Vorwort von Jupp Legrand / Otto Brenner Stiftung
Gastbeiträge von Politiker*innen in ausgewählten Tageszeitungen
„Der Gastbeitrag ist ein ambivalentes Genre“, schrieb René Martens in der Medienkolumne Das Altpapier Mitte Januar anlässlich einer Veröffentlichung des Ex-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg in der FAZ: Einerseits könnten Gastbeiträge immer wieder das „Positionen-Portfolio einer Zeitung“ sinnvoll ergänzen, so Martens, „in unguten Fällen“ würde hingegen „ein Text ins Blatt gehoben, der die üblichen redaktionellen Prozesse nicht überstanden hätte“. Der Gastbeitrag von zu Guttenberg ist ein Beispiel für einen solchen Fall, da er sich nicht nur wie ein Lobbypapier der Finanzindustrie – genauer gesagt: des gescheiterten Konzerns Wirecard – liest, sondern tatsächlich auch auf einem solchen beruht.
Auch aktive Politiker*innen können in Namensbeiträgen ihre persönliche oder parteipolitische Sicht der Dinge zu einem aktuellen Thema unmittelbar darlegen und Gastbeiträge zählen zum Standardrepertoire des Journalismus. Trotzdem (oder genau deshalb) steht dieses Instrument immer wieder in der Kritik, da Medien damit politischen Akteur*innen und wichtigen Multiplikator*innen, die sie eigentlich kritisch im Blick haben sollten, erlauben, ungefiltert ihre Agenda zu verbreiten. So fragte auch Christopher Ophoven im Deutschlandfunk vorsichtig, ob es sich bei Gastbeiträgen von Politiker*innen eigentlich um „Politik-PR oder Debattenkultur?“ handelt. Die taz ist sich anlässlich eines strittigen Gastbeitrages von Alexander Gauland (AfD) in der FAZ im Jahr 2018 sogar sicher: „Politiker haben auf den Wahlkampfbühnen der Nation schon genug Möglichkeiten, ihre Meinungen ungefiltert in die Welt zu blasen. Die Zeitungen sollten kein solcher Ort sein.“ Ist die Skepsis berechtigt? Sollten Redaktionen von Beiträgen aktiver Politiker*innen Abstand nehmen?
Die Otto Brenner Stiftung möchte diese Fragen aufgreifen und eine Debatte über den Umgang deutscher Medien mit Gastbeiträgen von Politiker*innen anstoßen. Wir freuen uns, mit Marvin Oppong einen investigativ arbeitenden und hartnäckig recherchierenden Journalisten für das weitgehend noch unterbeleuchtete Thema gewonnen zu haben. Der freie Journalist aus Bonn, der auch als Dozent für Recherchetechniken in der journalistischen Aus- und Weiterbildung tätig ist, legt als engagierter Streiter für unabhängigen Journalismus ein kompaktes Diskussionspapier vor, das nicht ohne Widerspruch bleiben dürfte.
Unser Autor versucht nicht nur zu zeigen, welche journalistischen Grundsätze Gefahr laufen, verletzt zu werden, wenn Zeitungen für Gastbeiträge von Politiker*innen Raum schaffen, sondern unterfüttert seine Thesen auch empirisch und mit Blick auf die journalistische Praxis. Obwohl das Diskussionspapier keine wissenschaftliche und systematische Untersuchung darstellt und diesen Anspruch auch nicht erhebt, deutet die kursorische Empirie bereits an, dass es aufseiten der Redaktionen hinsichtlich der Gastbeiträge von Politiker*innen vermutlich mehr zu reflektieren gilt als die Einhaltung der „üblichen redaktionellen Prozesse“. So mahnt Oppong sicherzustellen, dass journa-listische Kriterien – und nicht solche der (Aufmerksamkeits-) Ökonomie oder des „Namedropping“ – die Richtschnur in der Frage bleiben, ob ein Gastbeitrag ins Blatt gehoben wird oder nicht. Ergänzend fordert er von Redaktionen, bewusst im Blick zu halten, wer über dieses Format zu Wort kommt (und wer nicht).
Die von ihm betrachteten Zeitungen FAZ, SZ und Tagesspiegel deuten hier Verzerrungen an – zum Beispiel hinsichtlich der Parteizugehörigkeit und des Geschlechts. Darüber hinaus scheint es auch um die Funktion der Namensbeiträge als Debattenöffner nicht gut bestellt zu sein. Zu wenig plural in den Positionen, zu wenig interaktiv mit anderen Gastbeiträgen beziehungsweise anderen journalistischen Formaten, lautet das Fazit des Diskussionspapiers. Das größte Manko liegt für den Autor allerdings in der Form des Gastbeitrages selbst begründet: An konkreten Beispielen zeigt Oppong, dass Gastbeiträge zumindest in ihrer jetzigen Form zu wenig Raum für Kontextualisierungen lassen, auch wenn diese journalistisch dringend geboten scheinen – sei es zum/zur Gastbeitragsautor*in selbst oder zu den von diesen dargelegten Themen und Positionen. Inwiefern dieser und die anderen Kritikpunkte innerhalb des Formats „Gastbeitrag“ gelöst werden können, lässt der Diskussionsbeitrag dabei offen.
Stiftung und Autor hoffen, mit dem vorliegenden Papier einen hilfreichen ersten Aufschlag zur Diskussion dieser Fragen sowie des generellen journalistischen Umgangs mit Gastbeiträgen von Politiker*innen vorzulegen, der auch weitere Analysen anstoßen soll. Es wird sich zeigen, ob dann im Laufe einer längst überfälligen Debatte transparente Richtlinien und ein reflektierter(er) Umgang einzelner Redaktionen mit den Gastbeiträgen von Politiker*innen entstehen können – oder aber diese Namensbeiträge von Politiker*innen insgesamt doch deutlich weniger Platz finden sollten in den Spalten der deutschen Qualitätspresse.
Hier finden Sie das Diskussionspapier von Marvin Oppong “Wenn Politik Presse macht – Gastbeiträge von Politiker*innen in ausgewählten Tageszeitungen” komplett.
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