Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Demonstrationsrecht, Coronaleugner und die Grünen

Nach der Demonstration von Hooligans, Rechtsextremisten, Aluhüten, Q-Anon-Sektengläubigen und Corona-Leugnern vergangenen Woche in Leipzig sind manche CDU- und SPD-Politiker schon wieder dabei, die größte Dummheit zu begehen und den selbsternannten, verlogenen Grundrechtsschützern Recht zu geben. So forderten Vertreter beider Großkoalitionäre nach den Krawallen, das Demonstrationsrecht in Corona-Zeiten weiter einzuschränken, Demonstrationen auf 1.000 Teilnehmer zu begrenzen und ähnliche verfassungsrechtlich bedenkliche Grundrechtseingriffe, die Corona-Leugner nur bestärken. Die Politik hat nicht begriffen, dass sie damit genau in die Falle der Corona-Gegner und Trumpisten geht, die fälschlich behaupten, sie seien durch die Corona-Maßnahmen in ihren Grundrechten eingeschränkt.

Es ist die Unglaubwürdigkeit der Aktionen, als deren Veranstalter ein narzisstischer Stuttgarter IT-Unternehmer auftritt, der wohl in Deutschland nur allzu gerne in die Fußstapfen Donald Trumps treten würde, es aber schafft, diesen in Sachen intellektuellem Niveau noch zu unterbieten. Worum es ihm eigentlich geht, ist unklar: Er wettert wegen angeblicher “Grundrechtsbeschränkungen”, bietet vornehmlich Neonazis, Q-Anon Sektenanhängern, Coronaleugnern, gewalttätigen Hooligans und Leuten eine Bühne, denen die Grundrechte auf Pressefreiheit, körperlicher Unversehrtheit anderer, Freiheit des Wortes und der Rede, jegliche Toleranz gegenüber Andersdenkenden am “Arsch vorbeigehen”, willfährig eine Bühne. Auf seinen Veranstaltungen gehen Personen mit dem “Grundgesetz” in der Hand auf Polizisten, Journalisten und unbeteiligte Bürger los und schlagen auf sie ein, bespucken oder bedrohen sie mit Infektion.

Auf seiner Homepage bietet der selbst ernannte “Querdenker” allerlei Musterschreiben und Musterklagen, adressiert an Behörden, mit dem Ziel, Jugendliche oder Erwachsene schutzlos dem Corona-Virus auszusetzen und auf Masken zu verzichten. Wieso geht niemand dagegen wegen versuchter Körperverletzung vor? Dass er und seine Brüder im Geiste ihre Bemühungen in Verzerrung der Wirklichkeit trotz langsam volllaufender Intensivstationen mit Corona-Infizierten unbeirrt fortsetzen, gleicht dem Verhalten Trumps, der die Realität seines Wahlverlustes nicht anerkennen will. All dies ist hinreichend bekannt, nicht grundlos warnte gestern das Bundesamt für Verfassungsschutz vor einem in den Medien und vor Ort gleichermaßen beobachtbaren Abrutschen der Szene in Gewalt und Extremismus.

Was aber tut die Hessische Polizei und ihr Innenminister? Als eine Demonstration mehrerer hundert Corona-Leugner gegen die Auflagen der Abstände und Maskenpflicht verstößt, geht sie zunächst einmal gegen die Gegendemonstranten vor. Die wollten Aluhüte, Neonazis und  Verschwörungsgläubige daran hindern, weiter in die Frankfurter Innenstadt einzudringen – dagegen setzt die Polizei Wasserwerfer ein. Gleichzeitig geht sie auch gegen Journalisten vor, die über diese skandalöse Polizeitaktik berichten wollen. Erst danach entschließt sie sich, als die hundertfachen offensichtlichen Verstöße gegen die Auflagen nicht mehr übersehbar sind, auch die Demonstration der Coronaleugner aufzulösen und ihre Wasserwerfer endlich auch gegen diese zu richten. So jedenfalls stellt sich für den unbedarften Beobachter dar, der diverse Fernsehberichte und Meldungen des Deutschlandfunks aus den verschiedensten Blickwinkeln beobachten konnte. Hier wird es eine Menge zu untersuchen geben.

Die hessischen Grünen sind bei alldem nicht politisch präsent. Stellten sie einst mit Rupert von Plottnitz den Justizminister und standen für Rechtsstaatlichkeit, Realpolitik und Klarheit gegenüber Verfassungs- und Grundrechtsverletzungen wie dem “Großen Lauschangriff”, kommen sie heute weder in der Diskussion um neonazistische Netzwerke in der Hessischen Polizei, noch bei den Auseinandersetzungen um den Bau der A 49 Gießen-Kassel, einem anachronistischen, völlig überzogenen Projekt sozialen und umweltpolitischen Schadens als Träger irgendeiner eigenen Meinung vor.

Ihr einst als asyl- und migrationspolitischer Shooting-Star geltender Frontmann Tarek -Al-Wazir verliert sich halt- und prinzipienlos im Dschungel des verkehrs- und wirtschaftspolitischen Klein-Kleins und lässt seinem Koalitionspartner in Rechtsstaatsangelegenheiten offensichtlich alles blind durchgehen. Nicht nur die zweifelhaften und bis heute unaufgearbeiteten Rechtsextrmismus-Verstrickungen der hessischen Polizei bleiben unaufgeklärt.

Die hessischen Grünen deckten auch, dass mögliche Verwicklungen von Verfassungsschutzmitarbeiter Temme in den rassistischen Mord in einem Internet-Cafe und Kassel für die nächsten 120 Jahre gesperrt werden sollen – ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang. Derartigen Unsinn kennt man sonst nur aus den USA, wo etwa die CIA- und FBI-Akten über den Kennedy-Mord noch bis 2050 gesperrt sind. Die hessischen Grünen fühlen sich offensichtlich nicht in der Lage, oder sie sind nicht willens, Gesamtverantwortung in einer Koalition zu übernehmen, in der sie mit 26% der Wählerstimmen eigentlich ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hätten.

Auch in Koalitionen ist man nicht hilflos: Als 1998 Wolfgang Clement in NRW Innen- und Justizministerium verfassungswidrig zusammenlegte, haben die Grünen den Verfassungsbruch als Koalitionspartner als solchen bezeichnet und so dafür gesorgt, dass die Klage der Opposition vor dem Verfassungsgericht erfolgreich war.

Die hessischen Grünen dagegen schaden dem Anspruch, den die Grünen seit ihrem Einzug in den Bundestag 1983 unter dem positiven Einfluss ehemaliger Jungdemokraten bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausend formuliert haben: Die FDP als Rechtsstaatspartei und Wahrerin von Bürgerrechten abzulösen, die diesen Anspruch nach der “Wende” und mit der Zustimmung zum “Großen Lauschangriff” verloren hatte. Rupert von Plottnitz, Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, Jerzy Montag oder Jan-Phillip Albrecht und Konstantin von Notz stehen für diese Positionen. 2020 scheint in Hessen davon nur noch blinde Koalitionstreue zu einem schwachen Innenminister der CDU übrig zu sein.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Auf Tagesschau-Bildern habe ich in Frankfurt Plakate von MdEP Martin Sonneborns “Die Partei” durchs Bild laufen sehen., Aufschrift: “Wir impfen euch alle!” Mit diesem Humor holen die mittlerweile überall, wo sie antreten, Prozentzahlen mit einer Zahl vor dem Komma. u.a. 1 Sitz im Bonner Stadtrat.

  2. Gerd Kauschat

    Ist es wirklich eine gute Idee, Leute pauschal zu diffamieren? Der Artikel tut das in großem Stil, was genau leugnet ein Corona-Leugner eigentlich? Die Existenz des Virus? Seine Gefährlichkeit? Allein die fehlende Definition des Begriffs zeigt, dass es sich hier einfach um einen abwertenden, emotionalisierenden Kampfbegriff handelt. Die Gefährlichkeit von Corona ist diskutabel – ursprünglich wurden teilweise IFRs im wenigstens einstelligen Prozentbereich angegeben (und teilweise sogar darüber), mittlerweile sind selbst hohe Schätzungen bei unter einem Prozent angekommen. Allein das sollte Anlass sein, nicht vorschnell zu urteilen.

    Davon abgesehen: Wird nicht bald zur Kenntnis genommen wird, dass vielen Leuten das Wasser wegen der Corona-Maßnahmen bis zum Hals steht – und aus diesen Menschen speisen sich die Corona-Demonstrationen zu einem guten Teil – treibt man diese Menschen den Rechten in die Arme. Es wäre nun wahrlich nicht das erste mal, dass sie die Rechten eine soziale Misere zu Nutze machen, da wäre es durchaus angebracht, aus der Geschichte zu lernen.

    • Roland Appel

      Genau. Die Existenz und die Gefährlichkeit leugnen sie, sonst würden sie Maske tragen und sagen, was sie eigentlich wollen. Und dass Soloselbständige und KünstlerInnen, Veranstalter*innen, freie Referent*innen in der Weiterbildung usw. dereit “am Arsch” sind, weiss jede*r – dafür braucht es wirklich keine “Quer-statt-Nachdenker-Demos”, lieber Gerd.

    • Gerd Kauschat

      Lieber Roland,
      Denke mal bitte über die Formulierung “Die Existenz *und* die Gefährlichkeit leugnen sie” noch mal nach, vielleicht fällt Dir ja etwas auf. 😉

      LG
      Gerd

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑