Die 33. Auslandsreise von Papst Franziskus (5. bis 8. März) bekam schon den Titel „historisch“, bevor sie noch stattgefunden hat. Es war ein langjähriger Wunsch des Papstes und auch sein Versprechen, als erstes Oberhaupt der katholischen Kirche den Irak zu besuchen. Bedenken wegen der Sicherheitslage wurden in den letzten Monaten wegen der Pandemie noch zusätzlich verstärkt. Aber Franziskus hielt an seinem Plan fest – unterstützt nicht nur von den kirchlichen, sondern auch den staatlichen Autoritäten des Gastgeberlandes. Die Papstreise wurde in europäischen Medien hauptsächlich als Unterstützung für die bedrängte christliche Minderheit im Irak betrachtet. Diese Begründung greift allerdings zu kurz und wird den Intentionen von Franziskus nicht gerecht.
Für Franziskus gibt es nämlich noch zwei übergreifende Motive für sein besonderes Interesse am Irak im allgemeinen und diese Reise im besonderen. Das eine ist der Dialog mit dem Islam – also hier speziell mit den schiitischen Muslimen -, das andere der Frieden in der Region und der Beitrag der Religionen. Diese drei Motive zogen sich durch das gesamte Programm durch und prägten die Gespräche und öffentlichen Auftritte des Papstes. Aber sicher galt sein Besuch zunächst einmal seinen Glaubensbrüdern und –schwestern. Bei einem Treffen mit Christen in der einst größten christlichen Stadt im Irak, Karakosch, versicherte Franziskus den Gläubigen die Solidarität der gesamten Kirche. „Ihr seid nicht allein“, rief er ihnen zu.
An die Christen:
Natürlich ging es ihm auch um ein Zeichen der Solidarität mit den Christen im Nahen Osten, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten immer geringer wird – im Irak ist sie alleine seit der US-Invasion 2003 von damals knapp 2 Millionen auf heute rund 300.000 zurückgegangen, wobei es 2014 zu großangelegten Vertreibungen durch den sog. Islamischen Staat kam. Der Großteil der Christen gehört alten, autochthonen Kirchen – wie den Chaldäern oder Assyrern – an, die älter sind als die Kirchen Europas und – im Unterschied zu den meisten außereuropäischen Kirchen – auch nicht auf deren Missionierung zurückgehen. Mit Ausnahme einiger orthodoxer Kirchen sind aber die meisten autochthonen Kirchen des Irak mit Rom uniert und erkennen daher den Papst als ihr Oberhaupt an. Größte Kirche ist die Chaldäisch-Katholische Kirche mit dem Patriarchen von Babylon, Louis Raphaël I. Sako, an der Spitze, der von Papst Franziskus im Juni 2018 zum Kardinal ernannt wurde.
Bereits am Tag seiner Ankunft (Freitag, 5. März) stand eine Begegnung mit den Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Seminaristen und Katecheten in der syrisch-katholischen Kathedrale „Unsere Liebe Frau der Erlösung“ in Bagdad auf dem Programm. Am Samstag feierte er eine Messe in der chaldäischen St.-Josefs-Kathedrale in Bagdad. Am Sonntag gab es nach einem Gebet für die Kriegsopfer in Mossul und einem Besuch der größten christlichen Gemeinde in Karakosch am Nachmittag noch eine Messe im Stadion von Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion.
In der syrisch-katholischen Kathedrale, wo die erste kirchliche Begegnung des Papstes stattfand, hatten 2010 islamistische Terroristen ein Blutbad angerichtet, bei dem 48 Menschen starben, darunter zwei Priester. Für diese Gläubigen läuft ein Seligsprechungsverfahren. „Ihr Tod erinnert uns nachdrücklich daran, dass Anstiftung zum Krieg, Haltungen des Hasses, Gewalt und Blutvergießen mit den religiösen Lehren unvereinbar sind“, sagte Franziskus. „Und ich möchte an alle Opfer von Gewalt und Verfolgung, welcher religiösen Gemeinschaft sie auch angehören, erinnern.“ Wie auch bei anderen Begegnungen verband der Papst das Gedenken und die Würdigung der Opfer immer mit dem Aufruf zur Vergebung.
Bei der Messe in der chaldäischen Kathedrale von Bagdad predigte der Papst über die „Seligpreisungen“: Wer die Seligpreisungen leben wolle, brauche gar nichts Großartiges zu tun. Vielmehr gehe es darum, „täglich Zeugnis zu geben“. „Um selig zu werden, muss man nicht ab und zu zum Helden, sondern jeden Tag zum Zeugen werden.“, sagte er. Beim Gebet für die Kriegsopfer in Mossul formulierte der Papst: „Wenn Gott der Gott des Lebens ist – und das ist er –, dann ist es uns nicht erlaubt, die Brüder und Schwestern in seinem Namen zu töten. Wenn Gott der Gott des Friedens ist – und das ist er –, dann ist es uns nicht erlaubt, in seinem Namen Krieg zu führen. Wenn Gott der Gott der Liebe ist – und das ist er –, dann dürfen wir die Brüder und Schwestern nicht hassen.“
Bei seiner letzten Predigt auf irakischem Boden im Stadion von Erbil würdigte der Papst noch einmal die Kirchen und Christen des Landes: „Selbst unter großer Armut und Schwierigkeit haben viele von euch den Armen und Leidenden großherzig konkrete Hilfe und Solidarität angeboten. Dies ist einer der Gründe, die mich dazu veranlasst haben, als Pilger zu euch zu kommen, um euch zu danken und euch im Glauben und im Zeugnis zu stärken.“ Er plädierte für das Engagement der Christen gegen Unrecht: „Wir müssen uns verantwortlich fühlen und dürfen nicht einfach zuschauen, wenn der Bruder oder die Schwester leidet.“ Der Weg Jesu sei Geschwisterlichkeit und Liebe, machte der Papst deutlich. Und er erteilte dem Hass unter allen Umständen eine Absage.
Dialog mit dem Islam:
Der Dialog mit dem Islam gehört seit Beginn zu den Schwerpunkten des Pontifikats von Franziskus. Bisher hatte er sich vor allem auf die sunnitische Glaubensrichtung konzentriert. Höhepunkt war das außergewöhnliche Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen, das Papst Franziskus und der Großimam von al-Azhar, al-Tayyeb, der als höchste sunnitische Lehrautorität gilt, im Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet hatten. Am 2. Besuchstag traf Franziskus in Nadschaf mit dem höchsten Geistlichen der irakischen Schiiten, Großajatollah Ali al-Sistani, in dessen Residenz zusammen und stellte diese Begegnung auf eine Stufe mit dem Dokument von Abu Dhabi, das er als „ersten Schritt“ der Verständigung mit dem Islam bezeichnete. Das Treffen mit al-Sistani sei ein zweiter, „und es werden weitere folgen“, so Papst Franziskus.
Der 90jährige Großajatollah empfängt normalerweise keine ausländischen Gäste mehr, legte aber auf die Begegnung mit dem Papst großen Wert. Im Anschluss an das 45-minütige Gespräch sagte Sistani zu, persönlich darauf zu achten, „dass die christlichen Bürger wie alle Iraker in Frieden und Sicherheit leben, mit all ihren verfassungsmäßigen Rechten“. Nach dem Treffen zwischen Papst Franziskus und dem schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani hat Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi den 6. März zum Feiertag erklärt. Der Tag solle zum „Nationalen Tag der Toleranz und Koexistenz“ werden. Auf dem Rückflug nach Rom ging Franziskus bei seiner traditionellen „Fliegenden Pressekonferenz“ auch auf seine Begegnung mit dem Großajatollah ein: Er verwies auf ein von al-Sistani benutztes Zitat von Imam Ali, einer zentralen Figur für den schiitischen Islam, demzufolge ein Mensch „entweder ein Bruder im Glauben oder Ebenbild in der Geschöpflichkeit“ sei. „Tiefer als die Gleichheit können wir nicht gehen“, sagte der Papst. „Alle gemeinsam sind wir Geschwister und müssen zusammen mit den anderen Religionen vorwärtsgehen.“ Franziskus räumte ein, es gebe aus katholischen Reihen auch Kritik an dieser Haltung.
Frieden – und der Beitrag der Religionen:
Mit einem eindringlichen Appell zur „Brüderlichkeit aller Menschen“ hat Papst Franziskus am Freitag seinen Besuch im Irak begonnen. Er erteilte dem Missbrauch von Religion zur Legitimation von Gewalt eine klare Absage. In seiner ersten Rede in Bagdad vor Vertretern von Politik, Religion und Gesellschaft wies Franziskus darauf hin, dass der Irak in den letzten Jahrzehnten unter „den Katastrophen der Kriege, der Geißel des Terrorismus und konfessionellen Konflikten gelitten“ habe, die jedoch „oft auf einen Fundamentalismus zurückgehen, der die friedliche Koexistenz verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen, unterschiedlicher Ideen und Kulturen nicht akzeptieren kann“. Ein wirklicher Wiederaufbau sei nur dann möglich, wenn es gelinge, uns „mit unseren Unterschieden“ als „Mitglieder der einen Menschheitsfamilie“ zu sehen und somit auch den künftigen Generationen eine „bessere, gerechtere und menschlichere Welt“ zu hinterlassen, betonte der Papst.
Auch beim interreligiösen Treffen in Ur, wo der Überlieferung nach Abraham, der Stammvater der drei monotheistischen Religionen geboren wurde, richtete der Papst einen flammenden Appell für Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit: „Es wird keinen Frieden geben, solange die anderen als sie bezeichnet werden und nicht als wir. Es wird keinen Frieden geben, solange Bündnisse gegen jemanden bestehen, denn Bündnisse der einen gegen die anderen verstärken nur die Spaltungen. Frieden erfordert weder Sieger noch Besiegte, sondern Brüder und Schwestern, die trotz der Missverständnisse und Wunden der Vergangenheit den Weg vom Konflikt zur Einheit gehen.“ Und er mahnte die anwesenden Religionsvertreter: „Wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht.“ Und er fügte hinzu: „Es liegt an uns Menschen heute und vor allem an uns Gläubigen jeder Religion, die Werkzeuge des Hasses in Werkzeuge des Friedens zu verwandeln“.
Der chaldäische Patriarch von Babylon, Raphael Louis I. Sako, sagte zum Papstbesuch: „Ja, es war wie ein Advent. Das gilt sowohl für uns Christen als auch für die Muslime im Irak… Der Besuch wird einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben und die Kultur haben. Die Mentalität wird sich in Bezug auf den Respekt für andere ändern, das gilt auch für die Überwindung von Gewalt und Fundamentalismus.“
In der Berliner „Tageszeitung“ zog deren Türkei-Korrespondent Jürgen Gottschlich ein Resümee des viertägigen Papstbesuches im Irak: “Nach all den Schreckensmeldungen der letzten Jahrzehnte war der Besuch von Papst Franziskus einmal eine wirklich gute Nachricht aus dem biblischen Land zwischen Euphrat und Tigris. Obwohl dort seit bald 2000 Jahren mit die ältesten christlichen Gemeinden überhaupt existieren, war Papst Franziskus jetzt der erste Papst, der sich die Mühe machte, sie zu besuchen. Doch seine Reise war weit mehr als ein überfälliger Besuch bei seinen gerade in den letzten Jahren so sehr gequälten Anhängern, sie war nicht weniger als ein historisches politisches Statement. Der argentinische Papst machte an den Originalschauplätzen der drei monotheistischen Weltreligionen klar, dass Christentum, Islam und Judentum alle dieselben Wurzeln haben und Toleranz und Aussöhnung das erste Gebot zwischen den Gläubigen dieser Religionen ist.“
Der Wiener Politologe und Irak-Experte Thomas Schmidinger meinte gegenüber „Radio Vatikan“: „Der Papstbesuch hat auf jeden Fall jene Kräfte im Irak gestärkt, die Interesse daran haben, den Irak zu einem modernen Staat für seine Staatsbürger umzuwandeln und den Konfessionalismus zu überwinden“. Franziskus’ Anwesenheit war seiner Einschätzung nach auch „eine Stärkung für die religiösen Minderheiten, darunter die Christen, aber auch jener Muslime, die den Konfessionalismus, der den Irak die letzten 15 Jahre zerrissen hat, überwinden wollen“.
Dieser Beitrag erscheint ausserdem in der Zeitschrift “Kritisches Christentum” und wurde für den Beueler Extradienst geringfügig überarbeitet.
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