Ungeheuerliches hat Winfried Kretschmann zu Zeiten gesagt, als seine Partei noch wild war und linksradikal erschien. Die Grünen müssten das Gewaltmonopol des Staates anerkennen. „In der Bundesrepublik gibt es keine Alternative zum Parlamentarismus.“ In der Bevölkerung gebe es den Wunsch nach „guter Repräsentation“. Die Menschen wollten „gut regiert“ und ansonsten „in Ruhe gelassen werden“. Kretschmann lehnte das „imperative Mandat“ ab, das sogenannte Fundamentalisten forderten. „Von Basisdemokratie habe ich nie viel gehalten.“ Heftigen Widerspruch gab es. „Kretschmann repräsentiert nichts von dem, was grüne Politik ausmacht.“ Im Mai 1984 war das, bei einem Treffen einer Bundesarbeitsgemeinschaft „Grüne und Christen“, deren innerparteiliches Wurzelgeflecht schon damals nicht zu unterschätzen war.
Ehemalige Aktivisten kirchlicher Jugendverbände machten Karriere nicht mehr wie vordem in der CDU, sondern engagierten sich bei den Grünen. Seit längerem gehört Kretschmann dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken an, wie übrigens auch Bettina Jarasch, die im Herbst Spitzenkandidatin der Grünen bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus ist.
Kretschmann, einem katholischen Elternhaus entstammend, hatte noch einen kleinen Umweg genommen – über eine „Kommunistische Hochschulgruppe“, der Studentenorganisation des maoistischen „Kommunistischen Bund Westdeutschland“ (KBW). Alsbald löste er sich von diesem – wie er erkannte – Irrtum und zählte zu den Wortführern der Ökolibertären, die wiederum eine Unterströmung des Realo-Flügels der Grünen waren.
Die Ökolibertären waren dermaßen realpolitisch, dass es dem auf Rot-Grün setzenden Realo-Anführer Joschka Fischer blümerant wurde, weshalb Kretschmann und seine Freunde auf Bundesparteitagen so ziemlich jede Abstimmung verloren. Doch sie waren ihrer Zeit voraus, und Kretschmann hatte sich, beharrlich bis zur Sturheit, auf Kommendes vorbereitet. Damals, 1984, hatte er die Grünen „eine kleine Volkspartei“ genannt. „Wir haben trotz aller Behinderungen die Möglichkeit, Mehrheiten zu gewinnen.“
Nach Landtagswahlen im März 2011, kurz nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, war es so weit. Zusammen mit der SPD wurde er Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Der Erste seiner Art. Seit nun fünf Jahren führt er eine Koalition mit der CDU an. Alles spricht dafür, dass Kretschmann Landesvater bleiben wird – mit wem auch immer.
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