auf der Strecke. Sie können sich schon heute ausrechnen, bei welchem Resultat sie im Abseits landen werden. Sollte die SPD schlechter abschneiden als 2017, wird ein Sündenbock gebraucht. In dieser Hinsicht ist sie gut aufgestellt: Mit einem beschädigten Spitzenkandidaten, ihrem Führungsduo Esken/Walter-Borjans und deren Mentor Juso-Chef Kühnert verfügt sie sogar über vier Aspiranten.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog des Autors, mit seiner freundlichen Genehmigung.
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