Beueler-Extradienst

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Die Falschen, die Verfassung zu schützen

Sie sind Hetzer, Rassisten, Verunglimpfer der Demokratie, Frauenfeinde, bieten Neonazis und völkischen Geschichtsklitterern Unterschlupf und Heimat. Sie haben Führungspersonal, das sich bürgerlich gibt, um den Anschein einer “normalen” demokratischen Partei zu erwecken. Meuthen, Gauland, Weidel und Co. sind die Fassade, hinter der Bernd Höcke, Beatrix von Storch, Holger Puchalla, viele Angehörige des ehemaligen “Flügels” mit Reichsbürgern, ehemaligen NPD-Leuten, modernen Rassisten der “Identitären” und Q-Anon-Verschwörern Bündnisse des Hasses und der Fremdenfeindlichkeit schmieden. Die AfD hat völkisches Denken und die Sprache des Nationalsozialismus aus der Versenkung des nach der NS-Zeit in Deutschland Unsagbaren hervorgeholt und brüstet sich dafür. Mit diesem braunen Dreck in den Köpfen gilt es sich auseinander zu setzen – anstatt ihn populär zu machen.

Die AfD bekämpft man nicht durch Spitzel

Der Verfassungsschutz, namentlich das Bundesamt handelt dabei inkompetent und kontraproduktiv. Es gilt, den Anfängen zu wehren und diesen Ideologien und den hinter ihr stehenden Finanzstrukturen (Degussa)  und rechtsextremen Ideologiefabriken (Stiftungen, studentische Verbindungen) und Medien, nicht nur die AfD-kontrollierten, sondern die geistig nahestehenden  (“Junge Freiheit”, aber auch z.B. “Tichys Einblicke”) auf ihre Wirkung auf ihr Publikum zu analysieren und durch Aufklärung den Rechten entgegen zu wirken. All dieses ist eine Aufgabe der Politikwissenschaft und des Journalismus sowie der Zivilgesellschaft. Diese Kampf ist in Zeiten (a)sozialer Medien auch immer ein Kampf um fairen Diskurs, Würde und Achtung der Andersdenkenden. Hierzu braucht es keine Spitzel, keine V-Leute und keine Geheimniskrämerei. Es braucht wissenschaftliche Exaktheit, Daten aus dem Netz, Klugheit und Argumente. Beides ist im Bundesamt für Verfassungsschutz, aber auch bei den Innenministern, vor allem bei Horst Seehofer, kaum anzutreffen.  Sonst hätte sich das BfV nicht die gerichtliche Niederlage eingefangen, die nun der AfD genau das Geschenk gemacht hat, das sie sehnlicher nicht hat erhoffen können: Sie ist mal wieder ein unschuldiges Opfer böser politischer Mächte geworden.

Ideologische Brandstiftung aufzeigen

Die verfolgte Unschuld zu spielen, ist eine der Lieblingsrollen von Meuthen und seinen ideologischen Spießgesellen, die gleichzeitig ein Denken in den eigenen Reihen dulden und fördern, das geistiger Treibstoff für rassistische Hetzjagden, Übergriffe, für Gewalt und letztlich rassistisch motivierten Mord war und ist. Von der NSU über Halle bis nach Hanau zieht sich die Blutspur, deren geistige Anstifter in den Parlamenten sitzen und das Hänneschen mit der Demokratie machen. Asylschwindel, Asylbetrug, Kopftuchmädchen und Messermänner, Umvolkung, Bevölkerungsaustausch – das sind die Vokabeln, die die Rechtfertigung für die Gewalttäter beinhalten, und die in und durch die AfD hoffähig gemacht werden sollen. Begrifflichkeiten, die sie in den Alltag und in den Sprachgebrauch trägt und zu etablieren versucht.

Um das zu erkennen und zu bekämpfen bedarf es keiner Spitzel und Abhörgeräte. Es bedarf Entschlossenheit der Demokraten und einer Strategie. Der beste Schutz der Verfassung sind Bürger*innen, die ihre Grundrechte wahrnehmen und die Freiheitsrechte gegen ihre Feinde verteidigen. Das ist in Zeiten der Pandemie nicht immer einfach. Zu denen, die nicht wissen, dass Grundrechte immer wieder in Gefahr kommen können, sind solche getreten, die das Grundgesetz als Schutzschild für Angriffe auf die Pressefreiheit, auf die Grundrechte ihrer Mitbürger*innen, zum Leugnung von Corona und Verbreitung ihrer Verschwörungslegenden mißbrauchen. Aber auch gegen diese Art von Grundrechtsangriff müssen sich Demokraten durch Aufklärung und Diskurs in den Institutionen, Parteien und Gewerkschaften wehren, und können es nicht auf einen Geheimdienst delegieren.

Sympathisanten in den Ämtern?

Schon gar nicht auf einen derartig stümperhaften. Der Schaden ist so groß, wie er größer kaum sein könnte. Nicht zuletzt durch das Vorgehen von Thomas Haldenwangs Behörde wurden geheime Informationen an die 16 Landesbehörden weitergegeben. Alle mussten wissen, dass die Weitergabe von internen Informationen, sollten sie an die Öffentlichkeit gelangen, der AfD sofort Anlass und Gelegenheit zu rechtlichen Schritten geben würde. Insofern muss die Frage gestellt werden, ob es Zufall oder Dummheit war, dass die Informationen duchgestochen wurden, oder ob es eine gezielt “undichte Stelle” gab. Möglicherweise gibt es im Verfassungsschutz weiterhin Sympathisanten der AfD, wie den Vorgänger des amtierenden Behördenchefs Hans-Georg Maaßen.

Statt Extremismus dem Rechtsstaat geschadet

Dass der Verfassungs”schutz” eher eine Gefahr für die Verfassung, als einen wirklichen Schutz derselben darstellt, ist seit fünfzig Jahren hinreichend bekannt. Gesinnungsschnüffelei und Berufsverbote in den 70er und 80er Jahren gegen Linke, ein gescheitertes Verbotsverfahren gegen die NPD, weil es im Vorstand vor V-Leuten nur so wimmelte, Pleiten, Pech, Pannen und Verstrickungen in die NSU-Machenschaften, die Affäre Anis Amri, und nicht zuletzt die auf 120 Jahre gesperrten Verfassungsschutzakten in Hessen um einen Mitarbeiter, der zum Tatzeitpunkt am Anschlagsort eines NSU-Mordes war. Dies alles hat zumindest Zweifel an der Wirksamkeit der Bekämpfung des Rechtsextremismus durch den Inlandsgeheimdienst genährt.

Strategie der Unrechtserklärung gescheitert

Schon Konrad Adenauer unterlag dem Irrtum, er könne politisch unliebsame Kräfte durch Diffamierung von der politischen Bühne verdrängen. So diffamierte er im Bundestagswahlkampf 1957 die SPD-Kandidaten und Gewerkschafter Scharley und Schroth wahrheitswidrig als “kommunistisch finanziert” um nach der Bundestagswahl diesen Vorwurf als “Irrtum” zurückzunehmen.  Selbst rechte SPD-Abgeordnete wie Gerhard Jahn zögerten in den 70er Jahren nicht, Jungsozialisten in ihrem Kreisverband beim Verfassungsschutz anzuschwärzen. Der Grad zwischen politischer Unrechtserklärung und substanziierten Fakten über verfassungsfeindliche, volksverhetzende, auf Abschaffung der Demokratie zielende Aktivitäten ist schmal. Jahrzehntelang war die Staatsmacht dabei auf dem rechten Auge blind. Die Strategie des Bundesinnenministers, die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als Unrechtserklärung zu nutzen, ist jedenfalls vorerst nicht nur gescheitert, sondern ihre Stümperhaftigkeit hat der AfD genützt. Wie es sich auswirkt, werden die bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigen. Die AfD, bisher dort eher auf ihre Stammklientel – in Baden-Württemberg immerhin 11% – geschrumpft, konnte sich dort nun auch außerhalb der Aluhüte und Coronaleugner wieder ins Gespräch bringen.

Demokratieverteidigung geht uns Demokraten alle an

Wer meint, die Bekämpfung des Rechtsextremismus einer staatlichen Behörde zu überlassen, unterliegt einem Irrtum. Weimar ist – entgegen lange gepflegter Legenden-  nicht an den Extremisten gescheitert, sondern an der Kapitulation und dem Versagen der Mitte. Die Zustimmung von Zentrum und DDP zum Ermächtigungsgesetz ist eine letzte Kapitulation gewesen – die demokratischen Kräfte der Mitte haben versagt, die nationalliberale DVP ebenso wie die linksliberale DDP, die mit dem antisemitischen “Jungdeutschen Orden” 1930 zur Staatspartei fusionierte. Viele bürgerliche Politiker der Mitte und des Konservatismus gingen Hitler auf den Leim, ihr Antikommunismus ließ sie dulden, diese frei gewählten Abgeordneten durch die Nazis aus dem Reichstag zu entfernen, und damit die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Nazis zu ändern. Die Gleichsetzung von Rechtsextremismus und Linksextremismus aber lebt aktuell in der sogenannten “Hufeisentheorie” fort. Sie ist eine Verharmlosung rechtsextremistischer, völkischer Politik und rechten Terrors, der seit 1990 in Deutschland über 200 Menschenleben gefordert hat. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber es gibt historische Parallelen. Es wird höchste Zeit, auf diese Tatsachen zu reagieren und Konsequenzen zu ziehen. Aber nicht mit den falschen Mitteln.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Helmut Lorscheid

    Mit dem Nazi-Amt in Köln befasse ich mich immer wieder gerne, zuletzt in zwei Beiträgen auf Telepolis:

    https://www.heise.de/tp/features/Verfassungsschutz-endlich-aufloesen-4887770.html

    und
    https://www.heise.de/tp/features/Besser-selbst-die-Verfassung-schuetzen-4885985.html

    und davor:

    https://www.heise.de/tp/features/Verfassungsschutz-NRW-zum-Linksextremismus-4215125.html

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