Bei der Kommunalwahl in Bonn haben die Wähler*innen entschieden, dass die Grünen die stärkste Fraktion im Stadtrat stellen sollen. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen werden Parteien gewählt, nicht Einzelpersonen, wie zum Beispiel in Baden-Württemberg und Bayern. Nun ist seit einigen Wochen zu lesen, dass zwei Mitglieder der Grünen Stadtratsfraktion ihren Austritt erklärt, ihr Mandat aber behalten haben. Grund für ihren Schritt waren angeblich keine politisch-inhaltlichen Differenzen. Das ist wenig glaubwürdig, denn durch die Mitnahme des Mandats wurden die Grünen ihres Vorsprungs vor der CDU beraubt. Überhaupt scheint es ein recht fragwürdiges Demokratieverständnis zu sein, das die beiden Öko-Sezessionisten antreibt.
Denn die Ursache ihres Austritts ist, wenn man den Lokalzeitungen trauen darf, die Enttäuschung über ihre Nicht-Wiederwahl als Bezirksbürgermeister*in. Schwer zu verstehen, zählten sich doch Brigitta Poppe und Hardy Lohmeyer lange zu den basisdemokratischen “Urgrünen” Fundis, kämpften in den 90er Jahren noch im Kreisverband für das imperative Mandat und die Ämterrotation. Bonner Delegierte sollten auf Landesparteitagen nur so abstimmen dürfen, wie der Kreisverband vorher beschlossen hatte. Damals ging ihnen der Basiswille der Partei über alles. Beiden war es immer besonders wichtig, darauf zu achten, dass etwa Landtagsabgeordnete ihre “freiwilligen Diätenabführungen” auf den Pfennig genau erfüllten und mit der “Rotation” wollten sie Hierarchien und Berufspolitiker vermeiden. Immer wenn es um “Grüne Prinzipien” ging, traten Poppe und Lohmeyer als Wächter und Mahner auf. Nun hatte die Grüne Parteibasis bei der Listenaufstellung beschlossen, sie auf hintere Plätze zu setzen, die gleichwohl zum Einzug in den Stadtrat reichten. Und die frisch gewählte Fraktion hat beschlossen, dass es Zeit für neue Gesichter sei und auch Bezirksbürgermeister Wahlämter auf Zeit sind. So what?
Wahlämter sind Ämter auf Zeit
Wer sich als Politiker*in nicht damit anfreunden kann, dass Wahlämter Ämter auf Zeit sind, über die Mehrheiten entscheiden, hat ein ganz fundamentales demokratisches Gesetz nicht verstanden und ist am falschen Platz. Natürlich ist es menschlich verständlich, wenn Mandate enden und dies mit persönlichen Enttäuschungen einher geht. Ich selbst wurde – obwohl Fraktionsvorsitzender im Landtag – 2000 nicht mehr für die Landesliste aufgestellt – aber ich bin heute dankbar, dass ich Unternehmer werden musste und nicht existenziell von der Politik abhängig bin. Aber deswegen aus der Partei auszutreten und das Mandat mitzunehmen, gehört zu den politisch zweifelhaften Delikten, die mit dem völligen Verlust der persönlichen Glaubwürdigkeit bestraft werden.
Das in der Geschichte der Bundesrepublik wohl übelste Beispiel der Mandatsmitnahme waren die jener Bundestagsabgeordneten, die 1971 als rechte Ewiggestrige die Entspannungspolitik Willy Brandts und Walter Scheels verhindern wollten. Damals traten die FDP-Bundestagsabgeordneten Mende, Zoglmann und Kienbaum, sowie der SPD-Abgeordnete Herbert Hupka zur CDU über und nahmen ihre Bundestagsmandate mit. Der widerliche Versuch, die “Ostverträge” zu Fall zu bringen und die eigene Karriere fortzuführen, erboste damals die ganze Republik und erregte die Abscheu einer ganzen jungen Generation. Schließlich hatten sie ihr persönliches Interesse über die Stimmen sozialliberaler Wähler und Programme gestellt. Es ist peinlich, fünfzig Jahre später ehemals fundamentalistische Grüne zu erleben, die keinen Deut besser handeln. Was hält Brigitta Poppe und Hardy Lohmeyer eigentlich davon ab, auf ihre Mandate zu verzichten und für Grüne Nachrücker*innen Platz zu machen und damit wenigstens dem Willen der Grünen Wähler*innen zu folgen, die 29 Grüne in den Stadtrat gewählt haben?
Mandatsmitnahme ins politische Nirwana
Ihre irrlichternden Begründungen, man sei ja inhaltlich nicht weit weg von den Grünen, stehen im krassen Gegensatz zur Mandatsaneignung, die eine neue Politik im Rat erschwert und der Grünen OB eine wirkliche Wende in der Stadtpolitik nach vorne schwieriger macht. Schon das jahrelange schwarz-grüne Geschwurbel Poppes und Lohmeyers war alles andere als ein klarer Kurs für ökologische Politik. Dem stehen nun zwei Ewiggestrige im Weg, die sich an ihre Ämter und Entschädigungen klammern, dabei keinerlei politisch-inhaltliche Begründung liefern können. Erreichen werden sie in der Sache ohnehin nichts, zeichnet sich doch ab, dass die ganz anders für eine erfrischend neue Politik stehende Gruppe von “VOLT” ihre attraktiven, innovativen und ökologischen Ideen möglicherweise in eine Koalition einbringen wird, die die ökologische, soziale und demokratische Erneuerung Bonns mit einer Mehrheit jenseits von CDU und FDP vorangebracht werden kann.
Poppe und Lohmeier werden dafür nicht mehr gebraucht. Nicht, weil die Grünen sie nicht mehr wollten, sondern weil sie nicht menschlich fähig waren, sich nach einer guten Zeit herausgehobener Position demokratisch einfach wieder einzureihen. Thomas Oppermann, bis 2017 Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, hat vorgelebt, wie das in der Demokratie geht: der leidenschaftliche Parlamentarier trat vom Amt zurück und machte den Weg für die jüngere Generation frei. Er, der kürzlich viel zu früh verstarb, war das Vorbild eines Demokraten und obendrein ein außergewöhnlicher Mensch. Derartige politische Reife kann angesichts des Handelns der beiden Bonner Altgrünen nur zum Fremdschämen nötigen. Eine politische Legitimation für ihre Mandatsmitnahme ins politische Nirwana gibt es für Poppe und Lohmeyer nicht. Sie sind keine Märtyrer für Überzeugungen, es ging ihnen am Ende nur um ihre Posten. Damit haben sie der Grünen Partei schweren Schaden zugefügt. Sie sind politisch handlungsunfähig und demokratisch in keiner Weise legitimiert.
Die einzige Konsequenz
Daraus müssten sie die Konsequenz ziehen und auf ihre Mandate verzichten. Das wäre wohl der einzige Weg, um wenigstens ein Mindestmaß an menschlicher Achtung und politischer Wertschätzung wieder zu gewinnen.
Ein sachlicher Fehler: die Mehrheit der Grünen Stadtratsmandate, auch die von Poppe und Lohmeyer, wurden durch den Gewinn eines Direktwahlkreises, nicht durch Listenplätze erworben. Auch dafür war die Nominierung durch die Partei erforderlich. Natürlich hat dabei niemand der Bewerber*innen als Bedingung formuliert, noch die Position x, y und z bekommen zu müssen, um mit der Nominierung einverstanden zu sein. Ein Nebeneffekt der Wahlkreisgewinne ist, dass die Grüne Stadtratsfraktion bei weitem nicht geschlechterquotiert ist.