Das Begnadigungsrecht ist eine Verbeugung des Staats vor der Humanität. Es überrascht nicht, dass Donald Trump es nun im Fall Flynn missbraucht. Aber könnte er sich tatsächlich selbst vor einer Verurteilung retten?
Getümmel, Getümmel, Eilmeldungen. Alle höchst dramatisch – und sehr erwartbar. Demokraten in den USA sind empört, zumindest einige Republikaner sind begeistert. Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump hat seinen ehemaligen Sicherheitsberater Michael Flynn begnadigt. Der war in die Russland-Affäre verwickelt und könnte vielleicht noch einiges erzählen, was für Trump unangenehm wäre. Von Machtmissbrauch bis zu Rehabilitierung eines Helden reichen die Reaktionen. Die Grundsatzfragen hinter dem Konflikt sind jedoch interessanter als eilige Pressemitteilungen.
Das Begnadigungsrecht – das übrigens nicht nur der US-Präsident, sondern auch der deutsche Bundespräsident hat – wirkt auf den ersten Blick wie ein grotesker Widerspruch zu Prinzipien der Demokratie. Keine Mehrheitsentscheidung liegt ihm zugrunde, sondern allein der Wille des Staatsoberhaupts. Warum nicht gleich die Monarchie wieder einführen?
So kann man das sehen. Ich sehe das anders und bin eine Anhängerin des Begnadigungsrechts. Es erkennt die Tatsache an, dass nicht einmal das beste Rechtssystem den Anspruch erfüllen kann, den Umständen jedes Einzelfalles gerecht zu werden. Deshalb ist es manchmal eben geboten, „Gnade vor Recht“ ergehen zu lassen. Anders ausgedrückt: Es ist die Verneigung des Staats vor der Humanität.
Selbstverständlich birgt das die Gefahr des Missbrauchs. Wie jedes Privileg. Und selbstverständlich wird es von Donald Trump missbraucht. Das kann ja nun nicht wirklich überraschen. Er nutzt Vorrechte bekanntlich gern für eigene Zwecke. Ich nehme jede Wette an – und das ist kein riskantes Glücksspiel –, dass er vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus auch noch weitere Leute begnadigen wird, die ihm gefährlich werden können, wenn sie erst einmal auspacken.
Heftig diskutiert wird derzeit in den USA eine noch sehr viel weiter gehende Frage, und hier wird es endgültig absurd: Kann und wird Donald Trump sich selbst begnadigen, um damit Verfahren abzuwenden, die ihm nach dem Ende seiner Amtszeit drohen – wenn er nicht mehr immun ist? Ich finde die Frage lustig. Die Tatsache, dass sich derzeit Verfassungsrechtler und vielleicht eines Tages der Supreme Court damit auseinandersetzen müssen, hat eine groteske Seite. Als gebe es derzeit keine drängenderen Probleme.
Vielleicht hätte Donald Trump nicht nur das Recht, sich selbst zu begnadigen, sondern er dürfte darüber sogar schweigen. Dann wäre es ihm möglich, erst dann, wenn er sich vor Gericht äußern müsste, eine Karte aus seinem Jackett zu ziehen und zu erklären, das Verfahren habe sich erledigt. Er habe sich schon längst begnadigt. Ätsch. „Du kommst aus dem Gefängnis frei“: Monopoly ist nichts dagegen.
Vermutlich wäre ich weniger fröhlich, wenn ich glaubte, dass Trump sich mit den Resten seiner Amtsgewalt tatsächlich jeder Verantwortung entziehen könnte. Aber das ist nicht der Fall. Die Begnadigung eines US-Präsidenten kann sich nur auf mögliche Verfehlungen beziehen, die auf gesamtstaatlicher Ebene verfolgt werden. Nicht aber auf Gesetzesverstöße, die von einzelnen Bundesstaaten untersucht werden.
Da gibt es so einen Staatsanwalt im Bundesstaat New York. Der untersucht eifrig, fleißig und konsequent mögliche Steuervergehen und die Fälschung von Geschäftsunterlagen seitens des bisherigen US-Präsidenten. Sollte er erfolgreich sein, dann könnte Trump sogar im Gefängnis landen. Nein, darauf würde ich nun wiederum nicht wetten. Aber – möglich wäre es. Immerhin.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.
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