Der Machtkampf um die Kanzlerkandidatur erweckt den Eindruck, bei der Bundestagswahl gäbe es für die Union etwas zu gewinnen. Seit der Konflikt läuft, sinken ihre Chancen. Ob CDU-Chef Laschet oder CSU-Chef Söder Kandidat wird, spielt schon fast keine Rolle mehr. Dass einer von ihnen Kanzler wird, wird zunehmend unwahrscheinlich. Die Union hat es in der kurzen Zeit seit Weihnachten geschafft, die Basis für einen Erfolg bei der Bundestagswahl zu beschädigen. Sie ist auf den Hund gekommen.
Nicht mehr regierungsfähig
Um bei Wahlen erfolgreich zu sein, braucht es vor allem einen einnehmenden, überzeugenden Kandidaten, eine Partei, die ihn unterstützt und geschlossen auftritt, einige Programmpunkte, die dem Gemeinwesen Perspektiven eröffnen und ein Gefühl für die aktuellen Bedürfnisse der Wähler.
Das alles geht der Union derzeit ab. Dass sie den Erfordernissen bis zur Bundestagswahl in fünf Monaten gerecht werden kann, ist nicht zu erwarten. Seit Wochen hämmert sie den Wählern Tag für Tag ein, dass sie nicht mehr regierungsfähig ist. Dieser Eindruck wird bis zur Wahl kaum verblassen. Schon gar nicht wird er sich ins Gegenteil umkehren lassen.
Bei den Wählern hat sich festgesetzt: Die Union trägt ihren Machtkampf auf dem Höhepunkt der Pandemie aus. Während sich Laschet, Söder und ihre Anhänger streiten, trauern Hunderttausende um ihre verstorbenen Verwandten und Freunde, leiden viele Zehntausende unter den Folgen der Infektion, bangen Millionen um ihre Zukunft, wissen zahllose Menschen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.
Als Heuchler erscheinen
Während Ärzte immer eindringlicher den Anstieg der schwer Erkrankten beklagen und vor dem Zusammenbruch des Gesundheitswesens warnen, leistet sich die Funktionärselite der Union einen jämmerlichen Diadochenkampf. Abgeordnete, die befürchten, nicht wiedergewählt zu werden, treiben den Machtkampf an und gefährden mit ihm ihre Wiederwahl erst recht.
Er verstärkt das kümmerliche Bild, das die Union im Kampf gegen die Pandemie und mit Korruptionsskandalen, Immobiliengeschäften und Spendentreffen den Wählern bietet. Längst hat sich der Eindruck breitgemacht: Die Abgeordneten werden ihrem Mandat nicht gerecht. Sie kümmern sich mehr um sich als um den Kampf gegen das Virus.
Beide Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur haben sich im Laufe der Pandemie selbst und gegenseitig schwer lädiert. Sie sind im Grunde nur noch zweite Wahl. Jeder setzt den anderen herab. Die Chance, einvernehmlich zu agieren, ist vertan. Es kann nur noch Sieger und Verlierer geben. Sollten Laschet und Söder jetzt noch Einvernehmen demonstrieren, würden sie als Heuchler erscheinen.
Als Schlingerkurs empfunden
Mit Beginn der Pandemie wurde Laschets Lage heikel. Er pflegt das Image des Vermittlers und Versöhners. Er will integrieren. Zwischen Merkels und Söders Beschränkungspolitik und der Öffnungspolitik seines Koalitionspartners FDP hatte er einen schweren Stand. Er musste die FDP ruhigstellen und sich den Wirtschaftsflügel der CDU gewogen machen, dessen Wohlwollen er beim Kampf um den CDU-Vorsitz benötigte.
Laschet war gezwungen, die Öffnung zu proklamieren. Ohne sie wäre er kaum CDU-Chef geworden. Erst dieser Posten machte ihn zum Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur. Dass er sich als Öffnungspolitiker festlegte, schadete seinem Image als Integrator. Er versuchte krampfhaft, Beschränkung und Öffnung auszutarieren.
Ein solches Ergebnis als zukunftsweisend zu kommunizieren, misslang ihm jedoch. Laschets Pandemiepolitik wurde als Schlingerkurs empfunden. Er ließ die Umfragewerte für Laschet und die Union steil abstürzen. Dem Koalitionspartner FDP verschaffte er dagegen Aufwind.
Geduldig wie ein Schaf
Söder konnte unbeschwerter agieren. Die CSU stand hinter ihm. Sein Koalitionspartner machte ihm kaum Probleme. Es lag nahe, dass Söder Merkels Beschränkungskurs übernahm. Die Infektions- und Todeszahlen waren in Bayern extrem hoch. Beschränkungen zu verhängen, schien unvermeidlich.
Es machte zwar Mühe, diesen Kurs durch- und umzusetzen. Er war jedoch leicht zu begründen, zu vermitteln und zu verteidigen. Er ließ sich auch leicht dazu nutzen, sich zu profilieren, sich abzugrenzen und zu polarisieren. Söder schreckte nicht davor zurück, hinter dem Anschein kumpelhaften Gehabes Laschet immer wieder vorzuführen.
Die CDU sieht sich als machtbewusst. Es handelt sich um Selbstverklärung. Die Partei ist nicht mehr kampffähig. Das zeigte sich schon, als der Koalitionspartner SPD die CDU-Minister Altmaier (Wirtschaft) und Spahn (Gesundheit) demontierte. Die CDU schaute taten- und widerstandslos zu, wie ihre Minister aufliefen. Auch die Sticheleien, mit denen Söder Laschet herabsetzte, nahm die CDU geduldig hin wie ein Schaf.
Fehlentwicklungen nicht verhindert
Der lange parteiinterne Wahlkampf um den CDU-Vorsitz hat die Partei gelähmt. Laschets Wahlergebnis offenbart: Die Partei ist in zwei etwa gleich starke Lager gespalten. In den neuen Ländern und in Baden-Württemberg hat die Partei Probleme, sich von der rechtsradikalen AfD abzugrenzen.
Der Rückhalt des CDU-Chefs hält sich in engen Grenzen. Der Mangel an Impfstoff, Fehler bei seiner Bestellung und Beschaffung und bei den Hilfszahlungen für notleidende Unternehmen hängen der CDU wie Mühlsteine an. Im Kampf gegen die Pandemie finden die CDU-Länderchefs keinen Konsens. Sie vermitteln nicht einmal mehr den Anschein, ihn zu suchen.
Die CDU in den Ländern lastet den Mangel an Impfstoff Brüssel, der Bundesregierung und Merkel an. Sie seien zuständig gewesen. Sie hätten versagt. Die Partei agiert und reagiert wie eine Bürokratie. Keiner der CDU-Landeschefs kam 2020 auf die Idee, sich kontinuierlich nach dem Stand der Kaufverhandlungen zu erkundigen. Sie wurden offenbar nicht beobachtet. Man war ja nicht zuständig. Wie sonst lässt sich erklären, dass Fehlentwicklungen nicht verhindert und nicht korrigiert wurden?
Im Stich gelassen
Erst die Angst vor dem drohenden Mandatsverlust hat die Führung der Union aufgeweckt. Nun sprechen sich viele CDU-Funktionäre für Söder aus. Sie hoffen, er werde mit seinen guten Umfragewerten die Union besser durch die Wahl bringen als Laschet. Es stört sie nicht, dass Söder zusagte, Laschet den Vortritt zu lassen, wenn er die CDU hinter sich bringe, und dann spektakulär sein Wort brach, als die CDU-Gremien sich hinter Laschet stellten.
Es stört sie auch nicht, dass Söder vor drei Jahren die CDU-Kanzlerin Merkel stürzen wollte. Es stört sie nicht, dass Söder sich daran machte, zwischen die Schwesterpartei CDU und ihre Bundestagsfraktion einen Keil zu treiben. Es stört sie auch nicht, dass er die CDU-Fraktion gegen die CDU-Gremien in Stellung brachte. Die Selbstachtung leidet in der CDU. Auch dieser Schwund mindert das Ansehen der Partei bei den Wählern.
Sollte die CDU zulassen, dass Söder ihren Vorsitzenden verdrängt, dürfte sie bei der Wahl im Herbst vor der Niederlage stehen. Sie droht dann wohl auch im Mai 2022 bei der NRW-Wahl. Ähnlich wie Kramp-Karrenbauer hätte die CDU dann auch Laschet schon kurz nach seiner Wahl zum CDU-Chef im Stich gelassen und verbrannt. Die Partei müsste sich nach einem neuen Vorsitzenden umschauen – und in NRW wohl auch gleich noch nach einem neuen Ministerpräsidenten.
Die absolute Mehrheit verspielt
Die Zahl der Wähler, die dieses Theater unzumutbar finden, dürfte steigen. Die Grünen machen der Union und den Wählern gerade vor, wie unter konkurrierenden Parteifreunden auch ohne Hauen und Stechen ein Kanzlerkandidat zu finden ist. Der Kontrast mit den Grünen lässt die Union noch schlechter aussehen. Weit hinter ihr liegen die Grünen nicht mehr zurück. Die Union arbeitet daran, den Abstand zu verkürzen.
Mit Laschet als Kanzlerkandidat wird die Union Mühe haben, Tritt zu fassen. Ehe er die Partei ziehen und schieben kann, müsste sie ihn zunächst stützen und tragen. Jeder kleine Fortschritt wäre ein Erfolg, der den nächsten nach sich ziehen müsste, bis der Karren rollt. Finden CDU und CSU die Kraft, den Mut und die erforderliche Geduld nicht, ist mit ihrer Union wohl kaum noch Staat zu machen.
Dass Söder seine guten Umfragewerte als Qualifikation für die Kanzlerkandidatur versteht, disqualifiziert ihn geradezu. Sie sind nicht Ausdruck seiner politischen Leistungen. Sie fallen bisher eher dürftig aus. Sie beschränkten sich hauptsächlich darauf, dass er den Kampf seines Vorgängers Seehofer gegen Merkel verstärkte, dann Seehofer demontierte und seinen Platz einnahm. Der Wahlkämpfer Söder erwies sich als Niete. Bei der Bayernwahl verspielte er mit einem miserablen CDU- und Merkel-feindlichen Wahlkampf die absolute CSU-Mehrheit.
Aus SPD-Fehlern nicht gelernt
Söders Umfragewerte stiegen während der Pandemie. Heute kopiert er Merkels Politik und profitiert vom Prestige der CDU-Kanzlerin. Verliert die Pandemie im Sommer an Brisanz, weil immer mehr Menschen geimpft sind, wird die Folie verblassen, vor der Söder sein Image entwickelte. Dann wird auch er verblassen.
Die Neigung, sich apodiktisch zu äußern, sein Macho-Gehabe, der Reflex, die Ellenbogen auszufahren und Gesprächspartner zu übertrumpfen, werden stärker hervortreten. Solche Stereotype erzeugen ruckzuck Überdruss. Alle Welt wird darauf lauern, dass Söders Umfragewerte sinken. Seit er in der Union wie die Axt im Wald agiert, gibt es dort genügend Leute, die den Absturz seiner Werte beschleunigen wollen.
Parteichefs, denen die eigene Partei die höchsten Regierungsämter nicht zutraut, können einpacken. Die Parteien gleich mit. Die SPD gab sich eine Führungsspitze, der sie die Kanzlerkandidatur nicht anvertrauen konnte. Mit ihren Ko-Chefs Walter-Borjans und Esken hängt sie unter der 20-Prozent-Marke fest. Sie kann froh sein, wenn sie nicht noch weiter abrutscht. – Wie schwach die Union inzwischen ist, zeigt sich daran, dass sie von den Fehlern der SPD nicht lernt, sondern ihnen fleißig nacheifert.
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