von Gert Eisenbürger
Aus guten Grund: Südamerika-Meisterschaft 2021 wird nicht in Kolumbien stattfinden

Tränen sind auf dem Fußballfeld nichts Besonderes. Wenn ein Endspiel verloren geht, wenn das eigene Team absteigt oder den Aufstieg verpasst, beginnen gestandene Fußballspieler, häufiger auch mal zu weinen. Auch bei einem Spiel der Gruppenphase der Copa Liberadores (Südamerikapokal, vergleichbar der europäischen Champions-League) zwischen dem argentinischen Vertreter River Plate Buenos Aires und dem kolumbianischen Club Atlético Juniors am 12. Mai in Barranqiulla, wo die Atlético Juniors zuhause sind, flossen zahlreiche Tränen. Allerdings weinten die Spieler beider Teams, und das schon während des Spiels. Für die feuchten Augen waren auch keine fußballerischen Gründe verantwortlich, sondern das Tränengas, das kolumbianische Sicherheitskräfte gegen Demonstrant*innen außerhalb des Stadions einsetzten und das durch den Wind in die Arena getragen wurde.
Seit Wochen toben die Kolumbien politische Unruhen. Auslöser war eine von der ultrarechten Regierung des Präsidenten Iván Duque verkündete Steuerreform, die vor allem Arme belastet (weil die unsoziale, einkommensunabhängige Mehrwertsteuer steigen soll), während Unternehmen und Besserverdienende geschont werden. Doch längst geht es bei den Protesten in Kolumbien um mehr als die (von der Regierung inzwischen verkündete) Rücknahme der Steuerreformpläne: Die überwiegend jungen Leute wollen eine grundlegende Reform eines Staates, in dem nach wie vor eine kleine superreiche Elite von Großgrundbesitzer- und Unternehmerfamilien bestimmt. Es geht um Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ein Ende der vielfältigen Diskriminierungen aufgrund Hautfarbe, Geschlecht und sozialer Herkunft. Der Staat regierte auf die Proteste so, wie er es in Kolumbien in den letzten Jahrzehnten immer getan hat, mit brachialer Gewalt. Bisher (Stand 26. Mai) gab es bereits 65 getötete Demonstrant*innen, hunderte von Verhaftungen, die Zahl der Verletzten geht in die Tausende.
Die Menschen, die am 12. Mai vor dem Stadion von Barranquilla demonstrierten, teilten die Ziele der landesweiten Protestbewegung, hatten aber noch ein weiteres Anliegen. Ähnlich wie die Fußball-EM wurde auch Copa América, die Südamerikameisterschaft der Nationalmannschaften 2020 wegen der Pandemie abgesagt und soll im Juni/Juli 2021 nachgeholt werden. Erstmals war vorgesehen, dass das Turnier nicht wie bisher in einem Land, sondern in zwei, nämlich Argentinien und Kolumbien, stattfindet. Auch dagegen, nämlich die Austragung eines wichtigen Fußballevents in Kolumbien, das die Regierung zu einem großen Propagandaspektakel nutzen würde, richteten sich die Proteste am 12. Mai in Baranquilla und auch am 14. Mai bei der Copa-Liberadores-Partie zwischen América de Cali und Atletico Mineiro (Belo Horizonte, Brasilien) in der kolumbianischen Millionenstadt Cali, wo die Protestbewegung gegen die Regierung ihren Anfang genommen hatte und die ersten Todesopfer zu beklagen waren.
Die mit Tränengas beantworteten Proteste gegen die Austragung der Copa América zeigten indessen Wirkung: Kurz nach den Protesten vor den Stadien in Barranquilla und Cali beantragte Kolumbien beim südamerikanischen Fuballverband CONMEBOL eine nochmalige Verlegung des Copa-América-Turniers – auf 2022. Man fürchtete offensichtlich weitere Proteste. Doch das wurde nicht gesagt: Offiziell wurde der Antrag mit der steigenden Zahl an Corona-Infektionen in Kolumbien begründet. Der Verband lehnt jedoch eine erneute Verlegung des Turniers ab. Aller Voraussicht nach wird es nun komplett in Argentinien stattfinden. Dort sind die Corona-Inzidenzzahlen derzeit allerdings höher als in Kolumbien – aber es gibt keine politische Massenbewegung gegen die Regierung.
Übrigens, das Spiel zwischen River Plate Buenos Aires und Barranquilla Juniors wurde trotz der Tränengassschwaden fortgesetzt und endete 1:1. Dadurch wurde River Plate nach Fluminense Rio de Janeiro Gruppenzweiter und zog in die K.o.-Runde der Copa Libertadores ein.
Update 31. Mai: In der Nacht zum 31. Mai entschied der südamerikanische Fußballverband CONMEBOL, dass eine Austragung in der Copa América in Argentinien wegen der rasant steigenden Corona-Zahlen nicht möglich ist. Derzeit wird fieberhaft nach einem neuen Austragungsort gesucht, das Eröffnungsspiel soll bereits am 13. Juni stattfinden.
Update 4.6.: die Auseinandersetzung um die Copa América wird zu einer unendlichen Geschichte. Der Fussballverband COMMEBOL glaubte beim despotischen brasilianischen Präsidenten an der richtigen Adresse zu sein. Und sich doch mglw. in der Klingel geirrt. Widerstand ist schön.

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