mit Update 26.3.
Die Bundespräsidentinnenkandidatin 1999 Uta-Ranke-Heinemann ist heute gestorben. Sie führte ein Leben, das ihrer Zeit voraus war. Wir sind uns nie begegnet, Essen war zu gross dafür, und die Demarkationslinie B1 trennte unsere Stadtviertel. Die Blätter wiederholen einen Aufsatz Ranke-Heinemanns von 2010: “Papst Benedikt oder Die große Täuschung – Sexueller Missbrauch und die Geheimschreiben des Vatikan”, der verblüfft und erschreckt, weil er auch in den letzten vier Wochen geschrieben worden sein könnte.
Ihrer Zeit so weit vorauskämpfend musste Ranke-Heinemann beleidigende Unverschämtheiten aushalten, mit denen in Mitteleuropa heute kein Mann mehr unbeschadet durchkäme. Nach meinem Eindruck wusste die kluge Professorin damals schon, was für lächerliche Jammerlappen das waren. Diese Klugheit machte sie stark. Ob Maria 2.0 ohne sie hätte entstehen können? Ich glaube, ja. Aber ihre Inspiration hat geholfen, und wird es noch.
Update 26.3.: hier können Sie ein Interview mit Frau Ranke-Heinemann von 2013 nachhören.
Ich hatte das große Vergnügen und Privileg 1988 einen Abend mit Frau Ranke-Heinemann verbringen zu dürfen. Anlass war die Essener Premiere von Martin Scorseses “Die letzte Versuchung Christi“. Der Film, der eigenlich in das erste Haus am Platze, der Lichtburg gehört hätte (deren Gebäude gewissermaßen direkt an die Residenz des damaligen (und ersten) Ruhrbischofs Franz Hengsbach grenzt – welcher ihr nur ein Jahr zuvor die Lehrbefugnis für katholische Theologie entzogen hat – nur getrennt durch den Burgplatz dazwischen) fand seine Aufführung nach lautstarken Protesten der Kirchen schließlich im Programmkino “Eulenspiegel” der wunderbaren Marianne Menze – fast in der Nachbarschaft zu Frau Ranke-Heinemanns (bescheidener) Residenz im Moltkeviertel.
Das Eulenspiegel hatte im Anschluss an die Premiere des Films zu einer Podiumsdiskussion geladen. Teilnehmer/innen waren neben (Laien-)Vertretern der Amtskirchen, an welche ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann, und Frau Ranke-Heinemann.
Nun war das Kino – mit rund 400 Plätzen vollkommen ausverkauft und die Menschen standen bis weit auf die Steeler Strasse um auf den Einlass zu warten. Durch das Geschiebe und Gedränge im Kinofoyer und auf der Treppe zum Saal sah Frau Menze das Problem ihre “Ehrengäste”, bzw. die Teilnehmer/Innen an der Diskussion überhaupt auf sicherem Wege in den Kinosaal gelangen zu lassen. Die Feuertreppe fiel als Option offensichtlich aus – so dass eine im Kino arbeitende Schulkollegin mich kurzfristig zu Frau Ranke-Heinemanns Bodyguard ernannt hat – und ich (gegen freien Eintritt und eine Flasche Krombacher Pils) die Aufgabe hatte, mich um das Wohlergehen und die Sicherheit der Professorin zu kümmern.
So habe ich mich ihr am Eingang kurz vorgestellt und die so unscheinbare Dame, die wirklich nichts auffallendes hatte, ausser ihren weißen Stoffhandschuhen, sicher die übervolle Treppe hinaufgeleitet und bis zu ihrem Platz in der ersten Reihe des Kinosaals begleitet. Dann wollte ich mich verabschieden, doch die Ranke-Heinemann bestand darauf, dass ich in ihrer Nähe bleibe. So habe ich bis zum Beginn der Vorstellung – unterbrochen durch zahlreiche andere Gäste deren Begrüßung ihr nicht in jedem Fall ein Vergnügen bereitet hatte – Konversation mit der berühmtesten Theologin unserer Zeit betreiben dürfen.
In Erinnerung ist mir von dieser Konversation nicht viel. Ausser das sie vollkommen natürlich und unangestrengt gewesen ist. Wir haben uns über Huttrop und das Molkeviertel unterhalten, die Uni, das Ruhrkolleg und das bischöfliche Schulzentrum an welchem ich die Haupt- und Realschule besucht hatte. Sie hatte wirklich persönliche Anekdoten zu jedem Thema. Besonders nahe ging mir allerdings wie sie mir im Gespräch die Hand auf den Arm gelegt hat, wenn sie auf eine Pointe kommen wollte. Das mögen vielleicht 10, vielleicht 15 Minuten gewesen sein – sie vergingen wie im Flug.
Die Vorstellung und die folgende Diskussion sah ich dann, gewissermaßen zu ihren Füßen, auf der Treppe sitzend (ich hatte ja kein Ticket). Vergessen habe ich das bis heute nicht.
Nur eine von vielen Geschichten aus dem Eulenspiegel meiner Zeit. Aber eine sehr besondere.
Für den Spiegel hat Uta Ranke-Heinemann wenige Tage später über den Film geschrieben:
“Und so macht sich Scorsese doch noch mit der gotteslästerlichen Lüge von einem unerbittlichen Gott gemein.”
Meine Verehrung, Frau Professorin!