Von Günter Bannas
Neulich wurde digital ein Disput zwischen dem Soziologen Armin Nassehi und Robert Habeck, dem Ko-Vorsitzenden von Bündnis90/Die Grünen, ausgetragen. Thema der gestreamten Veranstaltung: Was die „grüne Erzählung von Veränderung“ sei. Habecks Plädoyer: Die Grünen müssen „die Fixierung auf das eigene Milieu überwinden“. Sie müssten „strategische Allianzen“ bilden, in neue, christliche und liberale Wählerreservoirs eindringen – wie das auch dem Begriff „Bündnis“ in ihrem Parteinamen entspreche. Nassehi hingegen: Vor allem müssen die Grünen ihre „Regierungsfähigkeit“ beweisen. Habeck, für seine Verhältnisse, unwirsch: „Das haben wir schon getan.“ Womit er – ausweislich der Vergangenheit und Gegenwart der Partei – natürlich recht hat. Jetzt aber gehe es ihm um den „Anspruch auf die Richtlinienkompetenz“. Nun ist Habeck von der Ausbildung her eher, wie das heute heißt, ein „Kulturschaffender“ als ein Verfassungsjurist. Seine Reden gleichen nicht selten einem Ausflug ins politische Feuilleton. Ansprüche aber wurden nicht verwuschelt. Habeck bezog sich nicht allgemein auf Gründungsziele der Grünen, sich etwa in Fragen der Kernenergie (Atomausstieg) oder der Frauenpolitik (Gender) durchsetzen und auf diese Weise Richtlinien der Politik bestimmen zu wollen. Womit sie das Land (und sich selbst) veränderten. Habecks Verlangen galt dem Grundgesetz: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik.“ Auch wenn seine Partei bei der Sonntagsfrage konstant auf Platz zwei liegt – hinter der Union und vor der SPD – ist das mutig. Ziemlich mutig.
Die Analyse des Grünen-Vorsitzenden, der Erfolg der Grünen gleiche einem Angriff auf die hergebrachte Parteienordnung, nach welcher sich Christ- und Sozialdemokraten an der Regierungsspitze abwechselten, ist angesichts der Umstände nicht abwegig. Nun aber stehe die Führungsfrage an, ist seine Devise. Noch jedoch weichen die Grünen der Frage aus, ob und vor allem wer als Kanzlerkandidat die „Führungsverantwortung“ repräsentieren soll: Habeck? Oder die Ko-Vorsitzende Annalena Baerbock, die sich erfolgreich in die entscheidenden Themen der Politik einarbeitet? Oder ein Dritter? „Nicht mit wem, sondern mit was erreichen wir die Richtlinienkompetenz der Macht“, warnen Altvordere der Partei. Der Volksmund hilft ihnen einstweilen nicht weiter. Einerseits: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Andererseits: Übermut kommt vor dem Fall.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
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