“Populismus” ist im politischen Diskurs zu einem Totschlagbegriff geworden, ähnlich wie “Verschwörungstheorie”. Der Begriff wird immer dann gerne als Keule eingesetzt, wenn die*der Betreffende begrifflich anders nicht mehr weiter weiss. Nachdem Donald Trump unter widrigsten Umständen seiner eigenen Politik so viele Stimmen für sich mobilisiert hat, gibt es nun selbstverständlich Streit darum, warum sein Konkurrent und Mobilisierungsbesieger entweder “noch mehr”, oder “nicht mehr” Stimmen mobilisieren konnte.
Wie immer geht Alexandria Ocasio-Cortez aus der Deckung und formuliert einen Schüsselsatz meiner “Politisches Prekariat”-Artikelreihe: “It’s your own party thinking you’re the enemy.” Näheres in deutscher Sprache entnehmen Sie Frank Jödickes/telepolis “Ding, Dong The Witch is Dead” und David Sirotas/Jacobin-Text “Das Linken-Bashing geht los”.
Hierzulande geht es nicht los, sondern ist ein Dauerzustand. So finden sich nicht wenige, auch fortschrittliche Publizisten, die einer imaginären Linken sogar den islamistischen Djihadismus in die Schuhe schieben wollen, obwohl doch die Fakten mehr dafür sprechen, dass es staatliche (Geheim-)Dienste sind, die ihn, ähnlich der heimischen Nazis, mit V-Leuten und Logistik anfüttern, es hinterher selbstverständlich nicht gewesen sein wollen, um angesichts solcher spektakulär sichtbar werdender mitverschuldeter Ungeheuer Ressourcenvorteile für sich selbst herauszuschlagen. Es gibt nicht wenige unkundige Liberale, Grüne und Linke, die jedes Wochenende in diese Fallen der Dienste und der Springer-Sonntagsblätter tappen, immerhin auch (noch) einige, wie die Grüne Ex-Polizistin Mihalic und die Linke Renner, die es nicht tun.
Die linke Bonner Sozialdemokratin Bettina Kohlrausch, die wir leider an das schwärzeste Westfalen verloren haben, erklärte soeben der taz, wie die ökonomischen Desaster des Corona-Lockdowns die diskursive und politische Lage weiter erschweren.
Was tun? Der von mir geschätzte Stefan Reinecke/taz meint, linker Populismus sei nicht die Lösung. Bernie Sanders und Jeremy Corbyn hätten mit ihrem “Scheitern” bewiesen, dass “es nicht funktioniert”. Ergänzend nennt er die deutsche “Farce” Aufstehen. Spielte ihm da die Enge der Druckzeilen eine Streich? In seinem Hirn ist jedenfalls mehr Platz. Zu “Aufstehen” wurde hier alles geschrieben. Eine Bewegung die als Instrument eines engen parteipolitischen Zwecks konfiguriert wird, ist keine Bewegung, sondern nur eine Simulation.
Zu Sanders und Corbyn ist die Erfolgsfrage eher offen. Die hinter und mit ihnen entstandenen Bewegungen und Infrastrukturen sind nicht tot, im Gegenteil. Sanders hat zum Sieg Bidens solidarisch beigetragen, Dank wird er dafür, so wenig wie AOC (s.o.), nicht erhalten. Corbyn hat, u.a. über die Momentum-Bewegung, eine hohe sechsstellige Zahl Parteimitglieder gewonnen. Das steht bei Olaf Scholz noch aus.
Im Kern gab es ein Repräsentationsproblem aller dieser Versuche von Linkspopulismus. Ein alter weisser, sogar weisshaariger, Mann ist nicht die richtige Führungsfigur für eine junge, moderne Bewegung. Sanders und Corbyn waren zwar gerade wegen dieses Klischeebruchs für ihre Fans besonders glaubwürdige Personen. Und wie viele gibt es davon noch in er Politik? Aber sie strahlen zu wenig über ihre Fan-Community hinaus. Angela Merkel tut das (über CDU und Konservative hinaus), Jacinda Ardern tut es, und AOC könnte es auch, was das Grosskapital-Establishment der US-Demokraten zurecht fürchtet und jetzt schon vorsorglich (mit allen Mitteln) bekämpft. Denn die Mehrheit der Menschen sind Frauen. Und mobilisierbar sind vor allem die jungen Frauen.
Was fehlt sind eine Deckung von Botschaft, Person und Organisation (Partei). Nicht leicht. Wer es schafft, gewinnt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net