… ist die Illusion des Wissens.“*
von Gert Samuel
Für viele nicht mehr ganz so junge Menschen jähren sich in diesen Tagen die Abiturprüfungen in Gestalt runder Jahreszahlen. Nicht alle denken dabei mit Freuden an die Fächer Physik, Chemie oder Biologie zurück. Wie spannend diese Fächer für damalige Schüler*innen hätten sein können, auch das vermittelt das Buch von Fabian Scheidler. Vor allem finden wir darin viele Anregungen für einen notwendigen gesellschaftlichen Wandel, um der fortschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu entgehen sowie die planetarische Krise zu überwinden.
Energie ist die Grundlage für alle Entwicklung auf dieser Erde. Die Fusion von Wasserstoff zu Helium in der Sonne ist die primäre Energiequelle sämtlicher Lebensprozesse. Viele werden diese Erkenntnis teilen. Fabian Scheidlers Ansicht, dass wir Menschen keine abgeschlossenen Objekte und auch keine souveränen Herrscher über eine außer uns stehende Natur, sondern Austauschwesen, Durchgangsorte, Transformatoren sind, wird wohl nicht sofort einleuchten. Verhindert werde diese Einsicht durch das Vorherrschen der technokratischen Ideologie, die ein reduziertes, mechanisches Verständnis der Natur sowie eine durch und durch berechenbare, maschinenartige Welt vermittle.
Der Autor räumt auf mit den immer noch gängigen Vorstellungen über die Materie, die uns umgibt und den Stoff, aus dem wir sind. Scharf unterscheidet er zwischen tatsächlichen Forschungsergebnissen und einer technokratischen Ideologie, die Wissenschaft missbraucht, um ein verzerrtes Weltbild zu verbreiten – und das nicht zuletzt auch, um handfeste monetäre Interessen durchzusetzen.
Den Hauptgrund für die Krise des Lebens auf der Erde sieht Fabian Scheidler in der Ausbreitung eines Wirtschaftssystems, das ohne permanente Expansion, ohne endloses Wachstum nicht existieren kann. Die Macht dieses Systems gründe allerdings nicht allein auf dessen wirtschaftlichen und politischen Strukturen, sondern auch auf einer Ideologie, die dazu diene, diese Verhältnisse zu rechtfertigen und als Inbegriff der Natur erscheinen zu lassen. Eine technokratische Mythologie vermittle den Eindruck, die Welt bestehe aus isolierten Objekten, sie gleiche einem Baukasten, die atomisierten Menschen seien frei kombinierbar und einsetzbar – der Mensch sei von Natur aus ein verlassenes, beziehungsloses Geschöpf in einer seelenlosen, kalten Welt.
Befreit von diesem ideologischen Schleier – und zwar mithilfe der Wissenschaften selbst – werde ein Universum sichtbar, das auf Verbundenheit, Selbstorganisation und Kreativität beruhe. Diese und die damit einhergehende Verantwortung, sind für Fabian Scheidler grundlegende Elemente für einen gesellschaftlichen Wandel, der erforderlich ist und sein wird für das Überleben der Zivilisation.
*Scheidler, Seite 240
Fabian Scheidler, Der Stoff aus dem wir sind – Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen, Piper 2021, 304 Seiten, 20,00 Euro. Hier finden Sie Extradienst-Texte, die sich auf Texte dieses Buchautors beziehen oder auf sie hinweisen.
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