Erfolg verpflichtet – die Grünen müssen ab sofort mit schärferer Beobachtung rechnen
Nach diesem Wahltag brauchen sich die Grünen nicht mehr verstecken. Als einzige der Parteien, die mit einem Kanzlerkandidaten – oder einer Kandidatin – in den Bundestagswahlkampf zu ziehen beabsichtigen, haben sie zugelegt – und zwar in beiden Bundesländern, in Baden-Württemberg wie in Rheinland-Pfalz.
Sowohl aus einem grün-schwarzen Bündnis unter ihrer Führung als auch aus einer von der SPD geführten Ampelkoalition gingen sie gestärkt hervor, was interessengeleitete Analysen widerlegt, eine koalitionspolitische Beliebigkeit der Grünen werde den harten Kern ihrer Anhängerschaft desillusionieren und in der Folge die Grünen schwächen.
Weder Pannen von Manne Lucha, dem grünen Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, noch in Rheinland-Pfalz zum Jahreswechsel der Rücktritt der grünen Umweltministerin Ulrike Höfken, die aus einer „Besoldungsaffäre“ die Konsequenz zu ziehen hatte, haben den beiden Landesparteien erkennbar geschadet. Nicht zu vernachlässigen ist auch das Abschneiden der Grünen bei den Kommunalwahlen in Hessen. Vor allem in den Groß- und Universitätsstädten wie Frankfurt, Kassel oder Gießen werden sie die größten Fraktionen in den Stadträten stellen. Der bei den Europawahlen 2019 und den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Herbst erkennbare Trend hat sich fortgesetzt. Von dem ehrgeizigen Vorhaben, nach der Bundestagswahl die Führung des Kanzleramtes anzustreben, brauchen die Bundes-Grünen keinen Abstand zu nehmen – Winfried Kretschmann und anderer sei Dank. CDU/CSU und SPD müssen sich warm anziehen.
Von nun an aber können sich die Grünen auch nicht mehr verstecken. Sie stehen im Wind. Wegducken geht nicht mehr. Es wird auch nicht mehr genügen, auf die personellen Schwächen und die inneren Verwerfungen der beiden größeren Parteilager von Union und SPD hinzuweisen. Die politischen Konkurrenten mit ihren Apparaten und die Medien werden nun genauer hinschauen – auf die Programmatik, auf das Personal, auf Widersprüche zwischen Ansprüchen und Wirklichkeiten. Eine Partei, die die politische Führung des größten Landes der Europäischen Union übernehmen will, darf sich Pannen und Missverständnisse nicht leisten – weder auf Parteitagen noch in hinteren Teilen des Wahlprogramms, geschweige denn in Talkshows. Einem künftigen Juniorpartner lässt man einiges „durchgehen“, nicht aber einem Konkurrenten, der den Chefsessel übernehmen will.
Union und SPD, geschwächt wie sie sind, werden keine Rücksichten mehr nehmen, nur weil sie einen Bündnispartner brauchen. CDU und CSU werden die Grünen mit Fragen drangsalieren, wie sie es mit einem Bündnis halten würden, an dem die Linkspartei beteiligt ist. Die SPD wird versuchen, die Grünen als unsichere Kantonisten darzustellen. Motto: Wer „Grün“ wählt, wird „Schwarz“ bekommen.
Überdies sind bei den Wahlen die Bäume der Grünen nicht in den Himmel gewachsen. Der Zugewinn in Baden-Württemberg von zwei Prozentpunkten ist für sie zwar schön, ist aber erstens vor allem der Person Winfried Kretschmanns zuzuschreiben und zweitens auch nicht explosionsartig groß. Ihr Abschneiden in Rheinland-Pfalz (9,3 Prozent) verdient für eine Partei, die das Kanzleramt anstrebt, nicht einmal die Note „ausreichend“. Auch bei den Kommunalwahlen in Hessen landete sie landesweit nur auf dem dritten Platz.
Gleichwohl: Ihrer eigenen Ansprüche und der medialen Begleitmusik wegen müssen sich die Grünen künftig warm anziehen.
Das gilt zuvorderst für Annalena Baerbock und Robert Habeck. Einer der beiden Parteivorsitzenden wird den Anspruch der Grünen auf das Kanzleramt verkörpern. Bisher war es ihnen gelungen, den Anschein eines innerparteilichen Machtkampfes zu vermeiden. Ob es so bleibt? Selten war eine solche Personalauswahl den Unionsparteien und der SPD gelungen, zumal dann, wenn das Kanzleramt in erreichbarer Nähe schien. Der Entscheidungsprozess der Grünen wird unter verstärkter Beobachtung und Bewertung stehen. Hat Habeck jetzt in einer Talkshow etwa angedeutet, „Annalena“ werde nur dann (und deswegen) Kanzlerkandidatin, wenn (und weil) sie auf den feministischen Brauch der Grünen hinweist, Frauen müssten den Vorrang haben? Hat Kretschmann etwa jüngst mit seinem Hinweis in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, seine Bemerkung, die als ein Pro-Habeck verstanden wurde, sei ja schon länger her „und inzwischen konnten sich ja beide Persönlichkeiten weiterentwickeln“, deutlich machen wollen, nun gebe er Baerbock den Vorzug? In den kommenden Wochen wird die Goldwaage hervorgeholt werden. Die Samthandschuhe werden beiseitegelegt.
Wer immer von den beiden mit der Rolle des Kanzlerkandidaten/der Kanzlerkandidatin betraut wird, hat mit einem Manko zu kämpfen: Armin Laschet, Markus Söder und Olaf Scholz verfügen über Regierungserfahrung, sei es als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes, sei es als Bundesminister. Habecks Vergangenheit als Umweltminister von Schleswig-Holstein ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen.
Mit einem breiten Spektrum von politischen Erfahrungen, die – bisher jedenfalls – einen Politiker kanzlertauglich machen, und auch mit einem internationalen Netzwerk können die beiden Grünen nicht aufwarten. Weder Baerbock noch Habeck wurden bisher in parlamentarischen Debatten im Bundestag und öffentlichen Auseinandersetzungen gestählt. Schon mancher Kanzlerkandidat wurde binnen weniger Wochen entzaubert. „Politik ist auch Kampf um die Macht“, hat Habeck nun gesagt. Die Fallhöhe ist größer geworden.
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